: Politik im Zeichen der Löcher
Die Sanierung der öffentlichen Haushalte steht für die große Koalition im Vordergrund. Wachstum und Arbeitsplätze zu fördern kommt dabei zu kurz
VON HANNES KOCH
Noch mehr als 2002 stand die Krise der öffentlichen Haushalte 2005 im Mittelpunkt der Koalitionsverhandlungen. Gleich zu Beginn der Gespräche legten Union und SPD die Größe des Lochs fest, das es zu schließen gelte: 35 Milliarden Euro bis 2007. Die Lösung des Haushaltsproblems erklärten die beiden großen Parteien zum Ausgangspunkt für alles andere – höheres Wachstum und Verringerung der Arbeitslosigkeit. Man hätte die Sache freilich auch andersherum betrachten können: Wie müssen die Haushalte aussehen, um das Wachstum zu steigern und mehr Jobs zu schaffen?
Dass die Koalitionäre aber eine Lösung für das erstgenannte Problem suchten, bestimmt jetzt den Inhalt des Koalitionsvertrages. Über weite Strecken drehten sich die Gespräche darum, wie mittels höherer Steuern und geringerer Ausgaben das Defizit vor allem im Bundeshaushalt verringert werden könnte. Da waren die Koalitionäre sehr kreativ: Die Mehrwertsteuer, die beim Verkauf der Produkte in den Geschäften erhoben wird, steigt 2007 von 16 auf 19 Prozent. Dadurch entzieht die neue Bundesregierung den Verbrauchern Geld, was sich nachteilig auch auf die Situation vieler Unternehmen auswirken dürfte (siehe Seite 3). Weitere rund 18 Milliarden Euro will die Regierung ihren Bürgern wegnehmen, indem sie Steuersubventionen streicht und Ausgaben einspart. Die größten Brocken bilden hier die Verringerung der Eigenheim- und Pendlerpauschale und die Halbierung des Sparerfreibetrags. Ganz zum Schluss hat die SPD dann noch ein Tabu aufgegeben, das sie den Gewerkschaften schuldig zu sein meinte: Die Lohnzuschläge für Nacht- und Sonntagsarbeit bleiben zwar steuerfrei, werden aber bald ab 25 Euro pro Stunde der Sozialversicherungspflicht unterworfen. Geld für die öffentlichen Haushalte beschaffen Union und SPD außerdem, indem sie in der Arbeitsmarktpolitik kürzen.
Dieses und anderes ist nicht dazu angetan, das Wachstum zu beschleunigen, das auch im kommenden Jahr nach der Prognose des Sachverständigenrats nur bei 1 Prozent liegen wird. Während bei den Sozialdemokraten vor allem der designierte Finanzminister Peer Steinbrück die Konsolidierung der Staatsfinanzen in den Mittelpunkt stellte, war es bei Union Angela Merkel, die sich kurz vor Ende der Koalitionsverhandlungen ihres eigenen Wahlprogramms erinnerte. Dort ist zu lesen, dass die Mehrwertsteuererhöhung von 2 Prozent nicht zum Stopfen von Budgetlöchern, sondern zur Reduzierung der Sozialversicherungsbeiträge verwendet werden sollte. So lautet der Kompromiss nun: Von den 24 zusätzlichen Mehrwertsteuer-Milliarden werden immerhin 8 dafür genutzt, um den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung um 1 Prozent zu reduzieren. Ein weiteres Prozent soll die Bundesagentur selbst aufbringen. Dass die Beiträge sinken, macht Arbeit billiger und erleichtert es den Unternehmen, neue Stellen einzurichten. Allerdings wird auch dieser potenziell wachstumsfördernde Effekte teilweise aufgefressen. Weil aufgrund der Sparpolitik keine Steuergelder für die Rentenversicherung zur Verfügung stehen, sollen dort die Beiträge 2007 von 19,5 auf 19,4 Prozent steigen.
Im Gegensatz zur grundsätzlichen Richtung der Konsolidierung hat die neue Regierung aber auch einige expansive Akzente gesetzt. Vor allem in der Endphase der Verhandlungen haben die Koalitionäre versucht, den miesepetrigen Eindruck der Sparpolitik zu verwischen und eine optimistischere Botschaft zu senden. Unter dem Stichwort „Zukunftsfonds“ haben sie viele Einzelmaßnahmen versammelt, die Bürgern und Unternehmen über vier Jahre verteilt insgesamt 25 Milliarden Euro zurückgeben sollen (siehe Seite 3).
Unter dem Strich bleibt das Primat der Sparpolitik aber erhalten – es wird weniger zusätzlich ausgeben als gekürzt. Diese Politik beruht auf dem, was Sachverständigenrat der Bundesregierung empfiehlt: Gesunde Staatsfinanzen seien die Basis des nächsten Aufschwungs. Die Minderheitenfraktion, unter anderem das gewerkschaftsorientierte Institut für Makroökonomie in Düsseldorf, dagegen hält die Haushaltskrise für eine Folge der Wachstumsschwäche.
Der Rat von dort lautet: Der Staat solle massiv investieren, wenn nötig unter Erhöhung der Neuverschuldung. Das sei keine Spinnerei, erklärt die Minderheit, sondern habe etwa in Großbritannien seit 1992 zu einem anhaltenden Aufschwung geführt.