„Leide allein!“

Moholy-Nagy hielt sie für seine „beste und genialste Schülerin“. Jetzt sind die Fotomontagen von Marianne Brandt im Bauhaus-Archiv zu sehen

von WIEBKE POROMBKA

Sie gehörte mitten hinein in die Moderne. Das merkt man schon an ihrer Biografie: Marianne Brandt, im Jahr 1893 geboren, absolviert zunächst ein klassisches Malereistudium. Doch als sie 1923 die Bauhaus-Arbeit kennen lernt, sagt sie sich von der traditionellen Kunst los und lässt ihre Ölgemälde in Flammen aufgehen. Im Jahr darauf beginnt sie als bereits Dreißigjährige ein Studium am Bauhaus Weimar.

Marianne Brandt war die einzige Frau, die es hier zu einem Diplom für Metallarbeit brachte. Doch auch wenn ihr Tee-Extrakännchen bis heute als Ikone des modernen Designs gilt: Während die Namen der Meister von Moholy-Nagy und Kandinsky in jeder Kunstgeschichte zu finden sind, ist ihre Schülerin fast vergessen.

In einem abgedunkelten Teil des Bauhaus-Archivs sind nun die lichtempfindlichen, filigran gearbeiteten Montagen von Marianne Brandt zu sehen. Sie geben Ausschnitte aus dem längst klassisch gewordenen Leben der Großstädte in der Weimarer Republik wieder: Zerstörung und Technisierung, Kino und Sport, Entertainment und Verkehr. Vor allem aber erzählen sie immer wieder etwas über die Bilder und Selbstbilder der Künstlerin. Marianne Brandt zitiert den Topos der „neuen Frau“, der sich in den Zwanzigerjahren auf jeder Zeitungsseite wiederfindet, und sie konfrontiert ihn mit der Frau als Lustobjekt der Medien. Die moderne, Auto fahrende Frau steht neben den Versatzstücken weiblicher Sinnlichkeit, dem nackten Bein, der Andeutung einer Brust.

Untypisch für ihre Zeit ist Brandts Montagetechnik. Während die Collagen der Dadaisten hektisch überladen waren und sich durch einen unbedingten Willen zur Strukturlosigkeit auszeichneten, fügt Brandt ihre Versatzstücke in elegante, fast zarte Figuren. Stück für Stück nimmt sie das Chaos, dem die Wahrnehmung in der Moderne ausgeliefert ist, auseinander und setzt die Bildfragmente in eine neue Ordnung. Unsichtbare Kraft- und Bewegungslinien lassen das montierte Ensemble auf dem Papierblatt schweben. Die großen leeren Flächen dazwischen sind ebenso Teil der Komposition wie die Bild- und Schriftelemente.

Ihr Material findet Brandt in Tageszeitungen und Illustrierten. Als weiblicher Flaneur bewegt sie sich durch das Tagesgeschehen, schneidet aus, sammelt Meldungen und Bilder. Was sie daraus an Reflexionen über ihre Zeit zusammenfügt, sind differenzierte, zuweilen polemische Kommentare über die Gesellschaft der Zwanziger. Das Entschlüsseln der vielschichtigen Verweise lässt den Betrachter zum Spurensucher im Fundus des noch jungen 20. Jahrhunderts werden.

Ob Brandt selbst die gesellschaftliche Relevanz ihrer Arbeiten besonders hoch eingeschätzt hat, ist zu bezweifeln. Der intime Charakter spricht dafür, dass sie ihre Fotomontagen mehr als privates Experimentierfeld verstanden hat. Das zerrüttete Verhältnis zum untreuen Ehemann kommentiert sie durch die Verknüpfung einiger fotografischer Selbstbildnisse mit den wütenden Textfragmenten „Bulle – Esel – Affe“. „Qual“ steht auf einer anderen Montage neben einem Foto ihres norwegischen Mannes Erik Brandt. Und darüber, rot unterstrichen, die zynische Anweisung: „Leide allein!“

Obwohl sie im Dämmerlicht des Ausstellungsraums ein wenig verloren wirken, sind die Fotomontagen alles andere als unscheinbar. Trotzdem hat Brandt, die erst 1983 in Chemnitz starb, kaum mehr von sich reden machen können, nachdem sie 1929 das Bauhaus unter recht unglücklichen Umständen verlassen hat. Zwar stieg sie zur Leiterin der Metallwerkstatt auf, Moholy-Nagy pries sie enthusiastisch als seine „beste und genialste Schülerin“. Aber gegen die anhaltenden Zweifel ihrer männlichen Kollegen an ihrer Kompetenz mochte sie sich nicht länger behaupten. Brandt arbeitete eben mit eigenen Mitteln, untergründig und klug. Vielleicht eine Spur zu leise.

Bis 9. 1. 2006, Mi. bis Mo. 10–17 Uhr. Klingelhöferstraße 14