Nix zum Saufen

AROMA Laut, rau, direkt: Das Bier, das nach Großstadt schmecken soll, kommt aus einer Kleinbrauerei – und ins Rotweinglas. Eine Verkostung

■ Das Bier: Das Pale Ale ist ein Bier mit Geschichte. Als England noch Kolonialmacht war, braute man auf der Insel das helle, Bier mit viel Hopfen und Alkohol. So überstand es den weiten Seeweg zu den Kolonien, ohne umzukippen.

■ Das Comeback: Seit einigen Jahren wird das Pale Ale wieder in den USA getrunken – neuerdings auch in Deutschland. Die Berliner Brauerei verkauft die trübe gelbe Flüssigkeit in Dreiviertelflaschen. Achtung: Pale Ale taugt nicht zum Rausch.

VON ANDREAS RÜTTENAUER

Walderdbeeren sind für Schnecken da. Wenn sie reif sind, hängen sie knapp über dem torfigen Boden, damit die feuchten Kriecher sich nicht zu sehr nach ihnen strecken müssen. Wer Glück hat, erwischt eine, bevor die Schnecken sie entdecken. Und verfällt dem Geschmack dieser Frucht: So erdbeerig schmeckt keine noch so rubinrot gezüchtete. So fruchtig riecht selten überhaupt eine Beere. Im Winter ist ihr Duft auch nicht zu finden.

Umso überraschender, wenn er einem doch in die Nase kriecht. Kann das sein? Kommt dieses Gedicht wirklich aus diesem Glas? Da ist doch nur ein Bier drin. Nur ein Bier? Ein Bier!

„Manche riechen auch Pfefferminz“, sagt Michael Schwab, 38 Jahre alt, ein großer, blasser Mann. Er hat das Bier gebraut, an dem man gern noch ein wenig riecht, bevor man den ersten Schluck nimmt. Schwab betreibt eine Minibrauerei in Berlin. Brewbaker nennt die sich, ihre Heimat hat sie in einer alten Markthalle im Stadtteil Moabit.

Schwab ist ein Hopfenhandwerker. Was ins Glas mit der trüben, gelben Flüssigkeit kommt, ist durch seine Hände gegangen. Jede der gewaltigen Dreiviertelliterflaschen hat er selbst ausgespült. Vor allem wurde jeder Sud, den er angesetzt hat, von ihm abgeschmeckt. Nur wenn der studierte Brauingenieur zufrieden ist mit dem, was er riecht oder schmeckt, wird abgefüllt. Ist das Gebräu nicht ganz gelungen, landet der Inhalt seines Braukessels in der Kanalisation, ohne zuvor durch einen menschlichen Organismus geflossen zu sein.

Eine Hopfensorte heißt Smaragd, eine andere Perle

Das trübe Helle, das so fruchtig duftet, ist ein IPA. Englisch wird das „ai-pi-äi“ ausgesprochen. India Pale Ale. Ein Bier mit Geschichte. Damit englische Herrschaften fernab ihrer Heimat auf den Veranden ihrer kolonialen Villen in Indien nicht auf ihr gewohntes helles (pale) obergäriges Bier (ale) verzichten mussten, hatten sich die Brauer überlegt, das Bier besonders hopfig und mit höherem Alkoholgehalt zu brauen, damit es auf dem weiten Seeweg nicht umkippt.

Bis vor ein paar Jahren hat sich niemand für die alten Rezepte interessiert. Jetzt wird das IPA vor allem in den USA geschätzt. Kleinbrauereien haben mit ihren Ideen der klaren Einheitsbrühe der Großbrauereien, die meist so kalt ausgeschenkt wird, dass keiner merkt, wie wenig Aroma sie hat, Geschmack entgegengesetzt; eine neue Hopfenkultur. Fruchtige Aromen sind kein Zufall.

Auch in Deutschland haben die Braukonzerne den Biergeschmack über die Jahre nivelliert. Die größten Hopfenanbaugebiete der Welt gibt es hier – und doch musste Michael Schwab für seine Kreationen nicht selten Dolden – die Früchte der Hopfenpflanzen – aus Neuseeland oder den USA importieren.

Aber der Trend zum Handwerksbier, den die Kleinbrauer in Deutschland ausgelöst haben, ist bei den Hopfenbauern angekommen. Der Hopfen der Sorte Polaris, mit dem Schwabs IPA gebraut ist, kommt aus einheimischer Produktion. „Da kommt das Pfefferminzaroma her“, sagt der Brauer, der seit 2005 in Berlin Biere herstellt, wie sie ihm gefallen. Und noch weitere Hopfensorten sind im IPA verbraut. Eine heißt Smaragd, eine andere Hallertauer Perle. Die Perle liefert vor allem die Bitterstoffe im Brewbaker-Bier.

