Debatte Vaterschaft in der Krise: Wenn Männer zu viel arbeiten

Warum tun sich manche junge Männer so schwer, Väter zu werden? Oft ist von Zeugungsstreik die Rede, doch die Männer scheitern an Strukturen der Arbeitswelt.

Bertelsmann-Stiftung und Deutsches Jugendinstitut legen am Dienstag eine Untersuchung über den "schwierigen Weg junger Männer in die Vaterschaft" vor. Wieder kursieren vorwurfsvolle Schlagwörter wie "Zeugungsstreik" oder "Null Bock auf Familie", die den fehlenden Wunsch nach Nachwuchs beklagen. "Man kann ohne Kinder genauso glücklich leben", sagt fast die Hälfte der Befragten unter 45 Jahren; ein Drittel der Männer im Alter zwischen 25 und 59 ist kinderlos. Doch die frohe Bertelsmann-Botschaft folgt sogleich: Über 90 Prozent der jungen Männer wünschen sich Kinder! Der Studie nach wollen sie finanzieller Versorger sein und zugleich Verantwortung für Betreuung und Erziehung übernehmen.

Dass Wunsch und Wirklichkeit bei der Familiengründung weit auseinanderliegen, ist durch zahlreiche Expertisen belegt. Das Bonmot des Soziologen Ulrich Beck "Verbale Aufgeschlossenheit bei weitgehender Verhaltensstarre" ist ein Brüller auf jeder Frauentagung - und bewährter Textbaustein in den Reden von Familienministerinnen, der die angebliche Bewegungslosigkeit der Männer plakativ illustriert. Das Zitat stammt übrigens aus dem Buch "Risikogesellschaft" von 1986, ist also schon ein wenig angestaubt.

In Befragungen antworten Männer stets, Frau und Kinder seien ihnen das Wichtigste im Leben. In der Realität arbeiten sie wie bekloppt - nicht weil der Beruf so spaßig ist, sondern weil sie Geldverdienen als Beitrag zur Familie, als männliche Form der Sorge betrachten.

Es fehlt nicht an Forschung über Einstellungen, sondern an Forschung über Verhalten. Hier signalisiert die steigende Nutzung der Elternzeit durch Väter seit der Gesetzesnovelle 2007 erstmals eine wirkliche Veränderung. Diese müsste genauer untersucht werden, statt sich an den stets ähnlichen Ergebnissen von Umfragen abzuarbeiten.

Die hohe Akzeptanz der Papamonate bedeutet einen Kulturbruch in der geschlechterpolitischen Debatte. Sie liefert zudem den Beweis, dass Politik Verhalten beeinflussen oder gar steuern kann. Mit der Lohnersatzleistung tragen Männer zum Familieneinkommen bei, ohne ihre Versorgerrolle ganz aufzugeben. Über 100.000 junge Väter in Deutschland haben die Regelung bereits genutzt - allerdings waren 65 Prozent von ihnen nur acht oder neun Wochen in der Babypause. Dennoch merken sie jetzt, dass Kindererziehen nicht zwei Monate dauert, sondern zwanzig Jahre - wenn sie Pech haben, auch noch länger.

Die Elternzeit ist für Männer ein kurzes biografisches Zwischenspiel und bestenfalls die Einstiegsdroge. Dennoch rollt jetzt eine Welle der aktiven Väter auf jene Institutionen zu, mit denen Familien zu tun haben, wenn der Nachwuchs langsam größer wird. Bildungsstätten, Krippen, Kitas, Horte und Schulen treffen erstmals auf eine nennenswerte Masse von Männern, die andere Erfahrungen in der Säuglingszeit ihres Kindes gemacht haben als frühere Generationen. Hausfrauen-Wettbewerbe um den besten selbst gebackenen Kuchen; Lehrerinnen, die um Beistand durch eine "Vorlesemutter" für elf Uhr morgens bitten; Theateraufführungen am frühen Nachmittag, zu denen nur Muttis kommen, weil die Papis im Büro sind: All das wird zumindest in Großstädten bald Anekdote von gestern sein. Pädagogisch geht es darum, das geweckte männliche Interesse an bisher weiblich geprägten Welten aufzugreifen. Da genügt es nicht mehr, Väter zum kostengünstigen Streichen der Wände einzuspannen oder sie zum Grillexperten beim Schulfest zu ernennen, sonst aber zu ignorieren. Männer, die eine gewisse Zeit allein für ihr Kind verantwortlich waren, wollen beachtet und ernst genommen werden. Deshalb gehören schon in die Ausbildung der Erziehungsberufe Seminare und Bausteine, die sich mit Väterarbeit beschäftigen.

