: Musterbank fürs gehobene Bierzelt
DESIGN VON NEBENAN (VII) Die Bremer Designerin Andrea Dilzer überlässt bei ihren Entwürfen vieles dem Zufall. Von Verzierungen um der puren Dekoration willen hält sie dennoch ganz und gar nichts
Jeden Morgen musste Andrea Dilzer im Café neben ihrem Arbeitsplatz mit ansehen, wie die Kellner die Bierbänke von ihren Ketten befreiten, sie vom Stapel hievten und umständlich aufklappten. Eine halbe Stunde brauchten sie dafür, und hinterher waren sie sichtlich genervt. „Das muss doch irgendwie anders gehen“, dachte sich Dilzer irgendwann.
Kurz zuvor hatte sie sich in Zusammenarbeit mit dem Bremer Fa–serinstitut mit den Eigenschaften von Karbon auseinandergesetzt. Leicht und witterungsbeständig ist das Material – genau die Eigenschaften, die dem Klassiker der Außengarnituren leider abgehen. Zeit für ein Redesign also. Stabil sollten sie sein und stapelbar, dazu leicht abzuschließen. Dilzer entwickelte eine kippelfreie Bank mit drei Beinen, die ohne Platzverlust versetzt übereinander gestapelt werden kann und einen Schlitz für ein Schloss hat.
Einziger Nachteil: Karbon ist sehr teuer. Und um in Serie zu gehen, müssten erst einmal spezielle Maschinen entwickelt und hergestellt werden. Für den durchschnittlichen Café- oder Festzeltbetreiber wäre so eine Bank daher kaum erschwinglich. „Ich könnte sie mir etwa in VIP-Zelten vorstellen“, sagt Dilzer.
Der Name der Bank-Studie ist Mustafa. Die Abkürzung steht für Muster, Stapeln, Fasern. Dilzer will die Bierbank nämlich mit frei wählbaren Mustern aus Sternen, Rauten oder Blüten aufpeppen. „Die konventionellen Bierbänke sind ja nicht wirklich schick“, meint sie. Muster sind ihre Leidenschaft. Allerdings muss ein Konzept dahinterstehen: „Wenn das Konzept eine klare Formensprache verlangt, dann sehe ich keinen Sinn in irgendwelchen Verschnörkelungen, nur weil die gerade schön oder angesagt sind“, sagt sie.
Bei ihren Mustern setzt sie sich zunächst eine Vorgabe, etwa ein Kästchenmuster. Dann stellt sie eine Regel auf, etwa indem sie den Zahlen eines Würfels verschiedene Farben zuordnet und jedes einzelne Kästchen auswürfelt. So bleibt das genaue Ergebnis dem Zufall überlassen. Im nächsten Schritt stellt sie eine neue Regel auf, etwa indem sie einen Scanner benutzt und beim Scannen das Blatt bewegt. So gibt sie die Kontrolle über das Ergebnis weit gehend aus der Hand.
So entstanden auch die Bezüge für die „Flexible Tubes“, mit Styroporkügelchen gefüllte Stoffschläuche, die man wahlweise zu Sitz-, Schlaf- oder Fläzgelegenheiten umbauen kann. Auf den ersten Blick sieht man bunte Muster auf schwarz-weißem Hintergrund. Auf den zweiten Blick erkennt man – Zecken. Die Blutsauger stecken die Köpfe zusammen oder gruppieren sich um eine runde Blase, in die sie sich verbeißen. Mit Farbe unterlegt entstehen so blütenartige Muster. Für diese Arbeit, die als Bettwäsche auch für krabbelige Träume sorgen kann, ließ Dilzer wieder Zufall und Regel miteinander spielen. „Ich saß vor Photoshop und kannte die Werkzeuge noch nicht so richtig“, sagt sie. Da habe ich dann mit den Einstellungen gespielt und war teilweise ganz überrascht, was dabei herauskam.“ Sie freut sich über den Überraschungseffekt. „Auf den ersten Blick ist es ein schönes Muster und auf den zweiten Blick sieht man das Ekelige, das irritiert und die Schönheit bricht.“
Der Zufall spielt nicht nur eine große Rolle im kreativen Prozess von Andrea Dilzer. Auch ihr selbst scheint Einiges zuzufallen. „Einen Tag nach dem Diplom kam der erste Anruf. Seitdem geht es von Projekt zu Projekt“, erzählt sie. Dabei hat sie von performativen Modenschauen über Schuhe bis hin zu einem Sammelband schon alles mögliche gemacht. „Mich langweilt eine Sache oft schnell“, sagt sie, und lacht. An den kulturellen und universitären Projekten gefiel ihr vor allem die kreative Freiheit. Denn Dilzer hat sich ihren Spieltrieb und ihre Intuition bewahrt: „Man muss versuchen, unsere komplexe Realität nicht nur durch Wissen, sondern auch durch Nichtwissen zu bewältigen“, ist ihre Überzeugung.NANTKE GARRELTS