: Der schwache Mann von Münster
NRW-Krimis Der Dortmunder Grafit-Verlag hat viele erfolgreiche Autoren hervorgebracht. Aber nur Jürgen Kehrers „Wilsberg“ schaffte den Sprung ins Fernsehen (nächste Folge Mo., 20.15 Uhr, ZDF) – was macht seinen Erfolg aus?
JÜRGEN BOOSS, GRAFIT-VERLAG, ÜBER DIE NICHTVERFILMUNG DER EIFELKRIMIS
VON JAN SCHEPER UND STEFFEN GRIMBERG
Ein selbstmordgefährdeter Weihnachtsmann, eine kriminelle Weihnachtsfrau und ein zweckentfremdeter Weihnachtsbaum sorgen im neuen Wilsberg-Krimi „Oh du tödliche ...“ für ziemliches Chaos. Zum Glück zeigt ihn das ZDF einen Tag nach dem vierten Advent, soviel Durcheinander wäre am Heiligen Abend auch Niemandem zuzumuten. Dabei kommt der Plot um Privatdetektiv Georg Wilsberg (Leonard Lansink) rechtschaffend-weihnachtlich diesmal sogar ganz ohne Leiche aus.
Es fängt an mit einem Juwelendiebstahl, bei dem passenderweise Wilsbergs Stieftochter Alex zugegen ist, um ein Geschenk für Kommissarin Anna Springer zu kaufen. Der Täter – ein Weihnachtsmann – türmt, gerät dabei auf die Straße und verursacht ein mittleres Verkehrschaos, dem wiederum Wilsberg zum Opfer fällt: Er kracht dem Vordermann hinten rein, dessen Kofferraum springt auf und enthüllt – oh weihnachtliches Wunder – eine liebevoll verpackte Geisel. Dass der falsche Weihnachtsmann natürlich genau in die Kneipe flüchtet, in der Wilsbergs Kumpel Ekki (Oliver Korritke) gerade mit seinen Kollegen vom Finanzamt gelangweilt weihnachtsfeiert, versteht sich da schon von selbst. Und dass es im Endeffekt um die ganz große Liebe geht, erst recht. Auch an absurder Komik mangelt es nicht, und die Spurensicherung darf endlich einmal ganz akribisch einen Weihnachtsbaum vermessen.
Seit 1995 ist „Wilsberg“ nun schon Bestandteil der deutschen Fernsehlandschaft. Zuerst spielte Joachim Król den privat ermittelnden Antiquar, was nicht allzu gut funktionierte – nach dem Pilotfilm war erst mal drei Jahre Sendepause. Ab 1998 übernahm dann Leonard Lansink die Rolle. Der eigenwillige Ex-Anwalt Wilsberg funktioniert dabei im bieder-bürokratischen Münster als eine Art Anti-Held. Nicht parodistisch überdreht wie das Münsteraner ARD-„Tatort“-Gespann Axel Prahl und Jan-Josef Liefers. Eher ein wenig gebrochen – aber keinesfalls gescheitert.
„Als ich 1993 zum ZDF kam, sprach man allseits von starken Frauen, die von da an auch prompt die Fernsehspiele und Krimireihen bevölkerten“, sagt der für „Wilsberg“ zuständige ZDF-Redakteur Martin R. Neumann. „Getreu dem Motto ‚Never follow the crowd‘ dachte ich mir: Biete doch mal eine Geschichte an, in der ein vermeintlich schwacher Mann im Mittelpunkt steht.“ Starke Frauen wie die „Kommissarin“ (Hannelore Elsner) waren nun wiederum eine Antwort auf Typen vom Schlage eines Horst Schimanski (Götz George) – der schrie, schlug und soff, sinnierte dabei stets unablässig über soziale Ungerechtigkeiten wurde und in den achtziger Jahren schnell zur Personifizierung dessen, was man heute gerne als „sozialkritischen Krimi“ bezeichnet.
Auch bei „Wilsberg“ findet sich einiges, das Schimanski einst etablierte: Themen von sozialer Relevanz, verpackt in humorvolle, gerne auch mal sarkastische Plots vor lokaler Kulisse mit hohem Wiedererkennungswert. „Spannende und humorvolle Milieustudien“, sagt ZDF-Redakteur Neumann, machten eben „auch ernstere Gesellschaftsaspekte beim Publikum gut vermittelbar.“
Ein Ansatz, dem auch Wilsbergs literarischer Vater Jürgen Kehrer etwas abgewinnen kann: „Wilsberg ist eine ambivalente Figur, die als gebrochener Held auftritt“, sagt Kehrer, der seine Werke als „unterhaltende Gesellschaftsromane“ versteht, die aber bitte nicht „als Krimiparodie gedacht“ sind. Dennoch, der Weg vom Buch zum Film verfügt über prägnante dramaturgische Nebeneffekte. „Ein Roman ist grundsätzlich etwas anderes als ein Filmdrehbuch, den kann man nicht 1:1 umsetzen,“ sagt Neumann. Wilsbergs TV-Mitstreiter Ekki Talkötter kommt im gedruckten Krimi beispielsweise gar nicht vor. Dort regiert die Ich-Perspektive, doch die sei „für die Spannungsdramaturgie der Krimiserie eher hinderlich“, so Neumann.
