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Archiv-Artikel

Geschichte mit offenem Ende

Der Arbeitskreis NS-Gedenkstätten NRW e.V. geht online. Die Internetseite veranschaulicht alltägliche Auswirkungen des Regimes: durch Lebensgeschichten von Opfern und Tätern im lokalen Kontext

AUS KÖLN HENK RAIJER

Geschichte mit Leben füllen – und das mit Hilfe eines Mediums, das Zukunft verheißt. Mit seinem Internetportal „lebensgeschichten.net“, das diese Woche im Kölner NS-Dokumentationszentrum vorgestellt wurde, beschreitet der Arbeitskreis NS-Gedenkstätten NRW e.V. neue Wege in der Gedenkstätten- und Bildungsarbeit. Im Mittelpunkt des Projekts steht die Biographie, durch die Ereignisse und Fakten der NS-Zeit exemplarisch nachvollziehbar werden. Entstanden ist nach über zweijähriger Projektarbeit ein „geschlossenes Netz“, das es jedem Interessierten auch ohne Vorwissen erlaubt, das breite Spektrum von möglichen Verhaltensweisen und Verfolgungsschicksalen unter dem NS-Regime zu verstehen und in einen größeren historischen Zusammenhang einzuordnen.

Dabei handelt es sich keineswegs um ein rein biographisches Nachschlagewerk. Vielmehr werden vom Nationalsozialismus geprägte Lebensgeschichten von Opfern und Tätern in Städten wie Köln, Siegen, Krefeld, Düsseldorf oder Bonn „zum Ausgangspunkt genommen, um etwa bei Schülern Erkenntnis- und Lernprozesse in Gang zu setzen“, wie Projektleiter Martin Rüther, wissenschaftlicher Mitarbeiter am NS-Dok, bei der Präsentation erläuterte. Die Internetseite „lebensgeschichten.net“ zeigt Lebensabschnitte im historischen Kontext, oftmals angereichert mit Fotos und Dokumenten, in einzelnen Fällen auch mit Film- oder Audiomaterial.

Aufbereitet wurden die bislang 26 dokumentierten Lebensgeschichten von Mitgliedern des Arbeitskreises, der 1993 gegründet wurde und in dem 16 NRW-Gedenkstätten zusammengeschlossen sind. So hat etwa die Mahn- und Gedenkstätte Düsseldorf für das „Netz“ die Karriere des NS-Schergen Friedrich Karl Florian beigesteuert. Der Aufstieg des 1894 in Essen geborenen späteren Gauleiters von Düsseldorf ist ausführlich dargestellt und wird als repräsentativ für Karrieren im NS-System bewertet. Ebenfalls repräsentativ: In der Nachkriegszeit lebte der „Gauleiter i.R“ Florian bis 1975 unbehelligt in Düsseldorf.

Nahe liegender Einstieg in die Seite ist die Lebensgeschichte selbst. Von der Startseite aus erreicht der Nutzer eine Seite, die ihm drei Möglichkeiten bietet, aus den im Netz dargestellten Biographien auszuwählen: nach Geburtsjahr, dem Ort der Quelle oder alphabetisch. Eine weitere Option ist die des Nachschlagens in den Sparten „Geschichte“, „Regionalgeschichte“ und „Lexikon“. Ein Mausklick auf ein Ereignis liefert nicht nur die gewünschte Information, sondern zeigt gleichzeitig, welche der hier dokumentierten Lebensgeschichten in den jeweiligen historischen Zusammenhängen, etwa der Weltwirtschaftskrise, interessant sein könnte.

„Wir haben in NRW keine großen Erinnerungsorte von überregionaler Bedeutung“, sagte Alfons Kenkmann, der Vorsitzende des Arbeitskreises. „Eine vitale Erinnerungskultur braucht daher gemeinsame Projekte“, erklärte der Geschichtsdidaktiker die Idee hinter dem Lebensgeschichtlichen Netz. Gefördert wurde das Projekt von der Landeszentrale für politische Bildung NRW sowie vom Bundesbeauftragten für Kultur und Medien mit etwa 250.000 Euro.

Mit dem Online-Gang ist das Vorhaben aber nicht abgeschlossen. Mittels eines moderierten „Forums“ wollen die Initiatoren Schüler und Institutionen dazu animieren, aktiv mit und für das „Lebensgeschichtliche Netz“ zu arbeiten. „Nur durch Austausch kann das Netz mit Leben gefüllt werden“, sagte Martin Rüther. Beiträge würden in die Hauptdatenbank eingespeist und inhaltlich geprüft. Die verantwortliche Redaktion stelle sie dann ins Netz. Die Nutzer würden sich auf keinen Fall wie in einem „Chatroom“ austauschen. „Das wäre dann doch zu heikel.“

www.lebensgeschichten.net