Ein Jahr Rumänien in der EU: Der verlangsamte Wandel

Trotz mancher Zweifel wurde Rumänien zu Beginn 2006 in die EU aufgenommen. Seither gibt es einen Boom, der politische Wandel aber gerät ins Stocken.

An der Hauptstraße zwischen Sibiu und Bukarest verkauft eine Frau Eier. Bild: dpa

Missmutig inspiziert Nicolae Burulean seinen Gemüsegarten, in der Hand eine Hacke, mit der er hier und dort lustlos den Boden auflockert. "Die Landwirtschaft ist am Ende", sagt der kleine 59-jährige Mann resigniert. "Wir Kleinbauern haben keine Zukunft mehr."

Burulean wohnt im Dorf Chirnogi, 60 Kilometer südlich der Hauptstadt Bukarest. Es ist ein ärmliches Zweitausendseelendorf an einer wenig befahrenen Landstraße. Bis zum Sturz der Diktatur im Jahr 1989 war Burulean Fahrzeugmechaniker in der örtlichen Kooperative, dann wurde er privater Bauer. Auf fünfeinhalb Hektar Land baut er Zwiebeln und Paprika an, Sellerie und Bohnen, Lauch und Petersilie; im Winter und Frühjahr in Gewächshäusern, im Sommer und Herbst unter freiem Himmel. Das Gemüse verkauft er auf dem Markt in einer nahe gelegenen Kleinstadt. Es ist viel Arbeit für ein bescheidenes Einkommen - gerade so viel, dass es für den Bauern und seine Frau zum Leben reicht.

Burulean dachte, mit dem Beitritt Rumäniens zur EU würde alles besser und leichter werden. Nach einem Jahr Mitgliedschaft ist er ernüchtert. "Sicher, ein Land mit so viel balkanischem Wirrwarr aufzunehmen, war ein Vertrauensbeweis Europas", sagte er. Und dann fängt an zu schimpfen. Zuerst auf die Billigkonkurrenz holländischer und spanischer Lebensmittelkonzerne. Dann vor allem auf sein eigenes Land: auf das Chaos und die Bürokratie in rumänischen Behörden, auf die Politiker, die korrupt seien und an der Wirklichkeit vorbei regierten, auf die Bukarester Zentrale, die die ländlichen Gegenden vergessen habe.

Rumänien und seine 21,6 Millionen Einwohner erlebten in den vergangenen Jahren einen spürbaren wirtschaftlichen Aufschwung. 2006 lag das Wachstum bei 7,7 Prozent, im laufenden Jahr erreicht es voraussichtlich 7 Prozent. Allerdings konzentriert sich der wirtschaftliche Aufschwung auf die Hauptstadt Bukarest und einige wenige Ballungsgebiete.

Rumänien ist das ärmste EU-Mitglied. Das Pro-Kopf-Einkommen beträgt mit rund 4.500 Euro nur knapp ein Drittel des EU-Durchschnitts. Für Auslandsinvestoren ist Rumänien bereits seit längerer Zeit ein attraktives Billiglohnland, aber auch ein interessanter Markt. In der EU-Haushaltsperiode 2007 bis 2013 sind für Rumänien Fördermittel von 29 Milliarden Euro vorgesehen. KV

Die Stimmung im neuen EU-Land Rumänien ist schlecht. Zwar boomt die Wirtschaft in Ballungszentren wie Bukarest und Temeswar. Hochglanzmagazine berichten regelmäßig über die steigende Zahl der rumänischen Multimillionäre. Doch in der Provinz ist vom Aufschwung nur wenig zu spüren. Mehr als zwei Millionen Menschen, vor allem aus dem Osten und Süden haben das Land verlassen und suchen ihr Heil in Billigjobs in Italien, Spanien oder anderen europäischen Ländern. Die Daheimgebliebenen, vor allem Bauern und Rentner, die zusammen mehr als die Hälfte der Bevölkerung ausmachen, schlagen sich eher schlecht als recht durch.

