: Gute Ernte, ungewisser Absatz in Gaza
Nach dem israelischen Abzug haben Palästinenser die Gewächshäuser der ehemaligen Siedler übernommen. Der Nahost-Gesandte Wolfensohn warnt vor der Verrottung der Ernte an geschlossenen Grenzübergängen. Eine Einigung steht noch aus
AUS NEZER HASANI SUSANNE KNAUL
Siad Ode ist mit seinem neuen Arbeitgeber nicht glücklich. „Mein Boss versteht nichts von dieser Arbeit“, meint er. Dabei sah es zu Anfang gut aus. Anstelle der bisher 50 Schekel (knapp 10 Euro), die Siad in den vergangenen sechs Jahren täglich bei seinem jüdischen Arbeitgeber verdiente, sollte er fortan 60 Schekel bekommen. So das Versprechen der „Paltrade“, der palästinensischen „Nationalen Handels-Entwicklungsorganisation“, die seit dem israelischen Abzug aus dem Gaza-Streifen im September die zurückgebliebenen Gewächshäuser verwaltet. „Ganze 240 Schekel (44 Euro) habe ich im ersten Monat bekommen“, berichtet Siad ratlos, also nur ein Sechstel dessen, was ihm zusteht.
„Das Geld ist ein Anfangsproblem“, beruhigt Mohammad al-Nagar, ein junger Manager der „Paltrade“, der die Arbeiter in den ehemaligen jüdischen Siedlungen betreut. Schon Ende November sollen die ersten Kisten mit reifen Tomaten und Paprikaschoten in den Handel kommen. Dann dürfte es nicht mehr allzu lange dauern, bis die „Paltrade“ wieder zahlungsfähig wird. Vorausgesetzt allerdings, dass die mit Früchten beladenen Lastwagen den Gaza-Streifen dann auch verlassen dürfen. Absatzmärkte sind vor allem Israel, das Westjordanland und Europa.
Noch steht eine Einigung der Konfliktparteien über die Grenzübergänge aus. Der Sondergesandte des Nahost-Quartetts (USA, EU, UNO und Russland), James Wolfensohn, der bei den Verhandlungen vermittelt, zeigte sich Anfang der Woche vor allem über die israelische Seite enttäuscht und pessimistisch angesichts des „mangelnden Verständnisses für die Dringlichkeit einer Lösung“. Die kommenden 72 Stunden „sind für meine Mission entscheidend“, drohte er gar mit einem Abbruch seines Aufenthaltes, sollte es zu keiner Annäherung kommen. Wolfensohn warnte zudem vor „schweren Folgen“ auch für den palästinensischen Arbeitsmarkt, wenn die Ernte an den Grenzübergängen verderben sollte.
Als „Flaschenhals“ der palästinensischen Wirtschaft gilt der Kontrollpunkt Karni, der Hauptübergang für Güter in beide Richtungen. Karni ist seit dem israelischen Gaza-Abzug meist geschlossen geblieben, und selbst wenn der Übergang geöffnet ist, kann nur rund ein Drittel des Gesamtvolumens bewältigt werden, wie Nigel Roberts, Chef der Weltbank in den Palästinensergebieten, veranschlagt. Auch US-Außenministerin Condoleezza Rice, die gestern in Jerusalem mit Israels Premierminister Ariel Scharon zusammenkam, forderte die Erweiterung der Tätigkeit am Karni-Übergang sowie die Öffnung des Grenzpunkts Rafah für den Reiseverkehr von und nach Ägypten.
Siad Ode gehört zu den 4.000 palästinensischen Arbeitern, die schon vor dem israelischen Abzug in den Gewächshäusern beschäftigt waren. Innerhalb weniger Wochen gelang es den Männern, ein neues Bewässerungssystem zu installieren, das allerdings nicht wie früher computergesteuert ist, sondern von Hand betrieben wird. Tausende junge Tomatenpflänzchen stehen in Reih und Glied, so wie beim jüdischen Bauern, nur nicht mehr ganz so ökologisch. „Wir müssen in der Anfangsphase mit Kunstdünger nachhelfen“, meint Manager al-Nagar, der langfristig zum naturbelassenen Anbau zurückkehren will.
Es ist Wolfensohn zu verdanken, dass ein Großteil der Gewächshäuser erhalten blieb. Der Nahost-Gesandte hatte Spendengelder mobilisiert und aus eigener Tasche eine halbe Million Dollar gezahlt, damit die jüdischen Siedler die Gewächshäuser stehen lassen. Die Landwirtschaft ist wichtigster Umsatzfaktor im privaten Sektor. Die rund 3.000 Gewächshäuser stellen gut ein Fünftel der gesamten Grünanlagen im Gaza-Streifen.
„Wir könnten sofort tausend Leute beschäftigen“, meint al-Nagar. Damit würde die Zahl der Arbeiter in Nezer Hasani verdoppelt. Problematisch sei allerdings, dass nicht genug Wasser zur Verfügung steht. „Die Israelis haben uns nach dem Abzug den Hahn abgedreht“, schimpft al-Nagar. Abhilfe könnten neue Brunnen schaffen oder Regenwasser, das mit Hilfe von Dachrinnen auf den Gewächshäusern in den Wintermonaten aufgefangen werden soll.
„Wir liefern mehr Wasser an die Palästinenser, als es uns die Verträge vorschreiben“, kontert Uri Shor, Sprecher der israelischen Wasservertretung. Für die Verteilung der Vorräte sei die Autonomiebehörde zuständig, und: „Wassermangel herrscht schließlich auch bei uns.“