Zwei Fotografie-Ausstellungen: Roma und Sinti neu betrachtet

Das Bild über Roma und Sinti ist seit jeher mit Vorurteilen behaftet. Dass es auch anders geht, zeigen die Fotografen Rogier Fokke und Joakim Eskildsen.

Die junge Frau mit den klassischen Zügen und dem dezenten Make-up könnte Doktorandin sein. Fotograf Rogier Fokke, der die Sintiza Silvana Lafertin aus Antwerpen porträtierte, betonte ihren urbanen Stil und ihre Selbstsicherheit. Ortansa Stanescu mit Tochter und Baby, alle drei Roma aus der Bukowina, wurden dagegen von Joakim Eskildsen inmitten ihrer Welt aufgenommen. Mit zerzausten Zöpfen und Kopftuch stehen sie vor ihren Wohnzelten, dahinter das weite Land. Trotz des unterschiedlichen künstlerischen Ansatzes verfolgen beide Fotografen das gleiche Ziel. Sie wollen Vorurteile über die Sinti und Roma abbauen und Sympathie für sie wecken, werden doch diese Minderheiten von vielen Mitbürgern bis heute ausgegrenzt. Selbst hierzulande kommt das vor, die Ermordung von über 500.000 Sinti und Roma durch die Nationalsozialisten wird verdrängt. Als die Rezensentin eine seit Jahren ortsansässige Sintifamilie besuchte und nach dem Weg fragte, erhielt sie zur Antwort: "Da hinten, wo Unordnung und Durcheinander sind." Doch "da hinten" war nur penible Sauberkeit auszumachen.

Um solche Stereotypen zu entkräften, fotografiert Rogier Fokke einzelne Personen und betont ihre Individualität. Er leuchtet die Gesichter bis ins kleinste Fältchen aus und kriecht mit seiner Plattenkamera in sie hinein, so dass sich die imaginierte Fremdartigkeit des "Zigeuners" in Luft auflöst. Joakim Eskildsen will Bewunderung für die Fantasie wecken, mit der die Menschen ihren Alltag voller Armut bewältigen. Neben sechs europäischen Ländern bereiste er Indien, das als Ursprungsland der Roma gilt, weil ihre Sprache Romanes mit dem Sanskrit verwandt scheint. Im Mittelalter emigrierten sie in Wellen, 1407 wurden sie in einer Hildesheimer Urkunde erstmals erwähnt, und bereits 1498 erklärte sie ein Reichstag für vogelfrei.

Dreißig der farbigen Porträts von Rogier Fokke sind nun im "Dokumentations- und Kulturzentrum deutscher Sinti und Roma" in der Heidelberger Altstadt zu sehen. Schon durch ihre Vergrößerung auf bis zu drei mal drei Meter hinterlassen sie einen bleibenden Eindruck. Ein mutiges Projekt, weil fast ohne Erläuterungen, der niederländische Katalog ist nicht übersetzt. Die meisten der abgelichteten Frauen und Männer sind Sinti mit holländischem oder belgischem Pass. Den Hintergrund der Porträts wählte Fokke einheitlich dunkel. Da die gedeckten Kleider nur ansatzweise sichtbar sind, geht alle Ausstrahlung von den en face oder im Halbprofil aufgenommenen Gesichtern aus. Genauer: von den braunen, grauen oder blauen Augen, die uns auf gleicher Augenhöhe lächelnd oder ernst fixieren.

Menschen in ihrer Würde blicken uns an, Ebenbilder, auch wenn sie eine eigene Kultur leben, wie es die 22-jährige Heidi Weis ausdrückt: "Ik ben anders, wij zijn anders. Wij hebben onze eigen taal (Sprache) en onze eigen muziek." Offenbar will Fokke aber auch die Würde der Fotografie retten, die sich allzu häufig auf diskriminierende Sensationen stürzt und historisch von den Nazis perfide missbraucht wurde. In der Dauerausstellung des Heidelberger Zentrums über das Martyrium der Sinti und Roma sieht man Fotos mit absurden Kopfvermessungen, die die angebliche rassische Minderwertigkeit der "Zigeuner" belegen sollten. Die Sonderausstellung mit dem Titel "Paramisa", dem Romanes-Wort für "Erzählungen", gibt den Menschen ihr Gesicht zurück.

Anders als Fokke inszeniert Joakim Eskildsen seine Aufnahmen kaum. Über zweihundert sind zu einem Bildband vereinigt, die beeindruckendsten entstanden im armen Osteuropa. Sie spiegeln alle Facetten des Romalebens, das sich an den zerfaserten Rändern der Städte, unter Stromleitungen, zwischen Bahngleisen und Industriebrachen abspielt, da, wo die Wege bei Regen matschig werden. Den sieben Länderkonvoluten sind Texte vorangestellt, die die Geschichte der jeweiligen Minderheit streifen. Immer ist diese eine der Vertreibungen und Ausgrenzungen und straft das Gerücht von einem Wandertrieb Lügen. Der Buchtitel "Die Romareisen" führt daher in die Irre, denn freiwillig reisen die Familien allenfalls im Sommer, um bei der Ernte zu helfen, Schmiedearbeiten auszuführen oder auf Festen zu spielen.

Es reisten also vor allem die Autoren, und wir reisen im Lesesessel mit ihnen. Von einer so gemütlichen Warte aus erhält Armut leicht eine romantische Note, zumal sie in farbenfrohen Gewändern auftritt. Wie zarte Blumen wirken die Mädchen mit ihren gemusterten Kleidern und Ohrgehängen vor den Wänden aus Brettern oder bröckelndem Putz. Mütter und Omas in bunten Kittelschürzen haben gehäkelte Spitzendecken unter den Fernseher gelegt und die tagsüber gestapelten Schlafmatten mit schönen Stoffen bezogen. Männer improvisieren Schaukeln für die zerzausten, fröhlich lachenden Kinder.

Die von Eskildsen eingefangene Geborgenheit in der Großfamilie könnte fast neidisch machen, trotz des Wissens, dass sie auch einengt. Wenn dann der Schnee alle Dürftigkeit einhüllt, kann man die bittere Kälte kaum wirklich nachempfinden. Der zweite Blick sieht dann zwar tiefer, sieht ein rachitisches Kind oder die Resignation in den Augen einer Frau, die den Abwasch im Freien besorgt. Doch Fotos allein, zumal im perfekten Farbdruck, würden einen geschönten Eindruck vermitteln.

Cia Rinne, die wie Joakim Eskildsen wochenlang in den Romasiedlungen lebte, schildert deshalb die am eigenen Leib erfahrenen täglichen Mühen. Gegen die nächtlichen Besuche der Ratten auch bei penibelster Ordnung ist man machtlos, ebenso gegen die Willkür von Polizei oder Miliz. In Osteuropa, vor allem in Russland, sind Vertreibungen die Regel, was den Schulbesuch der Kinder immer wieder unterbricht und die Organisierung der Roma erschwert. Doch eine Interessenvertretung ist enorm wichtig, die etwa 70.000 deutschen Sinti haben das erfahren. Erst als ihre besser ausgebildeten Töchter und Söhne aktiv wurden, indem sie durch einen Hungerstreik in Dachau auf ihre verfassungswidrige Situation und die Diskriminierung ihrer Kultur hinwiesen und 1982 den "Zentralrat Deutscher Sinti und Roma" gründeten, wurden sie politisch als nationale Minderheit anerkannt.

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