: Im Zweifel für die Ehre
Bundesverfassungsgericht schützt Noch-Minister Stolpe vor Stasi-Vorwurf. Grundsatzurteil zur Meinungsfreiheit
KARLSRUHE taz ■ Niemand darf behaupten, der scheidende Verkehrsminister Manfred Stolpe (SPD) habe im Dienst der Stasi gestanden. Dies entschied gestern das Bundesverfassungsgericht und hob – nach unerklärlich langen sieben Jahren – eine entgegenstehende Entscheidung des Bundesgerichtshofs auf.
Gestritten wurde um eine 1996 im ZDF gemachte Aussage des Berliner CDU-Politikers Uwe Lehmann-Brauns. Dieser sagte, es sei eine „Tatsache“, dass Stolpe „über 20 Jahre im Dienst der Staatssicherheit tätig“ war. Der damalige Brandenburger Ministerpräsident wehrte sich mit einer Unterlassungsklage. Zu DDR-Zeiten habe er zwar als Kirchenfunktionär berufsbedingte Kontakte mit der Stasi gehabt, er habe aber nicht gewusst, dass die Stasi ihn als Inoffiziellen Mitarbeiter (IM) „Sekretär“ führte.
Der Bundesgerichtshof hatte Lehmann-Brauns’ Äußerung „im Zweifel für die Meinungsfreiheit“ zugelassen, da sie „mehrdeutig“ sei. Man müsse die Äußerung nicht so verstehen, dass sich Stolpe zur Zusammenarbeit mit der Stasi verpflichtet habe – was nicht beweisbar ist. Denkbar sei auch die Auslegung, dass Stolpe im Rahmen seiner Kontakte einfach so der Stasi diente.
Das Verfassungsgericht entschied auf Klage Stolpes nun aber anders. Die Aussage von Lehmann-Brauns habe das Persönlichkeitsrecht des Politikers verletzt und hätte daher nicht erlaubt werden dürfen. In einem Grundsatzurteil machte der Erste Senat des Gerichts nun deutlich, dass es auf die Mehrdeutigkeit einer Aussage nur bei der nachträglichen Bestrafung als üble Nachrede oder Verleumdung ankomme. Für zivilrechtliche Unterlassungserklärungen, die in die Zukunft wirken, gälten jedoch andere Regeln. Hier könne einem Sprecher durchaus zugemutet werden, sich künftig präzise zu äußern und sich auf eindeutig zulässige Aussage-Inhalte zu beschränken.
Außerdem verlangten die Richter, dass bei der Äußerung über „nicht endgültig aufgeklärte“ Tatsachen deutlich gemacht werden muss, dass diese „umstritten“ sind. Lehmann-Brauns hätte also seine Sicht der Dinge, selbst in der vom Bundesgerichtshof unterstellten milderen Variante, nicht ohne Relativierung äußern dürfen.
Stolpe sagte gestern, das Urteil erfülle ihn mit Genugtuung. Die Stasiakten-Behörde erklärte dagegen, dass ihre Unterlagen den Schluss zulassen, Stolpe sei „ein wichtiger IM“ gewesen. Daran halte sie fest, auch nach dem gestrigen Urteil. CHRISTIAN RATH
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