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Archiv-Artikel

Sparzwang gefährdet Kita-Wohlstand Ost

Gemessen an West-Verhältnissen leistet sich der Osten ein vorbildliches Kita-System. Doch das Geld wird auch hier knapper. Thüringen führte jetzt ein Sparprogramm ein. Und Sachsens Novelle ist nicht so fortschrittlich wie sie scheint

Kleine Kinder sollen besser gefördert werden – Geld steht dafür aber nicht bereit

DRESDEN taz ■ Die Kita-Gesetzgebung im Osten ist in Bewegung gekommen. Während Sachsen in dieser Woche fast unkommentiert ein neues Kindertagesstättengesetz verabschiedet hat, schwillt in Thüringen der Proteststurm gegen die so genannte „Familienoffensive“ der Landesregierung an.

Noch herrschen in beiden Bundesländern Zustände, um die sie manches Westelternpaar beneidet. Denn der Osten leistet, einer guten DDR-Tradition folgend, in Sachen Kinderbetreuung weit mehr als der Westen. In Niedersachsen besuchen nur knapp vier Fünftel der Kinder einen Kindergarten, während dies in Sachsen so gut wie alle Kinder tun. Die Relationen fallen bei der Krippen- und Hortbetreuung noch unterschiedlicher aus.

Doch zunehmend kämpfen auch die Politiker in den neuen Bundesländern mit einem Dilemma: Einerseits wollen sie Geburten, Familien und frühkindliche Bildung fördern, andererseits müssen sie immer strenger sparen.

Die Kinderbetreuung gehört deshalb zu den Nutznießern der West-Ost-Transfers, die am heftigsten attackiert und zugleich am leidenschaftlichsten verteidigt werden. In Sachsen-Anhalt reagierten Opposition und Bürgerinitiativen auf eine vergleichsweise geringe Einschränkung des bundesweit einmaligen Rechtsanspruchs auf einen Krippenplatz mit einem Volksbegehren. Der Volksentscheid scheiterte allerdings zu Jahresbeginn 2005 knapp.

Thüringen hat sich nun für seine Rationalisierungspläne eine wohlklingende Verpackung einfallen lassen. So zahlt es eine Geburtenprämie von 1.000 Euro je Kind an die Kommunen. Das bis zum vollendeten dritten Lebensjahr gezahlte Landeserziehungsgeld von 150 Euro wird für jedes weitere Kind um 50 Euro bis auf 300 Euro maximal erhöht. Wer seine Kinder in die Krippe schickt, verliert zwar den Anspruch auf die 150 Euro, nicht aber auf die Erhöhungsbeträge ab dem zweiten Kind. Sozialminister Klaus Zeh (CDU) rechnete vor, dass so die Kindergartenbeiträge für Mehrkindfamilien erheblich reduziert würden.

Seinem Kollegen, dem Kultusminister Jens Goebel, blieb es allerdings vorbehalten, den Preis dafür zu verkünden. Etwa 50 Millionen Euro soll das Vorhaben kosten. Das Land hat plötzlich 20 Prozent Überkapazitäten bei den geförderten Kitas entdeckt. Personalkosten will es künftig nur noch nach der Zahl der Kinder und nicht mehr nach der Zahl der Betreuungsgruppen übernehmen.

„Eine Milchmädchenrechnung“, kommentiert Geschäftsstellenleiter Bernd Sprechert von der Thüringer Landeselternvertretung. Unterschiede zwischen Städten und ländlichem Raum würden überhaupt nicht beachtet. Wie die Eltern befürchten auch GEW, Kirchen und Wohlfahrtsverbände, dass zahlreiche kleine Kindertagesstätten schließen und etwa 700 Stellen abgebaut werden müssen. Schon seit September kommt es deshalb wiederholt zu Aktionstagen, die am 8. Dezember, dem Tag der voraussichtlichen Verabschiedung des Gesetzes, in eine landesweite Großdemo in Erfurt münden sollen.

Auch das am Donnerstag in Dresden verabschiedete sächsische Kita-Gesetz bringt zunächst Verbesserungen. Bereits in der Koalitionsvereinbarung 2004 hatte die SPD eine überfällige Erhöhung der Landespauschale pro Kita-Platz durchgesetzt. Nun geht es vor allem um einen vorschulischen Bildungsplan und ein verbindliches Schulvorbereitungsjahr. Opposition und GEW kritisieren allerdings, dass für die Umsetzung frühkindlicher Bildung keinerlei Ressourcen bereitgestellt werden. Außerdem verbietet die Neuregelung zwar formal Zugangskriterien, öffnet aber den kommunalen Trägern dennoch die Hintertür, Kinder Arbeitsloser von der Krippenbetreuung auszuschließen.

So kann Sozialministerin Helma Orosz (CDU) zwar einerseits den „Standortvorteil“ Kinderbetreuung loben. In der Praxis aber wächst der Druck, auf kostensparende Alternativen wie die Tagespflege auszuweichen.

MICHAEL BARTSCH