Strammstehen am Südstern

Alljährlich veranstalten die Bundeswehr und der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge zum Volkstrauertag auf dem Friedhof Lilienthalstraße in Kreuzberg eine internationale Gedenkfeier – eine Selbstfeier des Militärischen

Rund um den Südstern stoßen Welten aufeinander: Durch die Hasenheide streifen Dealer und Kampfhundhalter, im Graefekiez schlürfen Öko-Hedonisten ihren Latte, und an der Lilienthalstraße, gleich neben der vatikanischen Nuntiatur, kniet die polnische Gemeinde unter der Mutter Gottes. Noch ein paar Schritte die Straße hinauf befindet sich der ehemalige „Standortfriedhof“. Hier feiern jedes Jahr am Vorabend des Volkstrauertags der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge und die Bundeswehr ein Totengedenken. „Noch nie war die Bundeswehr im Land so unumstritten wie heute“, hat Peter Struck gerade bei seiner Verabschiedung behauptet. Anlass genug, einmal nachzusehen, was die Bürger in Uniform so treiben.

Am Friedhofseingang, wo schnittige Limousinen mit Y-Kennzeichen parken, wähnt man sich unverhofft in einem dieser Napola-Filme. Kein Wunder: alles Nazi-Architektur vom Feinsten, eingeweiht 1939 als WK-I-Heldenfriedhof. Aber was da schwarz-weiß-rot durchs Tor schimmert, ist bloß die Berliner Landesflagge. Zusammen mit dem Bundes- und dem „Volksbund“-Banner prangt sie von der tempelartigen Trauerhalle.

Unterhalb der Freitreppe stehen dutzende Blumengebinde und zwei Wachsoldaten, die mit ausdruckslosem Gesicht das Gewehr präsentieren. Auf der Treppe verteilt stehen Männer in Matrosenkluft, die eine Hand am Koppelschloss, in der anderen eine brennende Fackel. Die Zuschauer, zwei- oder dreihundert mögen gekommen sein, warten hinter einer Kordel. Das Durchschnittsalter liegt locker bei 60 Jahren. Dazwischen überall Barette und Schirmmützen, auch solche mit ungewöhnlichen Formen: befreundete ausländische Streitkräfte.

Eine Kompanie mit geschulterten Gewehren marschiert zackig ein, ihnen voran Trommler und Bläser. Nur der monotone Schlag einer Trommel begleitet den Rhythmus ihrer Schritte. Befehle werden gebellt: Gewehr ab! Rührt euch! Augen rechts! Die Musiker intonieren den Choral „O Haupt voll Blut und Wunden“, ein Offizier dirigiert sie mit kantigem Auf und Ab der behandschuhten Fäuste.

„Es ist gute Tradition“, sagt Volksbund-Präsident Reinhard Führer, der als Erster spricht, „dass wir uns hier in der Lilienthalstraße treffen“, an „diesem eindrucksvollen Ort“. Er spricht über die Opfer der Weltkriege: „Gestorben im Kampf, gestorben in Gefangenenlagern, gestorben bei der Vertreibung“. „Ermordet von der Wehrmacht“, sagt er nicht. Hauptredner Wolfgang Schneiderhan, Generalinspekteur der Bundeswehr, zitiert Wilhelm von Humboldt: „Nur wer die Vergangenheit kennt, kann die Zukunft gestalten.“ Schneiderhan spricht von „unermesslichem Leid“ und der „Kraft der Aussöhnung“. Von „Angriffskrieg“ oder „Kriegsverbrechen“ spricht er nicht. Trotzdem klingt das alles sanft und friedfertig – wenn nur nicht die Fackeln und die Gewehre wären und die ganzen dummen Gehorchgesichter.

„Es folgt die Kranzniederlegung.“ Unter Trommelwirbel stellen zwei Uniformierte, die sich wie Blechspielzeug bewegen, einen Kranz ab. Abgeordnetenhauspräsident Walter Momper zupft an den Schleifen herum. Dasselbe Ritual wiederholen der Staatssekretär des Innensenators, eine Delegation der Bundespolizei und General Schneiderhan, der vor seinem Kranz salutiert. Dann werden die Stifter der bereits aufgestellten Gebinde verlesen. Es sind Botschafter, Verbände, Parteien. Bei „Die Linke.PDS“ stockt die Stimme des Sprechers ein wenig. Als die Blaskapelle das „Lied vom guten Kameraden“ anstimmt, hebt ein Grüppchen russischer Soldaten die Hand zum Mützenschirm, und man begreift: Solche Zeremonien dienen der Legitimierung des Militärischen an sich. Was hier abläuft, ist die kollektive Vergewisserung, dass das ganze verfluchte Strammstehspiel trotz Betriebsunfällen namens Krieg berechtigt ist. Dass hier die Feinde von gestern zusammenstehen – na und? Soldaten ticken alle gleich.

Die Russen salutieren immer noch, als die deutsche Nationalhymne gespielt wird. Auch das Publikum brummt jetzt mit. Bei „Blüh im Glanze“ werden die Trommeln gerührt. Schluss, aus: „Die Veranstaltung ist damit beendet.“ Gäste, Publikum und Kompanie ziehen ab, am Ende werden die Fackelträger mit Gebell abkommandiert. Zurück bleibt ein Wald aus Kränzen, darunter tatsächlich einer von der antimilitaristischen Linkspartei. Er steht genau zwischen den Gebinden des Deutschen Marinebunds und des Verbands Deutsches Afrika-Korps. Peter Struck hat Recht gehabt.

CLAUDIUS PRÖSSER