Lustiger wird’s nicht

BRAUCHTUM Noch kürzer, noch leiser, noch sauberer, noch unauffälliger: Der Berliner Faschingszug stellt selbst hartgesottene Fans in der Karnevalsdiaspora auf die Probe

Zum Aufwärmen stoßen sie mit Kurzen an, die Erdbeere macht Fotos

VON SUSANNE MEMARNIA

Um 11.11 Uhr meldet sich als Erstes die Polizei. „Bitte gehen Sie von der Fahrbahn!“, befiehlt eine barsche Lautsprecherstimme – als ob sie einen wild gewordenen Mob beruhigen müsste. Dabei stehen grade mal einige hundert Schaulustige auf der Hardenbergstraße am Bahnhof Zoo. Friedlich und vor allem nüchtern wartet die Menge auf den Faschingszug. Verkleidet sind meist nur die Kinder, gesungen wird nicht, Getränke muss man selber mitbringen.

Freunde des närrischen Treibens haben es von jeher schwer in der Hauptstadt des Preußentums. Aber in den letzten Jahren werde es immer trauriger, sagt Bettina Schnell, gebürtige Berlinerin, die seit 30 Jahren Karneval feiert, vorzugsweise im Rheinland. „Es gibt keine laute Musik, weil sich die Hotels beschweren, kein Konfetti, weil die BSR da nicht mitmacht – und die Route ist auch anders wegen des neuen Hotels.“ Die Enddreißigerin im Clownskostüm zeigt in Richtung Waldorf-Astoria. Sobald ihre Tochter Laura älter sei, führen sie wieder nach Düsseldorf zum Feiern, fährt sie fort, und streichelt der achtjährigen Prinzessin über den Kopf. „CSD und Karneval der Kulturen werden groß gemacht, aber hier geht nichts. Das ist das Gegenteil von Toleranz“, ergänzt kopfschüttelnd Ehemann Dirk, ein Matrose mit schwarzer Wollmütze.

Tatsächlich kämpft der Berliner Faschingszug seit dem vorigen Jahr mit verschärften Lärmvorschriften. Weil er – anders als Karneval der Kulturen und CSD – von der Verwaltung nicht als „kulturell bedeutsam“ eingestuft wird, darf die Lärmobergrenze an diesem Sonntag 75 Dezibel nicht überschreiten. Konfetti wird seit Jahren nicht mehr geworfen, die Beseitigung durch die BSR wäre zu teuer. Schon so kostet der Umzug nach Angaben des Festkomitees 40.000 Euro, die die Vereine aufbringen müssten – das Land Berlin gibt keine Unterstützung. Der Gipfel für Berliner Narren aber ist, dass der RBB in diesem Jahr erstmals nicht mehr live berichtet. Dabei sei der Zug vor zwei Jahren extra wegen der Übertragung eine Woche vor den Karneval im Rest der Republik verlegt worden, beklagte sich ein Brandenburger Narr im Tagesspiegel.

Die Widrigkeiten der Berliner Politik sind selbstredend auch Thema bei dem Umzug, der sich gegen 11.30 Uhr vom Steinplatz in Richtung Zoo in Bewegung setzt. Viele der 50 mitlaufenden Gruppen befassen sich – getreu dem diesjährigen Motto „BERlin – Hei-Jo: Wir starten durch!“ – mit dem Hauptstadtflughafen-Desaster. Die Rosengarde etwa titelt auf ihrem Wagen: „Sie kriegen ihn nicht hoch“ (fast wortgleich lautete vor einem Jahr auch eine taz-Schlagzeile). Dazu läuft aus dem Lautsprecher das rheinische Karnevalslied „Schade, dat is aber schade“. Ein paar Gruppen später versucht der Sprecher des Carneval Clubs Lichtenberg (CCL), Stimmung zu machen: „Es fliegt noch nichts vom BER, aber hier fliegt gleich was, wenn eure Arme in die Luft fliegen“, animiert er die Zuschauer, sich nach Kamelle zu strecken.

Die Zunge rausstrecken

Der Einheizer der Rüdersdorfer Karnevals Gesellschaft fordert die Menge dagegen auf, mit ihren Smartphones Fotos vom Umzug zu machen und an den RBB zu mailen. „Damit die sehen, was sie hier verpassen.“ Trotzig klingt auch das Lied, das er zuvor angestimmt hat, mit dem Refrain: „Ich setz mir eine Nase auf, streck der Welt die Zunge raus.“ Das hebt weder am Straßenrand die Stimmung noch die der sieben langbeinigen Funkenmariechen, die – in einer Reihe untergehakt – dem schnauzbärtigen Sänger folgen.

Aber gute Laune bringt man als geübter Narr ohnehin selber mit. So wie Silvia Großmann und ihre vier Freundinnen: „Wir verkleiden uns einfach gerne“, erklärt die grün-blaue Raupe strahlend. Marienkäfer Monika Affeld ergänzt: „Wir feiern seit über zehn Jahren zusammen.“ Man kenne sich vom Dauercampen in Kagel-Finkenstein östlich von Berlin, da feierten sie auch im August Weihnachten und im April noch mal Fasching. Aber im Prinzip sei Karneval in Berlin schon eine traurige Sache, so Affeld: „Die Berliner feiern nicht so gerne.“ Die Frauen schon: Zum Aufwärmen stoßen sie mit Kurzen an, die Erdbeere macht Fotos.

Eine gute Stunde nach Beginn biegt um halb eins die letzte Gruppe um die Ecke Hardenberg-/Joachimstaler Straße. Vom schwarz-gelben Wagen des Berliner Karnevals-Verein 1968 e. V. verteilt das Prinzenpaar Frank I. und Claudia I. großzügig Kamelle. Zwischendurch nestelt Claudia an dem voluminösen weißen Schal um ihren Hals. Die Prinzessin hat sich erkältet.

Und dann kommen die Kehrmännchen eines privaten Reinigungsdienstes. Mit lautem Gebläse treiben sie den wenigen Müll vom Bürgersteig auf die Straße, wo ihn die Wagen sogleich einsammeln. Marienkäferfrau Monika Affeld zieht eine gemischte Bilanz: „Schön war’s. Aber noch kürzer als sonst.“ Und eilt fort in Richtung Ku’damm, um den Zug noch einmal zu sehen.