Parallel dazu erreicht die Welle der aktiven Väter die Unternehmen - und damit jene "ernste Arbeit, die den ganzen Mann ausfüllt", wie Kurt Tucholsky einst ironisch formulierte. Fakten setzen die Firmen dort unter Druck: Bei der Fraport AG zum Beispiel gingen nach Einführung der Papamonate im vergangenen Jahr plötzlich nicht mehr 3, sondern rund 50 männliche Mitarbeiter in die Elternzeit, was am Boden des Frankfurter Flughafens besonders in der sommerlichen Hochsaison unerwartete logistische Probleme aufwarf. Dennoch erweist sich die "familienfreundliche" Erwerbswelt, die die Beraterszene predigt, vielerorts als Mogelpackung.

So gibt es eine Reihe von großen wie kleinen Unternehmen, die Eltern (oder auch Mitarbeitern, die ältere Angehörige pflegen) entgegenkommen. Sie wollen mit einer "familienbewussten" Personalstrategie vorausschauend dem Fachkräftemangel begegnen. Vor allem qualifizierte Mitarbeiterinnen möchten die Firmen nicht verlieren. Sie machen ihnen Angebote in Form mehr oder weniger attraktiver Teilzeitstellen. "Väterfreundlichkeit" ist deutlich weniger verbreitet: Männer sollen voll einsatzfähig sein, Frauen gesteht man eine "Muttiecke" zu - aus der heraus eine Karriere allerdings schwierig wird.

Zwar schreibt die Wirtschaftspresse über "Work-Life-Balance", weil die Personaler das Umdenken bei Teilen ihrer Belegschaft spüren. Der umworbene männliche Nachwuchs erwartet nicht nur schicke Dienstwagen, sondern auch betriebliche Angebote zur Vereinbarkeit für Väter. Aber nur wenige Firmen haben überzeugende Konzepte vorgelegt, die Beschäftigte mit Fürsorgeaufgaben entlasten. Diese Vorzeigebeispiele prägen jedoch den öffentlichen Diskurs auf Tagungen, in Wettbewerben oder Zertifizierungsverfahren. Sie erwecken den Eindruck, es handele sich um einen allgemeinen Trend. Von den fröhlichen Werbeprospekten unberührt dominiert eine traditionelle Betriebskultur, die durch geringe Zeitsouveränität, regelmäßige Überstunden und Anwesenheitspflicht geprägt ist. Die Flexibilisierung im Firmeninteresse deckt sich nicht mit den Wünschen der Eltern. Die Ausweitung von Servicezeiten und der Trend zur 24-Stunden-Ökonomie verhindern ein gelungenes Gleichgewicht.

Die Bertelsmann-Stiftung sollte ihre üppigen Fördergelder darauf verwenden, die praktische Umsetzung familien- und väterbewusster Strukturen in deutschen Betrieben zu erforschen - statt ständig die alarmistische Demografiedebatte anzuheizen und die (seit 30 Jahren stabile) Geburtenrate in Deutschland anzuprangern. Die jungen Kerle hocken im Hotel Mama und sind im Zeugungsstreik? Warum wohl? Die Unternehmen bieten für Berufsanfänger prekäre oder befristete Beschäftigung - und erwarten ständige Verfügbarkeit, sobald potenzielle Väter einen festen Job bekommen haben. Die Betriebe sind es in erster Linie, die "Wege in die Vaterschaft" blockieren. Firmenlüge Familienfreundlichkeit: Die wolkige Rhetorik ist nur die Tünche, die die Realität einer "weitgehenden Verhaltensstarre" (hier ist der Begriff von Ulrich Beck angebracht) in der Wirtschaft verdeckt.

THOMAS GESTERKAMP

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.