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Archiv-Artikel

„Gutachter mit Geschäftsbeziehung“

Die Sachverständigen, so sagt Hanns-Georg Weit, interpretieren Krankheiten um und weg. Sie sicherten sich damit zum Beispiel Beraterverträge

taz: Herr Weit, welche Erfahrungen haben Sie mit Sachverständigen gemacht, die sich zu Ihren berufskranken Mandanten äußern?

Hanns-Georg Weit: Leider sehr schlechte. Viele vom Gericht bestellte Gutachter streiten rundweg ab, dass die ehemaligen Arbeiter krank sind. Dabei haben meine Mandanten ja in aller Regel eine Reihe von Arztbefunden, die für die Berufskrankheit sprechen – von Fachärzten, zum Teil von Universitätskliniken. Doch diese Diagnosen erkennt man nach dem Gutachten häufig nicht wieder. Da wird um- und weginterpretiert.

Wie sieht das genau aus?

Ein Beispiel: Ein Gutachter führt zwar alle Symptome einer Berufskrankheit auf. Dann folgert er aber, dass eine Verhaltensstörung vorliegt. Die Sachverständigen ziehen in der Mehrzahl der Fälle Schlüsse, die nicht nachzuvollziehen sind.

Warum machen sie das?

Offensichtlich bestehen zwischen Gutachtern und Berufsgenossenschaften gewisse geschäftliche Beziehungen. Ich kann mir das nicht anders erklären, als dass sie zum Beispiel Beraterverträge haben oder Vertrauensgutachter der Berufsgenossenschaften sind.

Gibt es denn keine „guten“ Gutachter?

Doch. Die kommen nur sehr selten zum Zuge. Die Gerichte bestellen häufig die Gutachter, die das Vertrauen der Berufsgenossenschaften genießen – obwohl die Berufsgenossenschaften die Beklagten sind.

Wie kommen Sie darauf?

Oft schlagen die Berufsgenossenschaften genau diese Gutachter den Betroffenen schon vor, bevor es überhaupt zu einer Gerichtsverhandlung kommt.

Weshalb machen die Richter das mit?

Ich habe schon Anträge gestellt, Gutachter als voreingenommen abzulehnen. Das hat in der Regel jedoch keinen Erfolg. Dass dies böser Wille der Richter ist, will ich nicht sagen. Vielleicht verfahren sie nach dem Motto: Den haben wir schon immer bestellt, deshalb kann der nicht schlecht sein. Oder sie informieren sich nicht gut genug.

Warum schlagen die Betroffenen nicht öfter Gegengutachter vor?

Die Betroffenen müssten diese Gutachten selbst zahlen. Das kostet mehrere tausend Euro. Berufskranke sind durch die lange Krankheit aber zumeist schon ins soziale und wirtschaftliche Abseits geraten. Das ist ein Zweiklassenrecht. Der, der sich einen eigenen Gutachter leisten kann, bekommt eher Recht als der, der sie nicht zahlen kann.

Was müsste sich ändern, damit mehr Berufskranke eine Entschädigung bekommen?

Die Situation könnte durch eine Gesetzesänderung problemlos entschärft werden. Zum Beispiel, indem festgelegt wird, dass sich die Prozessparteien auf einen Gutachter einigen müssten.

INTERVIEW: BRITTA BARLAGE