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Archiv-Artikel

Schläger statt Krücken

Nur vier Wochen nach seinem Bänderriss steht Roger Federer wieder auf dem Tennisplatz – und gewinnt: Im Eröffnungsspiel des Masters Cups lässt er David Nalbandian am Ende keine Chance

AUS SCHANGHAI DORIS HENKEL

Da kennt er nichts, der Chinese. Wenn er glaubt, einer Sache auf der Spur zu sein, dann setzt er nach. Gerade hatte Roger Federer nach dem Eröffnungsspiel des Masters Cups 2005 von seiner Freude und Erleichterung über den ersten Auftritt nach sechs Wochen Pause berichtet, aber die Zweifel eines jungen Berichterstatters aus Schanghai waren damit offensichtlich nicht ganz ausgeräumt. Der fragte: „Es gibt Gerüchte, dass Sie wegen Ihrer Fußverletzung nach der ersten Runde aufgeben. Das werden Sie doch nicht tun?“ Federer lächelte. „Ich werde nicht aufgeben. Das kann ich Ihnen versichern. Und ganz China dazu“.

Keine Frage, sie haben sich ernste Sorgen gemacht. Sie stellten sich nicht so sehr die Frage, wie gut er in Form sein, sondern ob er überhaupt in der Lage sein würde, keine vier Wochen nach einem Bänderriss im rechten Sprunggelenk wieder ernsthaft Tennis zu spielen. Nicht nur weil vier Wochen eine ziemlich kurze Zeitspanne sind, sondern auch weil das in die ganze verflixte Dramaturgie des letzten Turniers des Jahres zu passen schien. Sensibilisiert durch die Absagen von Marat Safin, Lleyton Hewitt und Andy Roddick fürchteten die Gastgeber bis zuletzt den größten anzunehmenden Ausfall, den der Nummer eins.

Noch am Tag vor dem ersten Spiel meinte Federer: „Ich habe alles dafür getan, um dabei sein zu können, aber ich war lange Zeit nicht sicher, ob es klappen würde, und deshalb sind meine Erwartungen jetzt eher niedrig.“ Es gehe ihm zwar gut und er könne seit einigen Tagen schmerzfrei trainieren, aber weitere Erkenntnisse werde man nach der Partie gegen David Nalbandian haben. Nun ja, beim Sieg am Sonntag gegen den Nachrücker aus Argentinien (6:3, 2:6, 6:4) klappte zwar noch nicht alles wie gewohnt, aber Federer sah wirklich nicht wie einer aus, der noch vor drei Wochen an Krücken gegangen war.

Den lädierten Fuß von einem Tapeverband unter der Socke und einer festen schwarzen Manschette darüber geschützt, bewegte er sich von Anfang bis Ende gut und sicher. Er probierte viel – vieles gelang, manches nicht –, genoss den ersten Auftritt seit Anfang Oktober und spielte bezeichnenderweise am besten, als die Gefahr beim Rückstand von 1:3 im dritten Satz am größten war. In der letzten Viertelstunde der Partie belohnten ihn die Fans in der Qi Zhong Arena, Chinas wunderbarem neuen Tennistempel, wie es ihre Art ist, mit lautem „Aaah!“ und „Oooh!“.

So gab es nach dem letzten Punkt im ersten Spiel beim Masters Cup 2005 für Roger Federer mehr als nur einen Grund, froh und erleichtert zu sein. Das sei definitiv einer der besten Momente seiner Karriere, meinte er, nach der schwersten Verletzung, die er je gehabt habe, zurückzukehren und im ersten Spiel in diesem neuen Stadion auf Anhieb zu gewinnen.

So weit, so gut – demnächst mehr am Dienstag in der zweiten Partie gegen den Kroaten Ivan Ljubicic, den erfolgreichsten Tennisspieler des Monats Oktober. Vom berühmten Landsmann Goran Ivanisevic hatte der den Tipp bekommen, das sei zwar beim Masters Cup mit den Gruppenspielen ein anderes Turnierformat als gewöhnlich, aber es gelte dabei dasselbe Prinzip: Du musst gewinnen. Was Ljubicic am ersten Tag der roten Gruppe beim klaren Erfolg gegen Guillermo Coria schon mal spielend gelang.

Die Herren aus der so genannten goldenen Gruppe gehen heute ans Werk. Auch Andre Agassi, der wie jeder der sieben Konkurrenten in Schanghai am Ende eines kräftezehrenden Jahres nicht fit ist. Dass ihm immer wieder der Ischiasnerv zu schaffen macht, ist bekannt, aber vor vier Wochen ist er zudem ein Opfer der Umstände geworden. Als die Gattin mit den lieben Kleinen in Deutschland weilte, sei es ihm allein zu Hause zu langweilig geworden, berichtete er. Deshalb habe er eine Runde Racquetball gespielt – ein Mix aus Tennis und Squash –, und dabei sei er umgeknickt. „Nicht gerade die ideale Vorbereitung“, wie er mit einem Hauch von Sarkasmus bemerkte.