Vorwahlen der US-Demokraten: Entscheidung im Rostgürtel

Die nächste Runde der Vorwahlen. In Pennsylvania liegt Clinton vor Obama. Hier wünschen sich Wählerinnen wie Pat Kelley und Ersula Cosby einen Neuanfang.

Pat Kelley würde gern "mit Hillary einen Kaffee trinken gehen" - "Obama muss gewinnen", sagt Wahlkampfhelferin Ersula Cosby. Bild: ap

PENNSYLVANIA taz Wie ein schwerer Riegel liegt Pennsylvania im Nordosten der USA. Umgeben von quirligen und reichen Bundesstaaten wie New Jersey und New York, wirkt Pennsylvania wie ein Flickenteppich der Industriegeschichte: Das gute Stück ist zu oft ausgebessert worden, es will einfach nicht mehr glänzen. Nur sein westlicher Nachbar Ohio wurde noch härter getroffen vom Zusammenbruch der US-amerikanischen Schwerindustrie. Gemeinsam bilden sie das Herzstück des sogenannten Rostgürtels.

Wer hier aufgewachsen ist, dessen Eltern und Großeltern gingen morgens ins Stahlwerk, am Wochenende zur katholischen Messe und danach zum Barbecue ins Gewerkschaftslokal. Bescheidener Wohlstand, ein Häuschen und ein Auto waren mit diesem Leben zu finanzieren. "Ach, das ist schon lange Geschichte" sagt Pat Kelley und winkt ab, "die Jobs sind weg, meiner bald auch."

Pat Kelley lebt in Bristol, die Vorstadt im Norden von Philadelphia hat es einst zu einer ansehnlichen Hauptstraße mit Backsteinfassaden und weißen Holzvorbauten gebracht. Einige Läden stehen leer, in anderen werden Haarverlängerungen oder Tattoos angeboten. In Bristol ist Kelley aufgewachsen. Vor kurzem kam hier Hillary vorbei, die demokratische Präsidentschaftsbewerberin, und stellte ihr Wahlprogramm für eine bessere Zukunft vor. Pat Kelley ist hingegangen, um der ehemaligen First Lady zuzujubeln. Sie wurde nicht enttäuscht. "Die ist ja so dynamisch und freundlich", schwärmt die 60-Jährige, "das ist ein Mensch, mit dem ich mich gerne zu einer Tasse Kaffee treffen würde." Am Sonntag war sie den ganzen Tag unterwegs, hat für die Hillary-Kampagne Wahlzettel verteilt und Leute angerufen. Denn am Dienstag wird sich hier in Pennsylvania entscheiden, wie es weitergeht für die beiden demokratischen Präsidentschaftskandidaten Clinton und Obama.

Pat Kelley glaubt nicht an Wunder, aber an das Beharrungsvermögen hart arbeitender Frauen. Sie hat zwei Kinder großgezogen, Nachtschichten in einem Zeitungsverlag geschoben, die Eltern gepflegt, sich von ihrem Mann getrennt, derzeit hofft sie darauf, dass ihr Job wenigstens so lange existiert, bis sie in Rente geht. Sie ist heilfroh, dass sie nie im Stahlwerk von Fairless Hill gearbeitet hat, wie ihre Schwester, ihre Schulfreundinnen und deren Ehemänner. Das Werk wurde vor Jahren plötzlich geschlossen. "Das war eine sehr schwierige Zeit für uns in Bristol, aber die Dinge haben sich ganz langsam wieder etwas gebessert." Ihr Schwager hat jetzt eine Stelle als Elektriker in einem Vergnügungspark, ihre Schwester arbeitet bei einem Windturbinenhersteller. Pat Kelley war nie arbeitslos, ihr aktueller Job entspricht dem Zeitgeist: Sie verkauft Hypotheken.

