: Ein Hakenkreuzworträtsel
In Tübingen wurde ein Student verurteilt, weil er ein „verfassungsfeindliches Symbol“ am Revers trug: das Hakenkreuz, besser gesagt: das durchgestrichene Hakenkreuz der Antifa. Was ist da los?
von DANIEL SCHULZ
Diese Geschichte besteht aus zwei Geschichten, einer großen und einer kleinen. Welche davon wahr ist, scheint klar zu sein. Und ist es dann doch nicht.
Zuerst soll die kleine Geschichte erzählt werden. In der baden-württembergischen Universitätsstadt Tübingen demonstrieren Studenten gegen singende Burschenschaftsmitglieder. Polizei war auch da und will gesehen haben, wie die Burschenschaftler mit mehreren Knallkörpern beworfen wurden – die Protestierer wurden umstellt und durchsucht. Knallkörper fanden sich keine, dafür aber ein Button mit altbekanntem Symbol, einem durchgestrichenen Hakenkreuz.
Es ist das wenig subtile, aber landesweit be- und anerkannte Kennzeichen all jener Autonomen, Hippies, Punks und gutbürgerlichen Studenten, die gegen die Rechtsextremen sind. Nicht so in Tübingen: Der 22-jährige Student, der den Button trug, bekam einen Strafbefehl der Staatsanwaltschaft. 200 Euro sollte er zahlen – wegen des Verwendens verfassungswidriger Kennzeichen nach Paragraf 86 a des Strafgesetzbuches.
Was der Gemaßregelte zunächst für einen schlechten Scherz gehalten hatte, wurde nun von einer Tübinger Richterin in eine ernste Angelegenheit verwandelt: Sie verurteilte den Studenten zu einer Strafe von 150 Euro auf Bewährung, in den nächsten zwei Jahren sollte er den Button tunlichst nicht mehr an seinem Rucksack tragen.
„Das Gericht hat damit einen völlig neuen Weg beschritten“, sagt leise lachend sein Anwalt Burkhard Gaedke. Er lacht nicht mehr, als er erzählt, dass sein Mandant von zehn Polizisten auf Knallkörpersuche umstellt und ziemlich unsanft behandelt worden sei. Gaedke vermutet, dass „hier im Nachhinein das unangemessene Vorgehen der Polizei gerechtfertigt werden soll, und das auf abstruse Art und Weise“, denn schließlich verstehe doch jeder Mensch, was mit einem durchgestrichenen Hakenkreuz gemeint sei.
Und hier wird die Geschichte groß. Besser gesagt: Sie musste groß und grundsätzlich werden, sonst hätten ihr wohl auch die Staatsanwälte nicht mehr folgen können. Oberstaatsanwalt Michael Pfohl betonte bei der Verhandlung, es gehe gar nicht um den Polizeieinsatz und auch nicht darum, was der „Otto Normalbürger verstehe“, sondern ums Prinzip, um eine „formale Tabuisierung“ des Hakenkreuzes. Der Staat wolle mit dem Paragrafen 86 a das Hakenkreuz aus dem öffentlichen Bild tilgen. Außerdem solle man sich einmal vorstellen, Japaner kämen nach Tübingen und würden das Hakenkreuz sehen!
Heute will Pfohl darüber nicht mehr reden, stattdessen wiederholt sein Behördenleiter Achim Brauneisen Pfohls Standpunkt und fügt hinzu, dass das Motiv beim Zeigen des Hakenkreuzes keine Rolle spiele. Es gehe ums grundsätzliche Verurteilen des Symbols – vielleicht auch um die Diskussion über linke und rechte Symbolik, auch wenn Brauneisen das bestreitet.
Eine Zeit, in der rechte Schläger Palästinensertücher tragen und Pullover mit Runen darauf im Bekleidungsgeschäft nebenan verkauft werden können, weckt das Bedürfnis nach Klarheit. Und Klarheit wolle man haben, sagt Brauneisen, „jedenfalls hier in unserem Bereich“.
Doch klarer ist in Tübingen nichts geworden. Beide Seiten haben jeweils Gerichtsentscheidungen auf ihrer Seite. Burkhard zitiert zwei Urteile des Bundesgerichtshofs aus den Siebzigern, Brauneisen stützt sich auf zwei Entscheidungen des Oberlandesgerichtes Stuttgart – auch wenn Stuttgart erst im September wieder anders entschieden hat.
Der Bundesverfassungsschutz windet sich ebenfalls, zuständig seien die Staatsanwaltschaften. Man verweist aber auf Fälle, in denen das Verwenden von Nazi-Symbolen erlaubt ist – in der Forschung, in der Wissenschaft und zur Aufklärung. Die kleine Frage nach dem durchgestrichenen Hakenkreuz scheint zu groß, als dass sie jemand lösen könnte.
Ginge es aber wirklich „ums Prinzip“, dann müssten die meisten Schulbuchverlage ihre Geschichtsbücher einstampfen und die Bundeszentrale für Politische Bildung die Hälfte ihrer Informationsmaterialien vernichten. Außerdem gab es derartige Fälle schon einmal, in Bayern beispielsweise, wo die örtliche Polizei die Antifa ein wenig schikanieren wollte. Es ist müßig, den Tübinger Behörden ähnliche Absichten zu unterstellen. Die Geschichte muss nicht unbedingt eine schmutzige sein. Aber sie ist auch nicht so groß und imposant, wie manche glauben machen möchten.