Kehrer ist mit der Umsetzung seiner Stoffe und Figuren im Fernsehen zufrieden: „Ich möchte keine Prüfungsinstanz sein und habe keine Konzeptionsbeteiligung bei der Fernsehreihe, werde aber bei bestimmten Entwicklungen zu Rate gezogen.“ 28 Folgen sind bis jetzt gedreht, immerhin ein Viertel basiert unmittelbar auf Kehrers Romanen, er selbst war bisher an fünf Drehbüchern beteiligt.
Kehrers Bücher erscheinen im Dortmunder Grafit-Verlag. Schon in dessen ersten Buchprogramm von 1989 finden sich etliche sozialkritische Krimis, obwohl Verlagsgründer Rutger Booß den Begriff eigentlich nicht sonderlich mag. Er spricht lieber von einer „Art deutschen Schule, die auf das schwedische Autoren-Ehepaar Maj Sjöwall und Per Wahlöö mit ihrem Krimi-Zyklus ,Roman über ein Verbrechen‘ zurückgeht“. Einer der ersten Autoren bei Grafit war Jürgen Pomorin, der unter dem Pseudonym Leo P. Ard oft gemeinsam mit Co-Autor Reinhard Junge tief ins sozialkritisch-politische Genre eintauchte. Ihre Krimireihe um das „Ekel von Datteln“ widmete sich dem kommunalpolitischen Filz im nördlichen Ruhrgebiet.
Verfilmt wurden die bis heute erfolgreichen „Ekel“-Bände, anders als „Wilsberg“, aber nie. „Vielleicht wollte der WDR der damaligen Regierungspartei nicht ans Bein pinkeln,“ sagt Pomorin heute – vor rund 20 Jahren regierte in NRW noch unangefochten die SPD, zu der der WDR damals ein ähnliches respektvolles Verhältnis pflegte wie heute zur CDU.
Als Drehbuchautor schaffte es Pomorin dafür auf andere Weise ins Fernsehen: Mit Michael Illner schrieb er die RTL-Serie „Balko“, die von 1994 bis 2003 produziert und 1995 mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet wurde. „Balko“ funktionierte in erster Linie als überzeichnete Krimi-Komödie mit liebevollen Seitenhieben auf den Einsatzort Dortmund. Doch schon hier wurde die Handlung mit sozialer Relevanz unterfüttert. „Der Trend geht heute mehr als früher in Richtung humorvolle Vermittlung sozialkritischer Themen“, sagt Pomorin, man müsse nur „aufzupassen, dass man dabei nicht beginnt, allzu sehr zu konstruieren.“ Mittlerweile schreibt Pomorin für den Bodensee-„Tatort“ und das ZDF, ist aber nach wie vor auch weiter als Romanautor aktiv.
Ein anderer, noch größerer Erfolg der regional-engagierten Krimiszene hat es trotz Millionenauflage dagegen bis heute nur ein einziges Mal ins Fernsehen geschaffte: Der ehemalige „Stern“- und „Spiegel“-Journalist Michael Preute, der als Jacques Berndorf mit seinen Eifelkrimis eine ganze Region in den Fokus der Öffentlichkeit brachte. Heute gibt es Eifel- sowie andere Regionalkrimiautoren im Dutzend und alle zwei Jahre findet im Eifelstädtchen Daun ein „Eifel-Krimi-Festival“ statt, bei dem auch die TV-Sendergewaltigen von nah und fern gesichtet werden.
Berndorf fragt sich bis heute, warum seine Romane bislang nicht verfilmt worden sind. „Dabei sind die Eifelkrimis eigentlich ein ideales Reihenkonzept“, sagt auch Grafit-Verleger Booß, der bis 2007 Berndorfs Romane herausgab und sich auch um die Filmrechte kümmerte: „Interesse gab es bei fast allen großen Sendern, doch geworden ist daraus nichts.“ Beim WDR, der wegen der regionalen Nähe als Eifelkrimi-Produzent prädestiniert gewesen wäre, ist wenig Konkretes herauszubekommen.
Und so lief das bisher einzige filmische Gastspiel von Berndorfs Hauptfigur, dem leicht melancholischen Ermittler-Journalisten Siggi Baumeister, vor neun Jahren bei Arte und im ZDF – passenderweise unter dem Titel „Brennendes Schweigen“. Die Adaption von Berndorfs Roman „Eifel-Schnee“ stieß allerdings beim Autor wie auch beim Publikum auf wenig Gegenliebe, auf Fortsetzungen wartet man auch im Zweiten vergebens.
Berndorfs Romane mixen Gesellschaftskritik gekonnt mit einer gehörigen Portion Lokalkolorit, es geht um die Bundeswehr in der Eifel, Müllskandale und Menschenhandel. Der Humor tritt etwas kürzer als bei Kehrers „Wilsberg“. Dafür ist er beim Autor selbst ausreichend vorhanden, vor allem, was das Interesse an seinen Büchern bei Film und Fernsehen angeht: „Vor Jahren war mal jemand bei mir, der die Rechte haben wollte,“ erzählt Berndorf, „der fuhr in einem 500 SL vor und fragte nach zwei Stunden, ob ich ihm einen Hunderter leihen könnte.“