Als hätte Rumänien - das ärmste unter allen EU-Mitgliedern - nicht genug damit zu tun, die drastischen innerökonomischen Gefälle zu beseitigen und die sozialen Probleme in den Griff zu bekommen, lähmt eine tiefe innenpolitische Krise das Land. Sie schwelte schon vor dem EU-Beitritt im Januar 2006 vor sich hin, doch kaum war Rumänien Mitglied im exklusiven Brüsseler Klub, brach sie offen aus. "Rumänien ist seit Jahresanfang regelrecht abgestürzt", diagnostiziert der Bukarester Politologe Cristian Pîrvulescu.

Es geht vor allem um den Kampf gegen Korruption und gegen Amtsmissbrauch. Laut "Globalen Barometer der Korruption 2007" von Transparency International gehört Rumänien zusammen mit Ländern wie Albanien, Nigeria oder Pakistan zu den korruptesten Ländern der Welt und als das korrupteste EU-Land.

Mit markigen populistischen Sprüchen prangert der Staatspräsident Traian Basescu seit langem die "Verkommenheit der politischen Klasse" an. Sehr zum Verdruss derselben. Die Regierung aus Liberalen und Vertretern der ungarischen Minderheit hat sich mit dem Staatsoberhaupt komplett überworfen und blockiert in einer seltsamen Allianz mit dem größten Teil der Parlamentsopposition, nämlich den Postkommunisten und den Ultranationalisten, so gut wie alle Reformen für mehr Transparenz in Staat, öffentlicher Verwaltung und Justiz.

Fast wöchentlich kommen Korruptionsfälle ans Tageslicht, in die Politiker verwickelt sind; häufig genug geht es auch um Fälle, bei denen EU-Gelder im Spiel sind. Ebenso häufig versuchen Regierung und Parlament, mit Notverordnungen und neuen Gesetzen Ermittlungen gegen korrupte Politiker zu blockieren. Die parteilose Justizministerin Monica Macovei, die bis zum EU-Beitritt einen bedingungslosen Kampf gegen Korruption geführt hatte, wurde im April dieses Jahres gleich ganz aus der Regierung geworfen.

Korruption? Politische Krise? Alle Nachfragen perlen an Bogdan Olteanu ab. Der liberale Präsident der Abgeordnetenkammer, ein junger, smarter Mann mit glattem Gesicht, sitzt in einem der riesigen Büros im "Haus des Volkes", Ceausescus gigantischer Palast, der heute das Parlament beherbergt. "Ich kann keine Krise erkennen, in Rumänien herrscht Stabilität", sagt Olteanu überlegen lächelnd. "Und den Kampf gegen Korruption, ja, sicher, den werden wir fortführen."

Ganz anders klingt Daniel Morar. Er ist Leiter der Nationalen Antikorruptionsbehörde DNA, die vor zwei Jahren von der damaligen Justizministerin Monica Macovei gegründet wurde, um gegen Kriminalität im Staat vorzugehen. "Die Politiker wollen, dass wir nur in kleinen Fällen ermitteln, aber nicht gegen Korruption auf höchster Ebene vorgehen", klagt Morar.

Bereits Anfang 2006 unternahm das Parlament den Versuch, die Behörde abzuschaffen, und erst jüngst eskalierte der Streit wieder von neuem. Mitte September beantragte die Antikorruptionsbehörde Untersuchungsverfahren gegen mehrere Minister der jetzigen Regierung. Prompt beschnitt die Regierung die Kompetenzen der Behörde. Der Oberste Gerichtshof erklärte die Verordnungen zwar teilweise für nichtig, zudem traten zwischenzeitlich der Landwirtschafts- und der Justizminister wegen Korruptionsaffären zurück. Daniel Morar glaubt trotzdem, dass Regierung und Parlament am Ziel festhalten, seine Behörde aufzulösen. "Es war ja sowieso fast ausschließlich die Nötigung der EU, die dazu geführt hat, dass unsere Behörde geschaffen wurde."

