Schauspielerin Claudia Michelsen: "Und ich so: Wer ist Godard?"

Schauspielerin Claudia Michelsen hat mit den Regisseuren Jean-Luc Godard und Heiner Müller gearbeitet. In einem Mittwoch laufenden TV-Film spielt sie eine Frau, die sich beim Stasi-Verhör verliebt.

"Ich weiß, wer mich bespitzelt hat": Schauspielerin Claudia Michelsen Bild: dpa

taz: Frau Michelsen, die taz hat es schon immer gewusst: "Die Darstellerin der Shen Te, Claudia Michelsen, wird sicher bald sehr bekannt sein. Sie hat nicht nur das Glück einer großen darstellerischen Begabung - mit enormer Bandbreite -, sondern sie verfügt auch über das kleine bißchen mehr, das die eigentliche Garantie einer glücklichen Schauspielerlaufbahn ist: sie weckt Sympathie ..."

Claudia Michelsen: Unglaublich!

Bettina Kramer, 28, ist angeklagt, durch Kontakt zu einer linken Westberliner Gruppe gegen die Interessen der DDR zu handeln. Während der acht Monate ihrer Stasi-Untersuchungshaft hat sie einen Vernehmer: Stasi-Offizier Jan Kohlfeld. Auch wenn der unerbittlich seine "Pflicht" tut, verlieben sich die beiden. Diesen Drahtseilakt meistern die Schauspieler Claudia Michelsen und Devid Striesow in einem Kammerspiel, das zum Aufregendsten gehört, was bisher im deutschen Fernsehen über Bespitzelung zu sehen war. Nach der Wende arbeitet Bettina Kramer in der Stasiopfer-Gedenkstätte, Jan Kohlfeld ist als biederer Buchhalter mit Eigenheim schon beinahe Wende-Gewinner. Als die beiden sich wiedertreffen, kommt die Liebe der "Zeit der Erinnerung" in die Quere. "Und trotzdem immer wieder 11 und 12", hatte Kramer bei den Vernehmungen auf Zettel geschrieben: die Anzahl der Buchstaben in "Du bist schön" und "Ich liebe dich." Die Umwelt jedoch kann auf dieses Schicksal nicht anders reagieren als mit der Forderung nach "Aufarbeitung".

... Es geht sogar noch weiter: "Daß die drei Götter in ihr den guten Menschen entdecken, scheint dem Zuschauer nur zu verständlich. Schließlich hatte sie ihn nach nur zehn Minuten um den Finger gewickelt. Daß er ihr nicht wieder entwischt, dafür sorgt ihr Spiel: springlebendig, hochintelligent und fesselnd auch in den schwierigen, leisen Momenten."

Wahnsinn!

Diese Lobeshymne erschien am 22. April 1989 anlässlich des 2. Theaterfestivals der DDR. Wie alt waren Sie da?

20.

Wie weit weg ist das?

Wahnsinnig weit weg. Was in der Zwischenzeit alles passiert ist!

Woran können Sie sich noch erinnern?

Das war eine Studioabschlussinszenierung von "Der gute Mensch von Sezuan", die wegen des starken Ensembles unglaublich erfolgreich war. Die Atmosphäre! Diese Lieder! Brecht macht einfach Spaß. Es war sehr körperlich. Ich hatte einen ganz langen Ledermantel an, der sehr schwer war. Und Steppschuhe. Das heißt, jeder Schritt wurde bewusst gesetzt. Das sind die markanten Erinnerungen. Komplett weiß ich's nicht mehr.

Ein halbes Jahr später fiel die Mauer - und Sie waren in Dresden, um eine Waschmaschine abzuholen.

Stimmt. Ich hab zu der Zeit in Potsdam bei der Familie meines Freunds gewohnt und bin zum Probieren immer schön um Westberlin herum gefahren - 65 Kilometer bis zur Volksbühne in Ostberlin. Und Waschmaschinen gab's damals ja nicht einfach so zu kaufen. Die waren eine Rarität, man musste sie bestellen und lange darauf warten. Die Familie meines Freundes hatte also endlich eine gekriegt - und ich hab die dann abgeholt.

Wie lange haben Sie darauf gewartet?

Ich glaube, so kurz vor der Wende nicht mehr so lange.

Wissen Sie, wie lange die Maschine in Betrieb war?

Nein, das weiß ich nicht. Ich bin danach nicht mehr so lange in Potsdam geblieben. Vielleicht hat die Familie sie ja heute noch.

Eine DDR-Waschmaschine?

Nein, das war eine gute, importierte. Eine Hoover oder so.

Können Sie sich noch an Ihren ersten größeren Kauf nach der Wende erinnern?

