: Ostrock und Hirschgeweih
Zwei Deutsche betreiben in Kabul das Hotelrestaurant „Deutscher Hof“. Ihren Gästen bieten sie Schnitzel und Weißbier und ihren afghanischen Angestellten eine anerkannte Ausbildung
VON GUNNAR LEUE
„Ende letzten Jahres wurde ich bei einer Schießerei zwischen unseren Nachbarn erschossen“, erzählt Rico Bochow, der aus Frankfurt (Oder) stammt, aber in Kabul lebt. Dass er es immer noch tut, verdankt er dem Umstand, dass es sich bei der Nachricht von seinem Tod nur um ein Gerücht handelte – freilich eines mit wahrem Hintergrund. Rings um den „Deutschen Hof“ in der afghanischen Hauptstadt hatte es eine Nachbarschaftsfehde gegeben, und die würden dort halt so ausgetragen, weiß Rico Bochow, dass man sich „nicht anschreit, sondern beschießt“. Weil er just in dem Moment vors Haus guckte, galt er jedenfalls in der Gegend hinterher als tot.
Die Episode ist allemal ein Beleg für die außergewöhnlichen Umstände, unter denen der 25-Jährige seit zwei Jahren lebt und arbeitet. Die Geschichte des „Deutschen Hofs“ in Kabul, wo der Brandenburger als Koch beschäftigt ist, begann vor rund drei Jahren in Deutschland. Damals war Rico Bochow noch Koch bei der Bundeswehr, und sein Vorgesetzter, unter anderem im Kosovo-Einsatz, hieß Gunter Völker. Der Thüringer stand nach 12 Jahren kurz vor seinem Abschied als Zeitsoldat. Bei einem gemeinsamen Grillabend erzählte ihnen ein Bekannter, der längere Zeit in Kabul verbracht hatte, in der Stadt fehle eine deutsche Kneipe. Gunter Völker war sofort begeistert und hatte die Schnapsidee auch einen Tag nach dem Umtrunk nicht vergessen. Genauso wie Rico Bochow.
Im Januar 2003 flog Gunter Völker in die afghanische Hauptstadt, wo er zunächst für die deutsche Entwicklungsorganisation Agef ein Lehrrestaurant samt Lehrküche aufbaute. Nebenbei suchte er nach einer Immobilie und mietete ein Wohnhaus, in dem im April 2003 der „Deutsche Hof“ Kabul eröffnete – zu dem mittlerweile ein Restaurant, eine Kellerbar, ein Biergarten mit Gartenzwergen und eine Pension mit zehn Zimmern gehören. Nachdem sein damaliger Partner inzwischen im nordafghanischen Kundus ebenfalls ein deutsches Lokal betreibt, stieß Rico Bochow zu ihm. Er war zuvor noch sieben Monate als Koch im Kabuler Camp Warehouse – in dem rund 2500 Soldaten der Isaf-Truppen stationiert sind, mehr als die Hälfte davon deutsche – im Einsatz. Nach Beendigung seiner dreieinhalb Bundeswehrjahre kehrte er nach Kabul zurück – diesmal als Küchenchef des „Deutschen Hofs“.
