Unterwegs mit Hartz IV-Fahndern: Zwei fragen, einer rechtfertigt sich

Sie kommen unerwartet und sind misstrauisch: Walter Finger und Gerd Pfeifer prüfen für das Jobcenter Konstanz, ob Menschen, die staatliche Hilfe brauchen, die Wahrheit sagen.

Solange viele Bürger gegen ihre Hartz-IV-Bescheide klagen, haben Finger und Pfeifer genug zu tun. Bild: dpa

Walter Finger* drückt den Klingelknopf. Er legt den Kopf in den Nacken, wippt leicht in den Knien und schaut, ob sich im ersten Stock von Haus Nummer 20 etwas bewegt. Aber nichts rührt sich. Dreimal versucht er es noch. "Wir sind wohl zu früh", sagt er zu Gerd Pfeifer*, seinem Kollegen. Der nickt, notiert auf einem Formular die Uhrzeit und die Anzahl der Klingelversuche, die beiden wenden sich und gehen wieder. Die Glocken des Konstanzer Münsters läuten 9 Uhr. Der Mann, zu dem Finger und Pfeifer wollen, schläft vielleicht noch, arbeitet schwarz oder ist verreist. Sie werden das herauskriegen, sie werden wiederkommen. Ob morgen, in einer Woche, in zwei? Überraschung.

Walter Finger, 57, und Gerd Pfeifer, 56, sind auf Kundenfang. Im Auftrag des Jobcenters Konstanz suchen die beiden Männer Arbeitslosengeld-II-Bezieher auf. Sie sollen vor Ort überprüfen, ob "Ansprüche" berechtigt sind, ob "Leistungen hinterzogen" werden, ob "Bedarfsgemeinschaften" nicht angemeldet wurden. Und weil das alles nach Misstrauen und unangenehmen Begegnungen klingt, nennen Pfeifer und Finger die Heimgesuchten "Kunden". Auch für sie beide, die landläufig als Hartz-IV-Schnüffler oder Sozialfahnder bezeichnet werden, hat man eine freundliche Bezeichnung gefunden: "Ermittler im Außendienst".

Immer öfter gibt es Streitigkeiten zwischen Kunden und Behörden. Leute beschweren sich, weil sie sich ungerecht behandelt fühlen, weil Hartz IV hinten und vorne nicht reicht. Und immer mehr von ihnen klagen. Es kostet sie nichts, Widerspruch gegen ihre Arbeitslosengeldbescheide einzulegen. Am Donnerstag hat das Bundessozialgericht seine Jahresbilanz vorgestellt. Sie ist ernüchternd. 175.000 neue Klagen wurden im vergangenen Jahr eingereicht, 2007 waren es noch 135.000. Die Richter fordern, die Hartz-IV-Gesetze vier Jahre nach deren Inkrafttreten schnell nachzubessern. Noch aber ist es nicht so weit. Und solange die Klagen nicht weniger werden, wird es Leute wie Finger und Pfeifer geben. Sie sollen in Augenschein nehmen, ob stimmt, was Kunde Müller* im Jobcenter angegeben hat: dass er zwar mit Frau Kramer* zusammen wohnt, aber nicht zusammen ist. "Verdacht auf Bedarfsgemeinschaft" heißt das, Müllers Bearbeiterin im Jobcenter hat ihn geschöpft. Finger und Pfeifer gehen dem nach. Auf dem Klingelschild in Nummer 20 steht nur Müllers Name. Unauffällig macht Ermittler Pfeifer mit seiner Digitalkamera ein Foto davon. "Das hat auch was Spielerisches", sagt Walter Finger im Gehen. So kann man das sehen.

Finger und Pfeifer steigen in ihren 3er Dienst-BMW und machen sich auf den Weg. Ihre Kunden wohnen im Bodenseekreis, wo es sozial ausgewogen zugeht. Mickrige 4,3 Prozent beträgt hier die Arbeitslosenquote. Viereinhalbtausend Menschen waren im Dezember ALG-II-berechtigt, das sind 2,4 Prozent. Zum Vergleich: Im Arbeitsamtsbezirk Schwerin sind es zwanzigeinhalbtausend, knapp 8 Prozent.

Bei so überschaubarer Kundschaft kommt es schon vor, dass die beiden Ermittler ihre Kunden oft besser kennen, als denen lieb sein kann. Zum Beispiel, weil ein geprellter Unternehmer bei ihnen eine Kundin anzeigt. "Die Dame", erzählt Pfeifer, "hat ihr Auto abschleppen lassen und dann ihre Rechnung nicht bezahlt mit der Begründung, sie sei ALG-II-Empfängerin." Ob zutrifft, was der Denunziant am Telefon gesagt hat, dass die Frau vier Pferde habe, wollen sie überprüfen. Sie fahren auf die Höri, eine kleine Halbinsel im Bodensee. Pferde sind nicht zu sehen, die Kundin ist nicht daheim. Auch nicht die 27-jährige Ukrainerin in Konstanz, die schon seit zehn Monaten in der Stadt wohnt und erst jetzt Möbel für ihre Wohnung beantragt hat. Und die 21 Jahre alte Dingelsdorferin, die von ihrer Jobcenter-Betreuerin verdächtigt wird, in eheähnlicher Gemeinschaft zu leben, ist auch nicht zu Hause. Von ihrem WG-Klingelschild, auf dem drei Namen stehen, macht Gerd Pfeifer vorsichtshalber ein Foto. Für die Akten.

