Wer darf der Herr des Netzes sein?

Bisher kontrollieren die USA das Internet. Schwellen- und EU-Länder streben jetzt auf dem Informationsgipfel in Tunis eine neue Regelung an

VON TARIK AHMIA

Eigentlich könnte es so schön sein: das Internet revolutioniert unseren Alltag, ist weltweit verfügbar und lässt den Traum vom „globalen Dorf“ Wirklichkeit werden. Doch mit dem heute in Tunis beginnenden Gipfel zur Informationsgesellschaft droht der Traum vom allseits beglückenden Netz zu zerbrechen: Ein bitterer Streit über Kontrolle und Mitspracherechte des globalen Informationsnetzes überschattet den Cyber-Weltgipfel. Sollte er nicht gelöst werden, droht das „World Wide Web“, das heute für eine reibungslosen globalen Informationsaustausch sorgt, zu zersplittern.

Insbesondere repressive Regime wie in China, Saudi-Arabien oder im Iran stören sich an dem unzensierten globalen Informationsfluss, durch den sie ihre Kultur und innenpolitische Stabilität gefährdet sehen. So droht zum Beispiel China, sich aus dem weltweiten Netz zu verabschieden, sollte es seine Interessen auf Dauer übergangen sehen.

Aber auch die Mehrheit der demokratischen Regierungen kritisiert die fehlende demokratische Struktur bei der Verwaltung des Internets. Sie untersteht letztlich der Kontrolle der USA. Über die Netzverwaltungszentrale Icann, kurz für „Internet Corporation for Assigned Names an Numbers“, kann die US-Regierung einseitig ihren Einfluss auf das Internet geltend machen.

Die Icann ist eine privatrechtlich organisierte Firma, die 1998 von der Clinton-Regierung für die Verwaltung des Internets eingesetzt wurde und vertraglich dem US-Handelsministerium untersteht. Ohne die Icann würde keine Anfrage im Internet ihre Zielseite finden, denn die Organisation verwaltet den heiligen Gral des Internets, die so genannten Root Server.

Diese 13 Computer sind so etwas wie das zentrale Adressbuch des Internets. Die Icann ist aber auch für die Zulassung der Domainendungen wie „.de“, „.com“ und „.net“ zuständig. Erst im August verhinderte die US-Regierung durch eine direkte Intervention bei der Icann die Zulassung der Domainendung „.xxx“ für Internet-Seiten mit Sex-Inhalten. Aber auch bei der Streitfrage, welche Privatfirma die Domainendungen „.com“ und „.net“ verwalten darf, machte die US-Administration kürzlich zugunsten eines US-Unternehmens bei der Icann ihren Einfluss geltend.

Bedenkt man, dass schon heute knapp neun Prozent des gesamten Welthandels über das Netz abgewickelt werden, verwundern die Proteste aus anderen Ländern kaum.

Mulmig wird vielen Gipfelteilnehmern auch bei der Vorstellung, dass die Icann zumindest technisch die Macht hat, ganze missliebige Länder vom Internet abzukoppeln, indem es ihre Länderendungen von den „Rootservern“ löscht. So war Libyen schon einmal fünf Tage – versehentlich, hieß es – aus dem Netz.

So viel Macht in nur einer Hand soll nicht sein. Für den Gipfel in Tunis hat die EU deshalb vorgeschlagen, die Kontrolle des Internets zu internationalisieren. Ihr schwebt ein Modell unter UNO-Verwaltung vor, wie es etwa im Telefonbereich mit der „Internationalen Telekommunikations-Union“ existiert. Für die USA ist das ein Schreckgespenst. Sie setzen „einzig auf eine marktbasierte Politik und die Führung durch die Privatwirtschaft“, so der republikanische Senator Norm Coleman.

Außer Frage steht, dass die USA in der jetzigen Struktur bisher einen guten Job gemacht haben. Knapp eine Milliarde Menschen nutzen das Internet heute so reibungslos, dass sich die wenigsten wohl Gedanken über dessen Verwaltungsstrukturen gemacht haben. Die digitale Kluft zwischen armen und reichen Ländern konnte sie jedoch nicht überwinden. Gut 95 Prozent der Internetnutzer leben in den USA, Europa und Asien. In Afrika, dem Nahen Osten und Lateinamerika haben nur die allerwenigsten Zugang zum Cyberspace. Doch die Teilhabe der Entwicklungsländer an der Informationsrevolution gerät angesichts des aktuellen Streits in den Hintergrund.

Noch beim letzten UN-Gipfel zur Informationsgesellschaft 2003 war in Genf vereinbart worden, dass bis 2015 die Hälfte der Menschheit online sein solle. Zur Finanzierung dieses Zieles wurde der „Digitale Solidaritäts-Fonds“ zur Überwindung der digitalen Kluft zwischen armen und reichen Ländern gegründet, über den allerdings bisher bloß fünf Millionen Euro zusammengekommen sind.

Für den jetzigen Cyber-Weltgipfel zeichnet sich noch keine Lösung ab. In den Vorverhandlungen zum Gipfel am Wochenende blieben die USA hart: „Wir halten die Verabschiedung eines neuen Kooperationsmodells für das falsche Signal“, sagte US-Vertreter Richard Beaird nach den Gesprächen am Wochenende. Lediglich bei einigen technischen Vereinfachungen sollten Regierungen stärker eingebunden werden. Das weitergehende Konzept eines „Welt-Internet-Rates“ lehnen die USA nach wie vor brüsk ab. „Die Einrichtung einer neuen internationalen Regulierungsbehörde muss verhindert werden“, warnte Beaird.