Das Thema Korruption ist längst nicht das einzige, bei dem sich Rumänien schwertut, den Anforderungen der EU gerecht zu werden. Schon machen im Land böse Schlagworte die Runde: Vom "verlorenen ersten EU-Jahr" sprechen die einen, vom "Versagen der Elite" die anderen. Rumänien sei eine "pseudomoderne Gesellschaft", klagte kürzlich der für EU-Angelegenheiten zuständige Staatssekretär Adrian Ciocanea.

Zum Beispiel die Landwirtschaft, der wichtigste Erwerbszweig Rumäniens. Rund viereinhalb Millionen Höfe, zumeist mit Kleinstflächen unter zwei Hektar, sind statistisch erfasst; mehr als ein Drittel der Bevölkerung arbeitet in der Landwirtschaft. Von der EU soll Rumänien für die Jahre 2007 bis 2013 rund zwölf Milliarden Euro Agrarbeihilfen erhalten, nahezu die Hälfte sämtlicher Beihilfen. Doch die verantwortliche Behörde Apia ist noch immer damit befasst, sich selbst zu organisieren, und hat enorme Schwierigkeiten, das Geld aus Brüssel sachgerecht zu verwalten und zu verteilen. Deshalb hat die EU-Komission bereits gedroht, die Agrarbeihilfen um 25 Prozent zu kürzen.

Nur mühsam geht es auch in vielen anderen Bereichen voran. Rumänien riskiert den Verlust von EU-Fördergeldern aus den Struktur- und Entwicklungsfonds in Milliardenhöhe, weil es zu wenig qualifizierte Bewerber für Projekte gibt. In vielen Behörden, die EU-Richtlinien kontrollieren und erfüllen müssen, mangelt es an ausgebildetem Personal. Die Modernisierung der Infrastruktur kommt nur schwer voran, die großen Umweltverschmutzer aus Industrie und Bergbau konnten sich Betriebsschließungen bisher erfolgreich entziehen. "Rumänien hat keine Klasse fähiger Verwalter", sagt der Politologe Pîrvulescu. Bedenklich sei, dass die Depolitisierung des Verwaltungsapparates seit dem EU-Beitritt stocke. Seit Rumänien der EU angehöre, habe diese weniger Möglichkeiten, Druck auszuüben.

Tatsächlich tut sich die EU schwer, das Neumitglied zu sanktionieren. Die Kommission hat kleinere Strafverfahren gegen Rumänien eröffnet. Außerdem darf Rumänien wegen Mängeln im Bereich Lebensmittelsicherheit die meisten Fleisch- und Milchprodukte nicht in andere EU-Länder exportieren. Doch im Hinblick auf den Kampf gegen Korruption und die Justizreform beließ es die EU bisher bei kritischen Bemerkungen. Diese Linie wurde von Politikern aus Alt-Mitgliedsländern oft als zu weich kritisiert. Der Tenor der Vorwürfe: Nun zeige sich, dass Rumänien zu früh aufgenommen worden sei.

"Es war ein Fehler, die EU-Integration Rumäniens hinauszuzögern", meint Pîrvulescu. "Wenn der Beitritt früher stattgefunden hätte, hätte sich das Land schneller weiterentwickelt." Rumänien verändere sich nicht durch, sondern gegen seine Elite, glaubt der Politologe und verweist auf die Effekte der Freizügigkeit, die im Westen zu wenig wahrgenommen werden würden. "Die Millionen Arbeitsemigranten stehen unter dem kulturellen Einfluss ihrer Gastländer und beeinflussen die Bevölkerung zu Hause", sagt Pîrvulescu. "Das kann sich nur positiv auswirken, egal wie sehr eine Regierung sich in Blockaden übt."

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