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Radikale UmkehrSadr will seine Miliz auflösen

Der radikale schiitische Prediger will die Kämpfer seiner Mahdi-Armee nach Hause schicken, wenn die USA aus dem Irak abziehen.

Da wird die Presse hellhörig: Ganz neue Töne vom radikalen schiitischen Prediger und Milizenchef Moktada al-Sadr. Bild: dpa

BAGDAD taz Sunnitische Politiker haben mit Zurückhaltung auf die Ankündung des radikalen schiitischen Predigers und Milizenchefs Moktada al-Sadr reagiert, seine Mahdi-Armee aufzulösen. Sadr bekräftige in den vergangenen Tagen seine Order an die Milizionäre, die Waffen niederzulegen und sich vor allem religiös, kulturell und sozial zu betätigen. Ein führender Sprecher von Sadr ging sogar noch einen Schritt weiter. Er kündigte die komplette Auflösung der Miliz an, wenn die USA in einen festen Zeitplan für den Truppenabzug einwilligen.

Das ist eine radikale Umkehr von der bisherigen Haltung der Sadristen. Bisher hatte Sadr das neue Sicherheitsabkommen mit den USA und somit mögliche Vereinbarungen über einen Truppenabzug grundsätzlich abgelehnt. Salah Obeidi, ein enger Vertrauter von Sadr, erklärte jetzt aber, es gebe ernsthafte Anzeichen dafür, dass sich die USA auf einen Zeitplan einlassen. Dies sei jedoch nur der halbe Weg, um die Mahdi-Armee aufzulösen. Dieser Schritt werde erst im Zuge des Truppenabzugs erfolgen, sagte Obeidi.

Bagdad und Washington verhandeln derzeit über ein langfristiges Sicherheitsabkommen. Das Abkommen soll den künftigen Status der amerikanischen Truppen festlegen. Der irakische Außenminister Zebari erklärte am Sonntag, die Verhandlungen stünden kurz vor dem Abschluss. Allerdings bestehe die Bagdad auf einem "klaren Zeitrahmen" für die Koalitionstruppen, sagte Zebari. Aus schiitischen Regierungskreisen hieß es, beide Seiten hätten sich bereits auf einen Zeitplan geeinigt.

Demnach willigten die Amerikaner ein, ihre Kampftruppen bis 2011, nach manchen Angaben sogar schon bis Ende 2010 aus dem Irak abzuziehen. Das wäre etwa der Zeitplan, den der demokratische Präsidentschaftskandidat Barack Obama vorgelegt hat und den Regierungschef Nuri al-Maliki während Obamas Irakbesuch offen unterstützte. Auch Präsident Bush hat sich jüngst für einen "Zeithorizont" ausgesprochen, allerdings hielt er daran fest, dass über die nötige Truppenstärke am Ende die Lage im Irak entscheide. Eine Sprecherin von Bush dementierte allerdings, dass es bereits eine Einigung mit einem fixen Zeitrahmen gebe.

Indem sich Sadr nunmehr in Richtung der schiitischen Regierung bewegt, stärkt er deren Verhandlungsposition. In einer Direktive hält Sadr die Mehrheit seiner Kämpfer an, sich ausschließlich sozial, religiös und kulturell zu betätigen.

Omar Abdul Sattar, Abgeordneter und Führungsmitglied der Islamischen Partei, der einflussreichsten sunnitischen Partei, begrüßte diesen Schritt. Ob es Sadr ernst damit sei, werde sich jedoch erst in der Praxis zeigen, sagte Sattar gegenüber der taz.

Gleichzeitig kündigte Sadr die Gründung von Spezialgruppen an, die im geheimen operieren und deren Kämpfer ausschließlich von ihm ausgewählt werden. Insgesamt bekräftigt die jüngste Direktive einen bereits im Juni ergangenen Befehl. Die Reorganisation bietet Sadr die Möglichkeit, sich von den verbrecherischen Elementen unter den Milizionären zu trennen und durch soziales Engagement das ramponierte Ansehen seiner Bewegung zu verbessern. Beobachter sehen in der Doppelstrategie auch das Bestreben, die Mahdi-Armee nach dem Vorbild des libanesischen Hisbollah zu organisieren. Ein Vertrauter von Sadr in dessen Hochburg Sadr-City schloss gegenüber der taz einen grundlegenden Kurswechsel seiner Bewegung aus: "Wir halten an unserem Widerstand fest." Vorläufig solle er sich jedoch friedlich äußern. Das hatte Sadr freilich auch schon früher versprochen.

INGA ROGG

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