"Wir sind aber nicht die Schlimmen", beeilt sie sich zu sagen, "ich lege niemanden rein, ich verkaufe den Leuten nur seriöse Kredite." Doch dafür hat in Bristol kaum noch jemand die notwendigen Sicherheiten. "Das Geschäft geht schlecht", sagt Kelley, "um mich herum baut die Firma Jobs ab. Ich hoffe, ich kann noch eine Weile bleiben. Wissen Sie, ich kann gut mit den Leuten hier, ich verstehe sie eben." Verstehen ist eine wichtige Kategorie. "Hillary versteht uns, sie hat das erlebt, was ich erlebt habe, in den 70ern, die langen Schlangen an den Tankstellen, als das Öl zum ersten Mal knapp war. Das Auf und Ab," sagt Pat Kelley und wedelt nach Beispielen suchend mit der Hand. Barack Obama, da ist sie sich ganz sicher, ist einfach noch zu jung, um das alles zu verstehen.

Sie mag ihn eigentlich. Aber sie bewundert Hillary. Schon als sie die smarte First Lady war. Denn Hillary ist all das, was eine Frau wie Pat nicht sein konnte: Gebildet, erfolgreich und mit einem Mann gesegnet, der zwar nicht treu, aber wenigstens fähig ist. Er war der beste Präsident, an den Pat sich erinnern kann. "Klar, mit Hillary hoffe ich, Bill zurückzubekommen", gibt sie unumwunden zu. "Es war ein schönes Lebensgefühl mit ihm, alles ging bergauf."

Das Bill Clinton wegen seiner Affäre mit Monika Lewinsky gelogen hat, dass Hillary kürzlich über ihren angeblichen Auftritt unter Heckenschützenfeuer in Bosnien gelogen hat, das war "dumm, aber daran sind die Berater schuld", ist sich Pat Kelley ganz sicher. "Wir machen doch alle mal Dummheiten." Dass Hillary anfänglich die Pläne George W. Bushs für den Angriffskrieg auf den Irak unterstützt hat, "kann ich verstehen, ich hätte auch so entschieden". Auch dieser Krieg sei dumm, aber nicht so ein großes Problem wie die Wirtschaftskrise. Ihr Problem.

Was sie Barack Obama nicht verzeihen kann, ist, dass er Bill Clinton schlechtgemacht hat. Das fühlt sich für sie an, als wäre ihr Sohn respektlos. Und dann hat sie noch gehört, dass sich Obama weigert, die US-Flagge als Anstecknadel zu tragen. "Das macht mir Sorgen," sagt Pat Kelley. Es klingt, als habe das etwas mit ihrer Zukunft zu tun. Bei Hillary sei das etwas ganz anderes. "Von uns Frauen erwartet man ja nicht, dass wir das immer tragen", meint sie und lacht. Sie selbst hat heute einen Hillary-Aufkleber auf ihre Bluse geheftet und dazu ihren Namen geschrieben, damit die Leute, die sie an der Haustür anspricht gleich sehen, wie sie heißt.

Zehn Autominuten entfernt, in Levittown, packt Ersula Cosby gerade die letzten Adresslisten für die Obama-Kampagne in Briefumschläge und verteilt sie an ehrenamtliche Wahlhelfer. Die junge Frau ist in Pennsylvanias Westen, in der Stahlstadt Pittsburgh aufgewachsen und kam vor vier Jahren zum Studium in die Vorortlandschaften Philadelphias. "Fürchterlich ist das hier," sagt sie. Inzwischen sieht sie das entspannter, denn mit dem Wahlkampf hat sich ihr Leben verändert. Bis vor wenigen Wochen war die Arbeitersiedlung Levittown für sie nur eine Schlafadresse. Mit dem Zug fuhr sie zur Uni, um dort Jura zu studieren, tagsüber jobbte sie als Texterin für Gebrauchsanweisungen, und an den Wochenenden fuhr sie zu Freunden nach Philadelphia oder zu ihrem Bruder nach New York. Bloß nicht in Levittown versauern!