Pizza. Ich glaube, wir haben Pizza gegessen in der Nacht, aufm Kudamm. Das war die leckerste Pizza meines Lebens. Aber der erste wirklich große Westkauf? Keine Ahnung.

1991 haben Sie dann schon mit Godard gedreht, der Sie auf einem Foto entdeckt hatte. Wie kam es zu Ihrer Zusammenarbeit bei "Allemagne neuf zéro"?

Mein Kollege Hanns Zischler rief mich an und sagte: "Der Godard möchte dich kennenlernen." Und ich so: Wer ist das?

Sie wussten nicht, wer Godard ist?

Nein. Das ist so peinlich, ich trau mich kaum, das zuzugeben. Auch von der Nouvelle Vague hatte ich bis dato noch nichts gehört. Ich war eher eingetaucht in die Fassbinder-Ära, mit der sich für mich Welten öffneten. Man darf aber auch nicht vergessen, dass ich damals noch sehr stark in der Theaterwelt verankert war. Mit Film hatte ich nicht wirklich was zu tun.

Wie ging's dann weiter?

Ich habe ihn im Kempinski hier in Berlin getroffen und hatte natürlich vorher ganz viel über ihn gelesen. Godard sagte ja immer, er wisse nach zwei Minuten, ob er jemanden besetzt oder nicht. Genau so war's. Er hat mich kurz angeschaut und dann gesagt: "Ja, wir machen das."

Wie lang hat diese erste Begegnung gedauert?

Eine halbe Stunde vielleicht - auf keinen Fall länger.

War es eher ein Vor- oder ein Nachteil, Godard so unvorbelastet gegenüber zu treten?

Ich glaube, ein Vorteil. Ich habe nach dem Dreh einen Brief von Godard bekommen, in dem er sich unheimlich bedankt hat. Was das für eine Ehre ist, habe ich allerdings erst begriffen, als Hanns mir das irgendwann mal erklärt hat. Ich glaube, aus meiner Naivität heraus, war unser Verhältnis so gesund. Wenn Leute einen immer hofieren, dann hasst man nichts mehr und will einfach nur normal behandelt werden.

Haben Sie sich nochmal wiedergesehen?

Nein, leider nicht. Wenn ich mich richtig erinnere, gab es damals Pläne für eine weitere Zusammenarbeit, die sich leider aus gesundheitlichen Gründen zerschlagen hatten. Ich habe dann mit Heiner Müller am Deutschen Theater gearbeitet und ich wage zu behaupten, dass darüber ein Briefwechsel zwischen Godard und Müller entstanden ist.

Wegen Ihnen?

Höchstens am Rande. Godard war ein Bewunderer von Heiner Müller, und der war ein Bewunderer von Godard.

Warum so bescheiden?

Warum nicht? Ich bin nicht Schauspielerin geworden, um berühmt zu werden, sondern aus politischen Beweggründen. Wir hatten als oppositionelle Kraft eine Aufgabe in diesem Land, in diesem System. Es ging uns um diese Berufung und nicht um deren Nebenwirkungen wie heute. Ja, und dann kam die Wende und auf einmal hieß es: Jetzt machen wirEntertainment. Da waren viele Ost-Schauspieler schon ziemlich verloren - ich auch.

Sie haben diese Krise im Gegensatz zu vielen Kollegen dann aber ziemlich schnell überwunden.

Ja, weil ich festgestellt habe, dass es auch Spaß machen kann, einfach Geschichten zu erzählen, das Publikum mit auf eine Reise zu nehmen.

"In der DDR aufgewachsen zu sein, empfinde ich als Geschenk", haben Sie mal gesagt.

Das kann man leicht falsch verstehen.

Stimmt. Wie haben Sie das gemeint?

Ich empfinde es als Geschenk, weil ... - Kinderpsychologen sagen nicht umsonst, dass Kinder sich langweilen müssen. Langeweile ist wichtig für die Entwicklung von Fantasie und Kreativität. Weil es in der DDR vieles von dem, womit Kinder heute überfordert werden einfach nicht gab - in Dresden gab es ja noch nicht mal Westfernsehen -, habe ich zum Beispiel mit 12 Jahren "Nathan der Weise" komplett auf Tonband gelesen und das Stück und Lessing für mich auseinandergenommen.

Denken Sie häufig an früher?

Ja, aber noch nicht so lange. Ich habe an mir beobachtet, wie ich eine Sehnsucht nach meiner eigenen Vergangenheit entwickelt habe - ohne sie zu verklären. Für die Rückbesinnung auf meine eigene Vergangenheit war nie Zeit. Wir sind nach 1989 immer nur gerannt - vielleicht ist jetzt der Zeitpunkt erreicht, mal innezuhalten und sich zu fragen, wo man denn eigentlich herkommt, wer man ist.