Wie der Name und das Hirschgeweih an der Wand im Restaurant schon andeuten, kommen hier keine afghanischen Spezialitäten auf den Tisch, sondern Bauernfrühstück, Wiener Schnitzel, Bratkartoffeln, dazu deutsches Bier – frisch vom Hahn gezapft. „Einmal im Monat rufe ich in Deutschland an, und dann schicken die einen Container mit Bierfässern auf die Reise“, erzählt Gunter Völker. Das läuft so reibungslos, dass er und sein Partner gleich den kompletten Vertrieb von Bitburger für Afghanistan übernommen haben. Nebenbei präsentiert sich Völker als stolzer Ossi und noch stolzerer Thüringer. Nicht nur dass im „Deutschen Hof“ häufig Ostrock-Hits von Puhdys und Karat aus den Boxen erschallen und viele Bilder mit Thüringer Sehenswürdigkeiten im Restaurant hängen. Gern macht der 42-Jährige auch Reklame für seine engere Heimat. So gibt es bei ihm alle Sorten eines kleinen Gothaer Spirituosenherstellers; nicht nur der guten Liköre wegen. „Die kleine Firma hat sich nach der Wende auch selber aus dem Sumpf gezogen, als die Angestellten sie von der Treuhand kauften. Dieser Mut, den Umständen zu trotzen, gefällt mir.“
Der Hang, den Umständen zu trotzen, verbindet auch Völker und Bochow. „Ich fahre nie zweimal in dasselbe Land. Ich will andere Leute und Mentalitäten kennen lernen“, sagt Rico. Aber was ist das Reizvolle ausgerechnet an Kabul? „Hier ist jeder Tag ein neuer Tag, ich weiß nicht, was morgen passiert.“ Außerdem würde einem hier nichts geschenkt. „Unser Motto lautet: ‚Wenn’s einfach wäre, würde es jeder machen.‘“ Trotzdem hätte es Situationen gegeben, wo auch er sich fragte: Was machst du hier eigentlich? Die Antwort habe er aber immer wieder schnell gefunden. „Man kann hier auch als Privatmensch ein bisschen helfen, damit es im Land vorangeht. Wir sind weder Goldgräber, noch spielen wir Mutter Teresa. Aber in unserer Ausbildungsschule geben wir den Leuten hier eine Chance, etwas zu lernen.“
Insgesamt haben 28 Afghanen – vom Lehrling bis zur Waschfrau und den Wachen – Arbeit durch den „Deutschen Hof“. Ein halbes Jahr dauert die Ausbildung zum Koch, Kellner oder Hauswirtschaftler. In den Botschaften, NGO-Büros oder Restaurants der Stadt finden die jungen Afghanen danach meist schnell einen Job. „Wenn es dort heißt, die Jungs können was, freut einen das schon“, sagt Rico Bochow.
Das Essen, für das die Zulieferware zumeist aus Deutschland kommt, ist denn auch ein weiterer Grund, dass man im „Deutschen Hof“ über Mangel an Gästen nicht klagen kann. Es sind vor allem Ausländer, die für die UNO und andere Organisationen, aber auch für private Firmen arbeiten. Neben Amerikanern, Japanern, Italienern und Franzosen kehren natürlich etliche Deutsche ein, um hier Bier zu trinken, Bundesliga-Fußball zu gucken oder die Kellerbar mit Karaokegesang voll zu dröhnen. Nur die im Kabuler Isaf-Camp stationierten Bundeswehrsoldaten müssen draußen bleiben, da sie prinzipiell keinen Ausgang haben. Manchmal lassen sich aber selbst die Stammgäste nicht blicken. Wenn irgendwo ein Attentat oder eine Entführung stattfand und die UNO für ihre Mitarbeiter ein Ausgangsverbot verhängt, halten sich die anderen Organisationen ebenfalls daran.
An solche kurzen Flauteperioden haben sich Gunter Völker und Rico Bochow mittlerweile gewöhnt. Das einzige deutsche Lokal in Kabul gilt jedoch als ziemlich sicher, weshalb sich auch oft afghanische Politprominenz einfindet. Nicht nur dann, sondern zu jeder Zeit wird das Haus von einem privaten Wachschutz – Ex-Polizisten mit Maschinenpistolen – streng bewacht. „Nicht der ‚Deutsche Hof‘ ist unsicher, höchstens der Weg zu uns“, versichert Chef Gunter Völker. Auch die Nachbarschaft sei kein Problem, zu der pflege man gute Beziehungen. „Die verstehen sich zwar untereinander nicht“, erklärt Rico, „aber wenn wir sie alle zum Kurban-Opferfest einladen, bei dem wir ein Kalb für die Nachbarn schlachten, sitzen die alle zusammen in unserem Gästehaus.“
Nicht dabei sind die Nachbarn allerdings, wenn die Deutschen ihre Feste feiern. Am Heiligen Abend wirft sich Gunter Völker schon mal in einen roten Kaftan samt Turban, um den „Weihnachtsmullah“ zu geben und die Weihnachtsgeschichte in Deutsch und Englisch zu verlesen. Die Karten für die diesjährige Weihnachtsfeier waren schon vor Monaten ausverkauft.
Obwohl die Geschäfte insgesamt gut laufen, wollen die Abenteuerwirte nicht ewig in Kabul bleiben, sondern irgendwann woanders auf der Welt wieder einen „Deutschen Hof“ eröffnen. „Vielleicht in Brasilien“, sagt Gunter Völker, und Rico Bochow meint: „Warum nicht im Irak?“
Deutscher Hof, Kalai Fatullah Street No. 3, House No. 60, Telefon+93 70 28 81 34, Übernachtung ab 30 € pro Person www.deutscher-hof-kabul.de