Die Siedlung wurde in den 50er-Jahren als amerikanisches Arbeiterparadies gebaut. Kleine Einfamilienhäuser mit ein bisschen Garten drumherum, genau 17.311 von ihnen, in vier verschiedenen Ausführungen, günstig zu haben. Dazu lange Einkaufszeilen auf dem grünen Rasen, hier und da eine Schule. Acht Kilometer weiter nördlich stampfte einst das Stahlwerk Fairless Works, angetrieben von der Arbeitskraft der 10.000 Levittowner, die dort gute Jobs hatten.

Einst, damals, früher. Heute hängt an jedem dritten Haus ein Schild "Zu verkaufen". Oder, schlimmer noch, es findet sich im kostenlosen Lokalblättchen in der langen Liste der Zwangsversteigerungen.

Ersula Cosby wollte damit nichts zu tun haben. Als sie nach Levittown zog, erzählte man ihr gleich, dass diese Siedlung, geplant und verkauft von ihrem Erbauer William Levitt, nur für Weiße gedacht worden war. Die erste schwarze Familie, die es wagte, hier ein Haus zu kaufen, wurde in den 70ern noch mit Steinen beworfen. "In diesen Häusern leben jetzt die Kinder derjenigen, die hier in den 50er-Jahren eingezogen sind," sagt Ersula, sie zeigt auf eine Reihe niedriger Holzhäuser, in den Gärten stehen Plastikrutschen.

Anfang März hat sie gehört, dass Barack Obama in der Siedlung ein Wahlkampfbüro aufmachen will und Helfer sucht. Aus Neugier ging sie zur Gründungsversammlung. Es war das erste Mal, dass sie irgendetwas unternahm, was direkt bei ihr um die Ecke stattfand. Seitdem steht Ersulas Leben auf dem Kopf.

Weil sie gerne organisiert, "saugte" das kleine Team sie auf, erzählt sie, während sie ihre Umschläge packt. Eigentlich hatte sie vor, im April ihre eigene Anwaltskanzlei zu eröffnen. Erst kürzlich hatte sie die Zulassung bekommen, einige Klienten hat sie schon. "Die Termine habe ich alle auf nach der Wahl in Pennsylvania verschoben", sagt sie. "Vielleicht verschiebe ich sie sogar noch weiter, weil ich für Obama auch in North Carolina arbeiten will. Mann, ich kriege nicht mal Geld dafür, aber das ist mehr wert als jedes Gehalt." Während sie spricht, jagt sie ein Fax raus, und während zwei Telefone ununterbrochen klingeln, verteilt sie an einige Ehrenamtliche die Adresslisten, die die für das "Canvassing", das Von-Tür-zu-Tür-Gehen brauchen.

Die Zukunft kann warten, der Moment ist zu schön. Ersula hat in dem kleinen schäbigen Wahlkampfbüro neue Freunde gefunden. "Ich wusste gar nicht, dass hier in der Gegend so viele nette, progressive, engagierte Menschen leben", schwärmt sie. Gemeinsam wollen sie für Obama kämpfen. "Er muss gewinnen, es steht so viel auf dem Spiel," sagt Ersula und erklärt in hastigen Sätzen, wie Obama alles verändern wird. "Es fühlt sich einfach gut an mit ihm," sagt sie nach einer Weile, um all das zusammenzufassen, was sie zu erklären suchte.

Plötzlich möchte sie den Levittowern helfen, obwohl viele ihr nicht mal aufmachen, wenn sie die junge schwarze Frau draußen vor der Tür sehen. Sie möchte mit ihnen reden, obwohl ein Mann sie neulich als "Nigger" beschimpft hat. Sie möchte glauben, dass all das zu überwinden ist, wovor sie die ganzen vier Jahre jedes Wochenende mit dem Zug geflohen ist. Damals, bevor Obama in ihr Leben trat, war sie sich sicher, dass Levittown nicht zu helfen ist.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.