: Terrorvorwurf auf schwachen Füßen
Schon zum zweiten Mal steht ein Magdeburger Student wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung vor Gericht, obwohl der Vorwurf einer „RAF an der Elbe“ schon als widerlegt galt. Grüner Ströbele: Verfahren nicht rechtsstaatlich
VON JAN PFAFF
Vor dem sachsen-anhaltischen Oberlandesgericht erschien gestern ein ungewöhnlicher Prozessbeobachter. Der Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele (Bündnis 90/Die Grünen) war eigens zu der Verhandlung nach Halle an der Saale gereist, um dem Plädoyer der Verteidigung beizuwohnen. Denn das Wiederholungsverfahren gegen einen Studenten, der nach Ansicht der Staatsanwälte Mitglied in einer linksextremen terroristischen Vereinigung gewesen sein soll, verletzt nach Ansicht des Abgeordneten rechtsstaatliche Standards.
Den Anklagepunkt der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung hatte das Gericht allerdings bereits im ersten Verfahren als unbegründet abgewiesen. Daniel H. wurde daraufhin im Dezember 2003 wegen Brandstiftung in mehreren Fällen zu einer Haftstrafe von zwei Jahren verurteilt. Wegen eines Formfehlers hatte der Bundesgerichtshof das Urteil jedoch letztes Jahr aufgehoben.
Die Bundesanwaltschaft begründete die neuerliche Anklage wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung nun damit, dass man zunächst davon ausgegangen sei, die linksextreme Gruppe „Kommando globaler Widerstand“ in Magdeburg habe sich freiwillig aufgelöst. In der Zwischenzeit habe sich die Beweislage jedoch verändert.
Zwei Zeugen aus der Antifa-Bewegung, die die Staatsanwälte verhören wollten, verweigerten dazu aber die Aussage. Das Gericht ließ die beiden daraufhin ein halbes Jahr in Beugehaft nehmen. Anfang November kamen sie wieder frei, ohne dass sie eine Aussage gemacht hätten. Daher stützt sich die Anklage weiterhin nur auf Indizien.
Als Beobachter nimmt Hans-Christian Ströbele an dem Prozess teil, der im April dieses Jahres wieder aufgenommen wurde. „Der Vorwurf der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung scheint mir eine Hilfskonstruktion zu sein“, sagte Ströbele gestern. „Damit soll das geforderte Strafmaß begründet werden, weil die Anklage wegen Brandstiftung allein auf wackligen Füßen steht.“ Das erinnere ihn an Verfahren gegen Linke aus den 70er- und 80er-Jahren, sagte der Grünen-Politiker.
Er kritisierte zudem eine voreingenommene Besetzung des Gerichts, weil zwei der drei Richter bereits am ersten Prozess mitgewirkt haben. „Es ist verständlich, dass der Angeklagte sie als befangen ablehnt“, sagte Ströbele. Außerdem werde das Verfahren bewusst mit Verzögerung betrieben. „Durch das ständige Vertagen der Verhandlung sollten wohl die zwei in der Beugehaft weichgekocht werden.“
Aktivisten der linken Rechtshilfeorganisation „Rote Hilfe“ hatten im September das Bürgerbüro von Ströbele in Berlin-Kreuzberg besetzt. Sie wollten damit auf den Prozess gegen Daniel W. hinweisen. Ströbele hatte zugesagt, sich mit dem Verfahren zu beschäftigen und als Beobachter die Rechtsstaatlichkeit des Prozesses zu überprüfen.
Die Richter sahen es bei dem ersten Verfahren als erwiesen an, dass der heute 24-jährige Daniel W. zusammen mit Marco H. in Magdeburg Autos einer DaimlerChrysler-Niederlassung und der Telekom in Brand gesteckt hatten. Zudem wurden ihnen versuchte Brandanschläge auf das Landeskriminalamt Sachsen-Anhalt und auf Fahrzeuge des Bundesgrenzschutzes zur Last gelegt. Zum Vorwurf der terroristischen Vereinigung hieß es in der Urteilsbegründung damals, die Angeklagten seien sicher keine Top-Terroristen. Die Lokalpresse hatte versucht, die Antifa-Mitglieder zu einer „RAF an der Elbe“ hochzustilisieren.
Das Urteil im Revisionsverfahren wird nach Angaben einer Gerichtssprecherin für den kommenden Dienstag erwartet.