: Der Soldat, der vor die Hunde ging
John E. Smathers wollte sie befreien, aber die Iraker mieden den Besatzer. Dankbarkeit erfuhr der US-Soldat dennoch – von Scout, dem Straßenköter
AUS WASHINGTON ADRIENNE WOLTERSDORF
John E. Smathers ist keiner, der seine Gefühle gerne zeigt. Er hinkt etwas und sagt, dass seine Knie kaputt sind. In seinem linken Unterarm stecken Metallplatten. Das alles sei eben so, im Krieg. Knapp zwei Jahre ist es her, dass er aus dem Irak zurückkehrte, noch immer trägt er sein Haar militärisch rasiert. Akkurat hat er die Fotos auf dem Wohnzimmertisch vorbereitet. „Das ist mein Konvoi, hier bin ich in voller Montur“, erklärt er gleich, und man denkt, er würde gerne weitererzählen. Doch seine Antworten bleiben kurz.
In seinem zivilen Leben ist John Smathers, 47, Rechtsanwalt in einer größeren Kanzlei, rund eine Autostunde von Washington entfernt. Hier ist Maryland, Demokratenland. Smathers ist seit 1991 Capitän der Reserve, Paratrouper, wie er sagt. Immer viel in der Natur unterwegs.
Als der Präsident seine Landsleute aufruft, Terror und Massenvernichtungswaffen im Irak zu bekämpfen, ist Smathers gleich zur Stelle. Als Armeeanwalt wird er im Frühjahr 2003 einem Team zugeteilt, dass die irakischen Zivilisten vor den bevorstehenden Gefechten in Sicherheit bringen soll. Monatelang hatte er zuvor geübt, Gasmasken aufzusetzen und chemische Angriffe zu bekämpfen.
Smathers und seine Einheit gehören im März 2003 zu den ersten Amerikanern, die in Bagdad einmarschieren. „Ich wollte unbedingt Saddam Hussein stürzen, das war mir persönlich wichtig“, sagt er. Denn Smathers ist einer, der an das amerikanische Geschenk der Freiheit glaubt. Zunächst aber muss der Flughafen von Bagdad gesichert werden.
Als die Truppe dort ankommt, ist das Gelände verwaist. Da an eine Unterkunft in der Stadt nicht zu denken ist, bezieht das Team das verlassene Kantinengebäude. Dort, im Flur, sitzt ein kleiner Hundewelpe und kläffte die GIs wütend an. „Er spielte den wilden Mann, obwohl er fürchterlich Schiss hatte. Er machte einfach das, was jeder von uns getan hätte.“ Smathers ist sofort verliebt. Heute sagt er: „Es war der süßeste kleine Hund, den ich je gesehen hatte.“
Als die Truppe nach einigen Wochen abzieht in die Bagdader Innenstadt, packt er den Welpen und lädt ihn auf den Armeetruck. Das ist zwar verboten, doch keiner sagt was. Das Team bezieht ein am Tigrisufer gelegenes zweistöckiges Haus eines Leibwächters von Saddam. Da die Männer feindliche Angriffe fürchten, schlafen sie auf dem Dach, ihre M-16 im Arm. Der Hund bleibt draußen. „Er wurde unser Frühwarnsystem“, erklärt Smathers und lächelt zum ersten Mal, „Kapitän Kevin Guidry nannte ihn deswegen ‚Scout‘, denn das war er ja, ein Späher.“
Der Späher schlägt an, wenn sich was in der Nähe regt. Später weckt er Smathers jeden Morgen um 5.30 Uhr, legt seine Pfote auf den in sein Moskitonetz eingewickelten Soldaten und wartet, bis der ihn mitnimmt zum Joggen am Tigrisufer.
Was die Freundschaft beständig macht, ist, dass die Männer Reste ihrer Armeemahlzeiten an ihren freiwilligen Aufklärer verfüttern. Scout frisst bis heute nichts anderes. Hundefutter rührt er nicht an, es sei denn, „ich würde es essen“, sagt Smathers.
Während die Soldaten tagsüber auf Patrouille sind, hat Scout sein eigenes Programm. Er tobt mit den anderen Straßenkötern herum, hat eine Freundin, suhlt sich in öligen Lachen. Abends bringt er seine Kumpels mit, jeden Abend kommt ein anderer Hund mit ihm auf Besuch zum Leibwächterhaus. Smathers spricht von seinem Hund wie von einem Buddy: „Im Irak gab es so viel Töten und Hass, da tat es abends so gut, nach Hause zu kommen und ein Geschöpf zu sehen, das dich liebt.“
Nachts setzt sich Smathers das Nachtsichtgerät auf und beobachtet die Rudel irakischer Straßenköter in den Gassen. „Viele sind verschlagen und hinterhältig. Kaum aber füttert man sie, werden sie ganz loyal“, sagt Smathers. Auch an Ghismo denkt er noch, einen von Scouts Kumpeln. Der Hund war verrückt geworden vor lauter Angst vor den Bombenanschlägen. Jedes Mal, wenn es krachte, drehte Ghismo durch.
Als Scout plötzlich schwer an einem Parvovirus erkrankt, der Hunde innerlich vertrocknen lässt, schieben Smathers und seine Kollegen Nachtschichten, um dem Tier Antibiotikaspritzen zu verabreichen.
Hund und Herr sind unzertrennlich, bis zum 21. Februar im vergangenen Jahr. Da wird der schnell fahrende Konvoi, in dem Smathers einen General auf seiner Inspektionstour durch die Vororte von Bagdad eskortiert, aus dem Hinterhalt mit sowjetischen AK-47 angegriffen. Der Jeep überschlägt sich achtmal, der Übersetzer neben Smathers wird tödlich getroffen, der General bricht sich das Rückgrat, und der Mann aus Maryland wird bewusstlos.