In dem Fernsehfilm "12 heißt: Ich liebe dich", der heute Abend im Ersten läuft, spielen Sie eine Frau, die sich in der Untersuchungshaft in den Stasi-Offizier verliebt, der sie verhört. Was dachten Sie, als Sie zum ersten Mal von dem Plot gehört haben?

Oh Gott, Pilcher im Stasi-Milieu!

Das Drehbuch basiert auf einer wahren Geschichte ...

... und war zum Glück ganz anders als ich befürchtet hatte: komplett schnörkellos und überhaupt nicht kitschig.

Wie nah an den Tatsachen ist denn der Film?

Wie nah er an den Tatsachen ist, weiß ich nicht. Aber ich weiß, dass er ganz nah an dem gleichnamigen Buch ist, das Regina und Uwe Karlstedt über ihre Geschichte geschrieben haben. Die Drehbuchautorin Scarlett Kleint hat das Buch mit den beiden zusammen entwickelt und immer wieder besprochen.

Haben Sie nachvollziehen können, warum sich die beiden ineinander verliebt haben? Damit lässt der Film den Zuschauer ein wenig allein.

Aber es gibt doch keine allgemeingültige Formel dafür, wie Liebe sichtbar gemacht werden sollte. Fakt ist: Sie liebt ihn - was auch immer, wodurch auch immer. Beide leben zusammen, ziemlich glücklich sogar, und versuchen ihre Geschichte aufzuarbeiten. Hut ab!

Sie haben die Karlstedts auch getroffen, oder?

Ja, aber nur einmal in großer Runde von zehn, zwölf Leuten. Wir saßen den beiden an einem langen Tisch gegenüber. Und so ergaben sich dann auch hauptsächlich Zweiergespräche. Devid hat mit ihm gesprochen, und ich habe ihr alle meine Fragen gestellt, zum Beispiel über Ihre Haftzeit, die im Film weitgehend ausgeklammert wird.

Gab es nicht das Bedürfnis, sich noch einmal in Ruhe unter acht Augen zu treffen?

Doch, zuerst schon, aber dann waren wir schon zu tief in dem Prozess drin, in dem wir aus der Geschichte der Karlstedts endlich unsere eigene machen mussten. Da hätte uns ein Treffen nur wieder rausgerissen.

Opferverbände sehen durch den Film Stasi-Verbrechen verharmlost. Warum?

Ich glaube, aus einer Angst heraus, dass die Macht des Systems, unter dem sie gelitten haben, verweichlicht werden könnte. Und weil darin ein Stasi-Offizier als Mensch dargestellt wird. Ich verstehe diese Angst. Der Film will aber in keinster Weise verharmlosen. Ich hoffe sehr, dass diese Menschen sich trotzdem dem Film und seiner Geschichte öffen können. Auch meinen Umgang mit alten Positionierungen hat die Geschichte der beiden ins Wanken gebracht. Ich glaube, man braucht eine neue Form von Sensibilität, was den Umgang mit der jüngeren deutschen Geschichte betrifft.

Hatten Sie selber auch mit der Stasi zu tun?

Natürlich wurde ich auch bespitzelt, an der Schauspielschule und später am Theater, und hatte Freunde, die arbeitslos wurden, weil sie einen Ausreiseantrag gestellt hatten oder sogar in Bautzen einsaßen. Und kaum war ich 18, wollten sie mich dann auch für die Partei werben.

Haben Sie Ihre Stasi-Akte angefordert?

Nein. Ich weiß, wer mich bespitzelt hat. Das reicht mir.

Warum?

Weil ich keine wirkliche Notwendigkeit sehe. Es wäre was anderes, wenn ich unter der Stasi gelitten hätte. Aber unter diesen Umständen ist es mir lieber, manche Dinge gar nicht so genau zu wissen. Auf den großen Aha-Effekt kann ich gut verzichten.

Derzeit hat die "Berliner Zeitung" mit der Stasi-Vergangenheit einiger Mitarbeiter zu kämpfen.

Das bestätigt nur, dass uns dieses Thema noch lange beschäftigen wird. Wer weiß schon, wie viele Leute noch Dreck am Stecken haben und unerkannt unter uns leben!

Was soll die "Berliner Zeitung" nun tun?

Aufklären natürlich. Aber Sie sehen, auch da kommen wir wieder in die Situation von Richtern und Gerichteten. Ich wünsche den Menschen in den entsprechenden Positionen die Fähigkeit, damit gut umzugehen.

INTERVIEW: DAVID DENK

Fernsehfilm "12 heißt: Ich liebe dich", Mittwoch, 20.15 Uhr, ARD

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