die wahrheit: Der Subpfandnehmer

Für diese Miniatur hätte ich lieber eine Frau zur Hauptfigur erklärt, am liebsten jene dafür zum Vorbild genommen, die im Kaffeehaus so grazil am Nebentisch saß ...

Für diese Miniatur hätte ich lieber eine Frau zur Hauptfigur erklärt, am liebsten jene dafür zum Vorbild genommen, die im Kaffeehaus so grazil am Nebentisch saß, sehr selbstverständlich eine klassische, die blaue filterlose Gauloise rauchte und dann ihrem Gegenüber etwas zuflüsterte wie: er ärgere sich zu oft und sei zu selten wütend. Das traf.

Doch es will nicht gelingen, sie würde in die Geschichte nicht recht passen. Denn wenn man das als Rohstoff verwendet, was dieser Typ aus der Nachbarschaft so treibt, was ihn so umtreibt, eignet es sich, scheint mir, in der fiktiven Fassung nur für einen, ähem, Herrn. Ihm also, nennen wir ihn Kleinert, sieht der Protagonist wie zum Verwechseln ähnlich, stimmt gleichwohl naturgemäß keineswegs mit ihm überein.

Was Kleinert seit geraumer Zeit an den Tag legt, versetzte mich allmählich ins Grübeln. Zunächst erzählte er kraft glaubhafter Zwischentöne von einem längeren Aufenthalt in einem Franziskanerkloster. Einer der Mönche habe ihm abschließend geraten: "Ich möchte, dass Sie immer ihrer Intuition trauen, Kleinert. Versprechen Sie mir, dass Sie der Intuition immer trauen, auch wenn sie zwischendurch mal falsch sein sollte. Die Richtung stimmt."

Ob es nun Intuition war, eine Erleuchtung, die den mittlerweile arbeitslosen Kleinert dazu veranlasste, aus der eigenen, ohnehin karger gewordenen Garderobe einem Obdachlosen Wäsche, einen Anzug aus edlem Garn und ein Paar handgenähte Schuhe zu spenden, sei dahingestellt. Jener Tramp stromert sommers seit zwei, drei Jahren hier im Viertel herum. Längst hätte Kleinert gewahren können, dass jener Mensch offenkundig programmatisch, beinahe demonstrativ auf rauborstigen, dem endgültigen Verfall entgegen eilenden Schuhsohlen unterwegs ist und zerfetzte, grindige Textilreste trägt. Die Üppigkeit seiner verfilzten Kopfhaarsträhnen würde jeden Rastafari egal welcher Hautfarbe vor Neid erblassen lassen. Mir schwebte sogleich Nick Nolte vor Augen, wie er überzeugend den Penner in "Down and out in Beverly Hills" mimt. Der überaus sympathische Vertreter dieser Zunft hier bei uns ist jedoch bei weitem authentischer staffiert, hat noch mehr Stil! Dies nur beiseite.

Kleinert also erhält derzeit Schotter aus dem Hartz-IV-Topf. Er ist wahrlich klamm, um es mal vorsichtig auszudrücken. Doch einigermaßen souverän bringt er die Pfandflaschen à acht Cent nicht etwa zum Rückgabeautomaten bei Rewe, sondern auf das Terrain der Altglas-Container, stellt sie nebendran, um sie der Einfachheit halber direkt den Sammlern anzubieten, die täglich in den Containern nach Verwertbarem angeln. Eine irgendwie noble Geste, Kleinert, so nenne ich das und verkneife mir sogar den banalen Gag, von einer "Abwrackprämie" zu faseln.

Die Frau am Nebentisch war derweil ins Schweigen vertieft, der Mann sann danach, ob er wütend werden sollte und wenn ja, ob er dazu fähig war. Falscher Ansatz, keine Frage. So schieden die beiden denn voneinander, als die Frau beinahe wortlos aufbrach. Zum Altglas-Container? Wohin auch immer.

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kari

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