Zwei Stunden kurven sie nun schon durch den Landkreis, hundert Kilometer, es geht auf Mittag zu und sie haben viermal vor verschlossenen Türen gestanden. Wo bleibt der Fahndungserfolg? Pfeifer denkt laut darüber nach, in welchem Verhältnis Aufwand und Nutzen stehen mögen. 355 Ermittlungsaufträge hatten die beiden im vergangenen Jahr. Zugegeben, sagt Finger, bei so einer Geschichte wie in Haus Nummer 20 gehe es gerade mal um 35 Euro. Aber die flössen eben auch jeden Monat. "Da kommt dann doch ganz schön was zusammen", ermuntert er sich selbst.

Es ist 14.44 Uhr, als Finger und Pfeifer an Michael Plogs* Wohnungstür klingeln. Diesmal sind sie angemeldet, Plog, 33, hatte vor dem Sozialgericht geklagt. Er besteht darauf, mit seiner Mitbewohnerin Claudia Rossi*, 33, nicht liiert zu sein. Sie beide, hat er dem Gericht erklärt, kennten sich "seit dem Kindergarten", es sei ja wohl nicht verboten, als Hartz-IV-Bezieher in einer WG zu wohnen. Plog muss nun den Nachweis erbringen, dass dem wirklich so ist, die beiden Ermittler sind da, um seine Angaben zu überprüfen. Plog ist seit Jahren ihr Kunde, sie misstrauen ihm.

Es ist eine Unappetitlichkeit des Sozialgesetzbuches II, dass es Menschen, die staatliche Hilfe beanspruchen, zu willfährigen Katzbucklern erzieht. Was geht es den Staat an, ob Michael Plog Claudia Rossi küsst und bekocht - oder ob er sie nur bekocht? Ob sie seine Socken mitwäscht? Ob es zwei Klopapierrollen gibt oder eine? Ist es zumutbar, dass zwei Mittdreißiger ihre Wohnung in mein und dein unterteilen, damit der Staat ein paar Euro spart? Das Sozialgesetzbuch sagt Ja.

Michael Plog führt die Fahnder durch die sehr aufgeräumte Wohnung, er spricht über seine Freundin wie über eine Zufallsbekanntschaft. "Das ist Frau Rossis Zimmer", sagt er, "das ist meins. Das ist das Bad. Das ist unser Wohnzimmer." Jetzt wird es interessant für Finger und Pfeifer, sie fragen, wem welche Möbel gehören. "Die Couch gehört Frau Rossi. Der Sessel mir. Der Tisch Frau Rossi. Die Obstschale auch Frau Rossi." Er sagt das ohne Ironie. Seine Klage vor dem Sozialgericht hat die drei Männer hier zusammengeführt: Einer fragt, einer schreibt, einer rechtfertigt sich.

Sie gehen in die Küche. Auf dem Tisch dampft Yogitee, in einer Vase stehen Zweige, Plog öffnet den Kühlschrank. Extra für den Besuch vom Jobcenter hat er grüne und rote Klebepunkte gekauft und gut sichtbar in die Kühlschrankfächer geklebt. Rot - Sojamilch, Blumenkohl und Mostrich - ist Frau Rossis Fach, grün - Joghurt, Streichwurst, wieder Mostrich - ist sein Fach. Es gibt zwei komplette Geschirrsets, sogar zwei Prilflaschen. Freundlich fragt Ermittler Pfeifer, wie es mit gemeinsamen Mahlzeiten aussehe. "Selten", antwortet Plog, "abends bin ich mit meinen Jungs unterwegs." Finger schreibt mit. Langsam entsteht die Vorstellung, die Sandkastenfreunde Plog und Rossi würden sich wegen Hartz IV nur mehr kühl grüßen, wenn sie sich im Flur begegnen. So soll es sein, dann kriegt Michael Plog Geld.

Die Ermittler verabschieden sich. Pfeifer steuert den BMW zurück in die Innenstadt, Finger prüft seine Notizen. "Herr Plog war übertrieben kooperativ", bemerkt er. Den Trick mit den Farbpunkten kennt er, seit das mal im Fernsehen gezeigt wurde, trifft er ständig auf markierte Regale. "Wir haben mal eine Trennung vorgefunden", erinnert er sich, "da gab es eine Plexiglasscheibe in der Mitte des Kühlschranks. Und für eine Katze zwei Kratzbäume." "Da waren wir platt", lacht Pfeifer.

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