Bitteres Bier kann wehtun. Wenn sich der herbe Geschmack vorne auf der Zunge ablegt, ist der Mund oft wie betäubt. Beim Brewbaker-IPA ist das anders. Da fließen die Bitterstoffe über die Zunge bis zum Gaumen, erst dort machen sie sich breit, dann läuft die Flüssigkeit hinunter in den Magen, wo sie sich wohlig über alles legt, was man zum Bier verzehrt. Rotes Fleisch zum Beispiel oder Wild. Michael Schwab könnte sagen, zu welchem Essen eines seiner Biere passt. Angefangen hat er mit einer Gasthausbrauerei. Er weiß, was man den Menschen servieren muss, und berät bis heute Gastronomen bei der Bierauswahl.

Wer Scharfes isst, dem empfiehlt er eine andere Kreation. „Berliner Art“ hat er sie genannt. Es ist ein Double IPA, gebraut wie ein IPA – mit den gleichen Zutaten in doppelter Menge. Auf dem Etikett steht: „Ein Bier wie Berlin: Direkt, laut, intensiv, fordernd, großmäulig, vielschichtig, erschütternd, präsent, rau, ungeschminkt und ehrlich.“

Großstädtische Bräulyrik für ein Bier, das am besten wirkt, wenn man es im Rotweinglas trinkt. Und kälter als 12 Grad sollte es auch nicht sein, meint der Brauer.

Warmes Bier? Michael Schwab ist da kein Ideologe. Jeder soll sein Bier so kalt oder warm trinken, wie er mag. Im Glas steht jetzt ein hellbraunes Gebräu mit weißem und ganz feinem Schaum. Ein Bier, dessen schaumige Krone sich so schnell nicht auflöst. Jetzt die Nase ins Glas. Moment? Kocht hier gerade jemand bittere Orangen zu feiner Marmelade ein? Mit ein paar Kräutern?

„Erschütternd“ sei das Bier, steht auf der Flasche. Stimmt. Langsam läuft der braune Saft durch den Mund, hinterlässt dort zitronige Spuren. Und wieder gibt es dieses eigenartige Geschmackserlebnis, wenn Bitterkeit den Gaumen streichelt, statt die Zunge zu provozieren.

Dass die „Berliner Art“ kein Bier zum Saufen ist, muss Braubäcker Schwab eigentlich nicht sagen. „Keiner trinkt so ein Bier allein. Das ist wie eine gute Flasche Wein.“

Der braune Saft läuft durch den Mund, hinterlässt zitronige Spuren. Bitterkeit streichelt den Gaumen

Und wenn man einfach saufen will? „Alltagsbiere muss es natürlich auch geben“, sagt Schwab, auch wenn er meist nicht mehr als eines dieser gefilterten und pasteurisierten Biere trinken kann, die von den Brauriesen in Deutschland vertrieben werden.

Von den Antiaromabieren, die für Preise ab fünf Euro pro Kasten in den großen Supermärkten verkauft werden, will Schwab nicht reden. Dem deutschen Einheitsgebräu etwas entgegenzusetzen, das war ja genau der Grund, weshalb er sich entschieden hat, sein Leben der Braukunst zu widmen. Eine richtige Entscheidung, wie er findet. Es gebe genug Freunde des Biers, die bereit seien, für eine Flasche Double IPA 8 Euro zu zahlen.

Gingerbier mit Ingwer aus Madagaskar

4.000 Hektoliter Bier kann Schwab mit seiner Anlage im Jahr herstellen. Zwanzig verschiedene Sorten braut er jährlich. Ein Pils sowieso, und für jede Jahreszeit ein Spezialbier. Auch ein Gingerbier hat er entworfen. Das gibt es allerdings gerade nicht, weil der Madagaskar-Ingwer, den er dafür braucht, derzeit nicht lieferbar ist.

Er kann ohnehin nicht jeden beliefern, der ein Stout aus Berlin probieren will oder eben seine „Berliner Art“. Schwab könnte viermal so viel Bier verkaufen, wie er brauen kann. Deshalb soll bald investiert werden. Der Einmannbetrieb soll wachsen, ein weiterer Braustandort in Berlin entstehen, ein Lehrling bei der Herstellung helfen.

Dann gibt es vielleicht wieder mal einen Sud „Berliner Blut“, süßliches, dunkelrotes Ale mit Bamberger Rauchmalz. Die „Berliner Art“ wird es sowieso immer geben. „Das ist meine Hommage an die Stadt“, sagt der Berliner Schwab, auch wenn er weiß, dass seine Biere nicht nach Beton, nach Staub oder der trüben Berliner Luft schmecken. Der Großstadtmensch braucht es nicht immer hart. Und für die absoluten Asphaltjunkies wirkt der Duft von bitterer Orange oder Walderdbeeren ja womöglich wie eine Kur.