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Theorie & TechnikFrau vs. Schwarz

Wer wird mehr unterdrückt: Frauen oder Schwarze? Die "Obama-Generation" definiert sich jenseits alter Identitäten. Und steht für Universalismus.

Wer jetzt? Bild: ap

Das Wahlkampfduell Clinton - Obama ist das Ende von 68. Hier stehen die "Neuen Sozialen Bewegungen", wie man sie in der Folge von 1968 enthusiastisch bezeichnet hat (die viel zitierten Frauen, Lesben, Schwulen, Antirassisten und Ähnliche) nunmehr gegeneinander: Frau gegen schwarzen Mann, Aug in Aug. Ihr Feind ist nicht das männliche, weiße Establishment.

Das Setting, das 68 eröffnet hatte, war das einer "Äquivalenzkette", wie es die wichtigsten Theoretiker der Neuen Sozialen Bewegungen, Ernesto Laclau und Chantal Mouffe, bezeichnet haben: Das linke Projekt definiert sich als Verknüpfung unterschiedlicher politischer Akteure und Bewegungen. Ganz verschiedene Strömungen sollten ihre Gemeinsamkeit durch den Gegensatz zu einem Gegner finden. Es war dies die Vorstellung, die unterschiedlichen demokratischen Kämpfe würden sich verbünden und damit schließlich auf alle gesellschaftlichen Bereiche ausweiten.

Die Konstellation Clinton - Obama hat nun zwei wesentliche Kräfte dieser "Äquivalenzkette" gegeneinander in Stellung gebracht und damit eine vehemente Diskussion ausgelöst, die sich zur Frage zuspitzt: Was ist wirklich die restriktivste Kraft des amerikanischen Lebens? Anders gesagt: Wer wird mehr unterdrückt: die Frauen oder die Schwarzen? Und daraus folgend - welcher Kandidat für das Präsidentenamt hat eine größere Hürde zu nehmen und würde demnach den größeren Fortschritt, die umfassendere Emanzipation bedeuten?

Aber während das linke Publikum die politische Frage an der Person der Kandidaten entlang debattiert, haben diese selbst eine Verschiebung vorgenommen: Sie haben alle gängigen Vorstellungen von Identitätspolitik erschüttert - indem sie sich eben nicht als Vertreter ihrer persönlichen, partikularen Identitäten präsentieren. Beide weisen - mehr oder weniger - eindeutige Zuschreibungen, was sie sein sollten, zurück. Beide haben die vorgefertigten Vorstellungen von dem, was ein Schwarzer bzw. was eine Frau ist, überschritten. Negativ äußert sich das in den viel zitierten Vorwürfen, er sei nicht schwarz genug, sie sei nicht Frau genug. Beide versuchen das zu realisieren, was die politische Theorie als unerhörte, postmoderne Forderung erhoben hat: die Bedeutung einer politischen Identität nicht als vorgefertigte zu verstehen, sondern sie in der jeweiligen historischen Situation neu zu bestimmen und zu artikulieren.

Dies bedeutet letztlich den noch viel größeren und nachhaltigeren Angriff auf das 68er Setting als die Konkurrenz der Kandidaten. Vor allem Obama umgeht die Identitätsfalle, bevor sie zuschnappt und ihn auf eine bestimmte, partikulare Position festnageln würde. Das ist das Spezifikum, das die Rede von einer "Obama-Generation" bestimmt. Eine Generation von Politikern (und Obama ist nur der in Europa bekannteste von ihnen), die schwarz sein mögen - aber eben keine schwarzen Politiker sind. Dementsprechend ist ihre Politik auch postantirassistisch.

Diese Politiker bewegen sich jenseits von Fragen des special interest und geben damit ihrer Politik ein anderes Ziel vor als die sogenannten Babyboomer, die Kinder der Bürgerrechts- und Frauenbewegung: Sie möchten alle repräsentieren. Das heißt, sie betreiben eine postpartisanenhafte Politik, die nicht auf Feindschaft und Abgrenzung beruht. Sie machen keinen Gegner aus, legen keine Demarkationslinien fest. Ihre Erfahrung ist nicht die der Straßenschlacht. Sie betreiben Politik nicht als gesellschaftlichen Krieg, wie Foucault den Diskurs der Opposition bezeichnet hat. Statt einer Spaltung beschwören sie eine Politik der Einheit. Entscheidend aber ist, worin diese "Einheit" besteht.

Wie definiert sie sich: als allgemein menschliche Einheit, als Einheit eines Volkes oder als Einheit einer Nation? Der Versuch der "Obama-Generation" zielt darauf, eine politische Einheit zu denken, die die unterschiedlichen Partikularismen, die einzelnen Identitäten nicht mehr trennt, sondern verbindet. Die Nation soll zur Einheit, zur Verbindung der Unterschiede werden - so lautet die Wiederbelebung des amerikanischen Traums.

