Debatte US-Präsident: Obama ist Folklore

Die Europa-Reise des Präsidenten hat es gezeigt: Obama ist nicht in der Lage, amerikanische Interessen durchzusetzen. Alle lieben ihn, aber keiner tut, was er sagt.

Lassen Sie mich zunächst allen Plattitüden der Demokraten zustimmen. Ja, es ist besser international beliebt zu sein. Ja, es ist besser mit Kontrahenten zu sprechen als sie zu dämonisieren. Ja, es ist auch besser, den Ansichten der Verbündeten offen zu begegnen als ihnen ständig zu sagen, was sie tun haben. Und natürlich ist es sogar weitaus besser, wenn anstelle eines neokonservativen Fanatikers ein charismatischer, junger, intelligenter und dynamischer Präsident am Staatsruder sitzt.

Doch alldem zum Trotz, Präsident Obama hat während seiner umjubelten Tamtam-Europa-Reise so gut wie nichts Konkretes auf den Weg gebracht. Vielmehr hat er die neue Philosophie auf Spritztour mitgenommen; die Ergebnisse seiner Reise aber ähneln erschütternderweise der schlechten alten Zeit der Bush-Administration. Natürlich wollte jedes europäische Staatsoberhaupt einen Fototermin mit dem schicken neuen Präsidenten. Berlusconi war in dieser Hinsicht besonders erbärmlich: Bei jeder Gelegenheit schmuggelte er sich wie ein Springteufelchen mit aufs Obama-Foto. Doch wichtiger als diese Kinkerlitzchen: Die Reise hat bewiesen, dass Popularität gegen das jeweilige Nationalinteresse nichts ausrichten kann. Und nun, wo der Zirkus die Stadt verlassen hat, um mit Shakespeare zu reden, wird offensichtlich: Der Trip war laut und wild, und er hatte keinerlei Bedeutung.

Schauen wir mit etwas weniger feuchten Augen auf die drei großen Gipfel, an denen Obama teilgenommen hat. In den Wochen vor dem G-20-Treffen in London hatte das Weiße Haus unzweideutig klar gemacht, das oberstes Ziel bestehe darin, die europäischen Zauderer, also insbesondere Deutschland und Frankreich, davon zu überzeugen, weiteren großen Konjunkturpaketen zuzustimmen, und zwar in Abstimmung mit den Anstrengungen seitens der Amerikaner und der Chinesen. Das Weiße Haus glaubte, wenn das gelänge, dann würde die weltweite Produktion von einer von ihm koordinierten kenseyanischen Weltpumpe profitieren. Und was antworteten Kanzlerin Merkel und Präsident Sarkozy ihrem neuen besten Freund? Kommt überhaupt nicht Frage.

Weiter gings zum Nato-Gipfel. Obamas Auftritt im Straßburger Rathaus erinnerte an die Rolling Stones. Doch der Liebestaumel konnte weder Frankreich noch Deutschland dazu bewegen, mehr Kampftruppen in den Afghanistankrieg zu schicken (ja, es handelt sich um Krieg, fragen Sie einfach jemanden, der dort war). Merkel und Sarkozy hielten sich vielmehr an den überwältigenden Wunsch ihrer Wähler und stimmten zu, mehr Ausbilder beizusteuern. Vage war auch die Rede davon, mehr Geld zu geben, irgendwann.

Sehen wir den Tatsachen ins Auge: Die Aufstockung des Kontingents an Ausbildern war überhaupt nicht das, was die Obama-Administration gewollt hatte. Jeder, der sich ein wenig für die Situation in Afghanistan interessiert, weiß, dass die USA dringendst viel, viel mehr Nato-Truppen im Süden benötigen. Und jedes Kind weiß auch, das heißt: Wir brauchen Deutschland und Frankreich. Aber nichts ist passiert. Es scheint, also ob Obamas Beliebtheit sich allein auf seine Person bezieht. Die Politik der Kontinentaleuropäer hingegen beeinflusst sie nicht. Ihre Haltung in Sachen Krieg hat sich nicht um einen Jota verändert.

Schließlich, und das war vielleicht das Erbärmlichste, traute sich Obama beim USA-EU-Treffen in Prag von einer Welt ohne Nuklearwaffen zu träumen. Als ich das hörte, fiel mir sofort der Song von Brian Wilson ein "Wouldnt it be nice".

Selbstverständlich, es wäre schön. Die Europäer haben schon öfter substantielle Politik torpediert und sich dabei heiser geschrien. Trotzdem stören immer Fakten ihre Träumereien. Etwa Nordkorea, das versucht, die technischen Standards seiner Nuklearraketen zu verbessern und außerdem in Besitz eines glaubwürdigen nuklearen Abschreckungsarsenals zu kommen. Kim Jong Il mag ein Wahnsinniger erster Güte sein. Aber das heißt mitnichten, dass er in den vergangenen zwanzig Jahren die zentrale Lektion für Diktatoren verpasst hätte. Die nämlich lehrt: Tu was immer du willst in Tschetschenien. Machst du es nicht, stirbst du allein in einer Gefängniszelle in Den Hague oder hängst am Ende eines Seils, siehe Milosevic oder Saddam.

Was mit der Irankrise gleichfalls unübersehbar wird: Es gibt keine Anzeichen dafür, dass die Staaten heute weniger nach dem Besitz von Nuklearwaffen strebten. Und unser Präsident vermerkt, dass die USA nicht unilateral abrüsten werden. Daher warten wir nun auf Russland, China, Nordkorea, Israel, Iran, Pakistan und Indien. Vielleicht warten wir auch noch auf Godot. Nicht einen Tag nach 1945 haben wir in einer nuklearwaffenfreien Welt gelebt; das ist die historische Wahrheit. Das Wunschdenken aber mit seinen markigen Sprüchen steht auf einem ganz anderem Blatt.

Fassen wir ein letztes Mal die Ergebnisse zusammen: Kein finanzieller Stimulus, keine neuen Kampftruppen von den Verbündeten und keine Indizien für eine Welt ohne Atomwaffen. Aber war es nicht wunderbar, dass sich alle so gut verstanden haben?

Die kalte, harte Wahrheit jedoch ist: Der Sinn der transatlantischen Beziehungen, trotz unseres begabten Präsidenten, besteht darin, eine gemeinsame Politik auszuarbeiten. Sie und nichts anderes ist nun mal der Zweck eines jeden Bündnisses. Und kein noch so großes Trara kann kaschieren, dass nichts dergleichen erreicht worden ist.

Gebt mir das Salz. Einer muss Obama die Suppe versalzen.

Übersetzung: Ines Kappert

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