Als Smathers so richtig begreift, dass er nicht mehr im Irak ist, schaut er aus einem Krankenhausfenster des Walter-Reed-Krankenhauses für Veteranen in Washington. Kaum dass er wieder humpeln kann, hat er eine fixe Idee. Er will Scout aus dem Irak in die USA holen.
„Ich hatte ihn das letzte Mal gesehen, als er mir am Morgen des Überfalls einen Socken von der Wäscheleine klaute und damit spielte. Seit dem habe ich mir immer Sorgen um ihn gemacht.“ Nichts ist unmöglich, das ist Smathers’ Credo.
Alle, die ihn kennen, sagt er, wissen, dass er das durchziehen wird. „Unser ganzes Team, wir waren alle Verrückte. Was wir uns vorgenommen haben, das wurde gemacht.“
Smathers hält via E-mail Kontakt zu seiner Einheit. Er erfährt, dass der Hund, noch 14 Tage nachdem er ausgeflogen worden war, vor dem Haus rumlungerte, dann aber verschwand. Auch die Soldaten wurden verlegt, neue zogen in das Leibwächterhaus. Smathers besorgte sich bei der Armee ihre Mailadressen, schickte ihnen Fotos von Scout und bat sie, nach einem Hund, der aussieht wie tausende anderer Straßenköter in Bagdad, Ausschau zu halten.
Einige Wochen später erfährt er per Mail, dass beobachtet wurde, wie Scout von einem Hundefänger eingesammelt wurde, zur Einschläferung. Aber Scout hatte sich offenbar befreit, indem er sich unter dem Zaun durch in die Freiheit buddelte. Vier Monate lang schickt Smathers Mails an alle Soldaten und Zivilisten die er in der Bagdader Region kennt. Längst hat er im Netz Unterstützung gefunden bei Bonnie Buckley: Die Frau aus Massachusetts betreibt eine Website, auf der Soldaten Hilfe finden, wenn sie Tiere in Übersee retten wollen.
Am 5. August 2004 trifft die lang ersehnte Mail in Maryland und bei Bonnie ein: „Hey Jungs“, schreibt ein Soldat, „ich sehe Scout täglich bei einem Teich in der Innenstadt. Er sieht ziemlich mitgenommen aus, und ein Tierarzt sollte sich mal sein linkes Auge anschauen.“
Smathers bittet einen befreundeten GI, den Hund einzufangen und zum Bagdader Zoo zu bringen. Mit dem Zootierarzt hatte sich der Zivilbeauftragte Smathers angefreundet, nachdem er mit seiner Einheit wieder Ordnung in den Bagdader Tiergarten gebracht hatte. Beim US-Einmarsch waren die Tiere sich selbst überlassen worden, „die Löwen fraßen die Affen, alles rannte durcheinander“, erinnert sich Smathers. Eine seiner Aufgaben war es, alles wieder zurück in die Käfige zu stecken und für Futter zu sorgen. Klar schaute der Tierarzt nun nach Scout, zumal Smathers aus den USA einige tausend Dollar schickte.
US-Soldaten ist es nicht erlaubt, Tiere aus fremden Ländern mit nach Hause zu bringen. Dennoch tun viele genau das. Seitdem Smathers’ Geschichte in einer Lokalzeitung veröffentlicht wurde, kriegt er ständig Anfragen und Hilfegesuche aus dem ganzen Land. Veteranen wollen Hunde und Katzen zu sich nach Hause holen, als lebende Souvenirs an ihre Zeit im Krieg.
Der Anwalt aus Maryland machte folgenden Plan: Ein Iraker holte Scout vom Zoo ab und fuhr ihn acht Stunden zur jordanischen Grenze. Scout sollte in Amman in ein Flugzeug nach New York gesetzt werden. Der Iraker wurde jedoch an der Grenze abgewiesen und musste samt Scout wieder acht Stunden zurückfahren. Einen Hund herumzukutschieren ist im Irak nicht normales Tagesgeschäft, aber einen Hund für einen Ami zu chauffieren kann lebensgefährlich sein. „Es gibt sehr hilfsbereite und gute Iraker“, sagt Smathers, der sich sicher ist, dass seine Helfer ihm vertrauten, dass er sie nicht namentlich nennen werde. Er hat sich später bei ihnen mit großzügigen Geldgeschenken bedankt.
Schließlich fand Bonnie Buckley ihrerseits in Kuwait eine Britin, die dort ein Tierheim betreibt. Die willigte ein zu helfen. Scout wurde erneut von Irakern under cover bis zur Grenze gefahren, dort von der Britin abgeholt und in Kuwait in einen KLM-Flug nach Amsterdam gesetzt. Ein weiterer Helfer dort checkt das Tier schließlich nach Washington ein, wo es am 22. August 2005 von einem Mann in wüstenfarbener Kampfuniform abgeholt wird. Smathers hatte sich so angezogen, damit Scout ihn gleich wiedererkennt. Der sprang auch sofort an dem hinkenden Mann hoch und verschlang gleich zwei Tüten getrocknetes Armeerindfleisch.
Smathers lebt heute in dem kleinen Ort Westfriendship, in einem riesigen Landhaus, allein mit Scout. Über die Iraker sagt er, dass die USA ihnen die Chance zur Freiheit gegeben haben, die Freiheit selbst aber harte Arbeit ist. Scout trägt ein elektronisches Halsband, auf dem steht: „Scout. IRAQ WAR DOG“.
Wenn er in die Nähe des unsichtbaren Zaunes kommt, den Smathers um sein weitläufiges Grundstück gezogen hat, kriegt er einen leichten Stromschlag.