Perle der Wirkware

Unbekanntes Deutschland: die malerische oberbayerische "Sockenstadt" Söcking

In Söcking heutzutage nur selten zu sehen: ein sockenloser Fuß. Bild: ap

Der Herbst naht mit lauen Lüften - für viele die Zeit, nach langem, reglosem Verharren am Strand oder in der örtlichen Badeanstalt die Wanderstiefel zu schnüren, auszuschwärmen und die engere Heimat zu erkunden. Die dem Dienstleistungsgedanken verpflichtete Wahrheit erlaubt sich daher, die Aufmerksamkeit der wanderwilligen Leser heute auf eines der malerischsten "Mauerblümchen" Deutschlands zu richten: Söcking, am Zusammenfluss von Amper und Maisinger Bach gelegen, ist eine der ältesten Siedlungen Oberbayerns, ein touristischer hidden champion, den es zu entdecken gilt.

Die heute eher gemächlich daherkommende Kommune ist Eingeweihten am ehesten bekannt als Wirkungsort Johann Xaver Niemingers, eine Stät- te reicher kulturhistorischer Sammlungen und schönstes "Eingangstor zur Lömminger Heide". Was aber den eigentümlichen Reiz dieses Städtchens ausmacht - es ist seit alters berühmt durch seine traditionsreiche Sockenherstellung, die Strickerei und Obertrikotageproduktion. Die "Sockenstadt" Söcking verdankt ihre Entwicklung der vorteilhaften Lage an alten Fernhandelswegen und der Amperfurt. Die Sockenmacherei, der Handel mit "Zwickisch Tuch" und die Beteiligung am spätmittelalterlichen "Sockenkrieg" begründeten Söckings Blüte und Hochzeit. Die ehemalige Residenz der Wittelsbacher wird im Volksmund deshalb auch als "Perle des Oberlandes" bezeichnet und ist mit ihren baedekeresken Baudenkmälern und ihren kunsthistorischen Schätzen ein gern besuchtes Touristenziel.

Bereits im 9. Jahrhundert wurde die Stadt im Andechser Zehntverzeichnis erwähnt. 1341 wurde sie Sockstet genannt. Seine Glanzzeit erlebt Söcking aber erst nach der Entdeckung von reichen Sockenvorkommen durch Gottlieb Leinig um 1400. Aus dieser Zeit stammt auch der noch heute in den Gassen der Stadt zu hörende, allerliebste Kinderreim: "Wer noch keine warmen Socken hett, kauft sich einfach welche aus Sockenstett". Ältestes Bauwerk und Wahrzeichen der Stadt ist der spätbarocke Sockenzwinger St. Jakob aus dem Jahre 1410, der allerdings erst Ende des 16. Jahrhunderts fertig gestellt und dessen Turm 1897 im Stil der wilhelminischen Neobacksteingotik angebaut wurde. Größte Touristenattraktion ist die 1982 restaurierte Kunststopferei, die einzige in Mitteleuropa existierende Sockenstopfanstalt des Klassizismus mit einem voll funktionsfähigen mechanischen Stopfstuhl aus dem Jahre 1812. In den Sommermonaten finden im romantischen Innenhof Freilicht-Aufführungen von kleinen Opern und Singspielen statt.

Der Marktplatz mit dem größten Renaissance-Arbeitsamt nördlich der Alpen wird von sorgsam restaurierten spätmittelalterlichen Schlecker-Märkten flankiert. Die Kloppenburg beherbergt im Nordflügel das Johann-Xaver-Nieminger-Museum, das nach dem Begründer der wissenschaftlichen Sockenforschung in Deutschland benannt ist; es gilt als einziges aus dem Biedermeier original erhaltene Wirkwaren-Museum Oberbayerns.

Im Bergfried schließlich kann ein Diorama der Schlacht um Stalingrad mit 6.000 Playmobilfiguren besichtigt werden, neben sehenswerten heimatkundlichen Erinnerungsstücken wie Johann Xaver Niemingers Schnupftabakdose oder Gottlieb Leinigs erstem Sockenhalter.

Besondere Erwähnung verdient auch das Petersbergl, von dem aus sich ein herrlicher Rundblick auf den Parkplatz des Obi-Baumarkts und das Stückgutverteilzentrum der Deutschen Bahn bietet. Nun versteht man das Stadtmotto: "Söcking - immer gut für einen Sockenschuss".

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