: Antisemitische Alkoholiker
ANTISEMITISMUS II Der jüdische Schriftsteller Tuvia Tenenbom liest aus „Allein unter Deutschen“
Bei Tuvia Tenenbom weiß man nie so recht, ob das alles Ernst oder doch nur ein großer Spaß ist. Der israelisch-amerikanische Autor sitzt auf dem Podium der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz und diskutiert über sein umstrittenes Buch „Allein unter Deutschen. Eine Entdeckungsreise“, in dem er den Insassen der von ihm bereisten germanischen Irrenanstalt zweierlei bescheinigt: Biersucht und einen tiefsitzenden Judenhass. Das Publikum, aufgewärmt durch die Lesung der provokanten Kapitel, dankt es ihm mit lautem Lachen und Jubelrufen.
Der jüdische Autor aus New York, Sohn eines Rabbiners, reiste im Sommer 2010 quer durch die Bundesrepublik, um die Deutschen verstehen zu lernen. Sein Ende 2012 auf Deutsch erschienener Reisebericht – ein Mix aus steilen Thesen über die Deutschen, billigem Galgenhumor und einem locker-lustigen Schreibstil – hat es bis in die hiesigen Bestsellerlisten geschafft.
So unterhaltsam, wie Tenenboms Buch zu lesen ist, so rhetorisch gewieft zeigt sich der Autor auf der Bühne. Er erntet Applaus, wenn er von der krankhaften Obsession der Deutschen mit Israel und den Juden berichtet, Lacher, wenn er erzählt, wie er Neonazis mit dem Hitlergruß provozierte, und Zustimmung, wenn er die deutschen Linken und ihren Hang zum Extremen verspottet.
Zu den Begegnungen in Deutschland, von denen Tenenbom berichtet, gehören neben Interviews mit Helmut Schmidt und Giovanni di Lorenzo auch Besuche in Biergärten, Nazi-Kneipen und Linkentreffs. Und dies alles, so Tenenbom, lasse ihn ob des allgegenwärtigen Antisemitismus der Deutschen erstarren. Der Einwurf des Publizisten Rafael Seligmann, der mit auf dem Podium sitzt und meint, dass Minderheiten doch nirgendwo geliebt würden, wirkt etwas fehl am Platze.
Dennoch bleiben Tenenboms Argumente zu gewollt, seine Eindrücke bewusst subjektiv und sein unseriöser Reporterstil zu sehr an einen Michael Moore erinnernd, als dass man geneigt ist, sich mit seinen Thesen ernsthaft auseinanderzusetzen. Vor allem aber die immer wiederkehrenden Anspielungen auf Bier, Bier und nochmals Bier erschweren es, Tenenboms Deutschlandimpressionen einen Mehrwert abzugewinnen.
Interessant wird es, als auf dem Podium der Journalist Christoph Dieckmann das Wort ergreift. Tenenboms Werk sei zwar ein „lebendiges Reporterbuch“. Der Job des Reporters aber sei es nicht, zu finden, was man finden wolle, sondern unvoreingenommen zu beobachten.
Damit hat er Tenenbom eine Steilvorlage geliefert. Im Saal der Volksbühne wird es mucksmäuschenstill. Eigentlich, setzt Tenenbom an, wollte er über Deutschland und nicht über Antisemitismus schreiben, als er 2010 zu Besuch kam. Als Jude sei er aber unweigerlich mit dem Thema konfrontiert worden. „Kapier das!“, faucht er ins Mikro. „Nehmen Sie den unglaublichen, unfassbaren Antisemitismus zur Kenntnis und stellen Sie sich ihm!“, redet sich Tenenbom in Rage, stößt ein Wasserglas auf dem Tisch um und fährt fort: Er sei es, der den „dirty walk“ gelaufen sei, der rausgegangen sei auf die Straßen dieses Landes und den Menschen zugehört habe. Dann springt er auf, geht auf Dieckmann zu und schlägt ihm vor, gemeinsam durch Deutschland zu ziehen, „durch die Kneipen, Bierschwemmen und Märkte“.
Tenenboms Buch mag platt und unseriös sein. Doch diese, Verzeihung, bierernste Seite des Autors überzeugt. So viel muss man ihm lassen. JANNIS HAGMANN