Erfolg kann diese Vorstellung von Politik nur haben, wenn sie die Identitätsfrage klärt. Wenn sie also klärt, ob ihre neue Identität, jenseits von Schwarz und Weiß, einen neuen Universalismus des 21. Jahrhunderts eröffnet oder nur eine neue Segregation verheißt: diejenige, wo Eliten sich zwar jenseits aller Partikularismen definieren und Identität damit zu einem Unterschichtphänomen machen. Im ersten Fall wären die Neuen Sozialen Bewegungen erfolgreich transformiert - im zweiten Fall aber wären sie gescheitert.

ISOLDE CHARIM

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2 Kommentare

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  • P
    petzos

    Isolde Charims These, der Politikstil von Hillary Clinton und Barak Obama hätte die Identitätspolitiken sozialer Bewegungen hinter sich gelassen, ist äußerst bedenklich.

    Erstens ist es schlicht nicht wahr, dass sie beide sich nicht auf ?ihre? community berufen würden.

    Und zweitens: Dass Schwarze im Kampf um die Macht, also um gesellschaftliche Mehrheiten, weniger ?schwarz?, also weniger identitätspolitisch (und Frauen weniger ?weiblich?) argumentieren bzw. sein müssen, liegt wohl eher an den Mechanismen der Macht als an deren Auflösung.

    Deshalb geht damit auch nicht der Anbruch einer ?postantirassistischen? Politik einher (wie Charim meint): Mit dem gleichen Argument hätte man schon den Amtsantritt von Colin Powell so beschreiben und den von Margarete Thatchers als ?postantipatriarchal? bezeichnen müssen ? auch sie haben keine Politik für Frauen bzw. für Schwarze gemacht. So lange es Rassismus (das Patriarchat) gibt, wird es antirassistische (antisexistische) Politik geben müssen, und die ist hin und wieder notwendig identitär.

  • AT
    Andreas Thomsen

    Dieser Beitrag ist zwar schön theoretisch, aber zu wenig kritisch, da er das Konzept "schwarz"/"weiss" überhaupt nicht hinterfragt. Wenn es hier einfach nur um die Herkunft ginge, wäre

    Barack Obama mit einer europäisch-stämmigen amerikanischen Mutter und einem kenianischen Vater ebensogut "weiß" wie "schwarz".

     

    Aber traditionell wird in den USA jemand als "schwarz" bezeichnet, der "einen Tropfen schwarzen Blutes" hat, d.h. irgendeinen afro-amerikanischen Vorfahren. Zum Vergleich: nach diesem Kriterium wäre z.B. Alexander Puschkin, mit einem äthiopischen Urgroßvater, ein "schwarzer" Russe gewesen. Das hat aber damals in Russland niemanden interessiert. Wahrscheinlich ist das Konzept "schwarz/weiss" nicht einmal nur "rassisch", sondern dient ebensogut(so schlecht) der Abgrenzung der Abkömmlinge der Sklaven von den "Freien".

     

    Vor diesem Hintergrund wäre Obama tatsächlich nicht "schwarz", da seine afrikanischen Vorfahren mit der Geschichte der Sklaverei in den USA nichts zu tun hatten. Sondern er wäre ein ganz gewöhnliches Einwandererkind.

     

    Warum sollte er sich also eine künstliche "schwarze" Identität zulegen, die wahrscheinlich nicht die seine ist. Bloß weil es der öffentlichen Meinung in den Kram passt? Oder weil immer noch viele Menschen an ein Konzept der "Hautfarbe" glauben, das genauso falsch ist, wie der früher gebräuchliche Satz, alle Chinesen sähen gleich aus?

     

    Denn bitte schön: wieviele Afro-Amerikaner oder auch Afrikaner sind tatsächlich schwarz?

     

    Es geht also in Wirklichkeit um rassistische, ethnische und soziale Kategorien, die vielleicht ähnlich funktionieren, wie das indische Kastenwesen mit seinen "Unberührbaren".

     

    Wenn diese Kategorien sich langsam aufzulösen beginne, so ist das eine höchst positive Entwicklung, von der nur zu hoffen ist, daß sie nicht bei der Oberklasse mit Rice, Powell und Obama stehenbleibt, sondern, wenn auch mit Verzögerung, alle Gesellschaftsschichten erfaßt. Dies wäre übrigens ein schöner später Erfolg der Bürgerrechtsbewegung, und keinesfalls deren Negation.

     

    MfG

    A.