Zentausende im Bildungsstreik: Schrei nach Wissen

Mehrere zehntausend Menschen sind für eine bessere Ausbildung auf die Straße gegangen. Alleine in Jena waren es 4.000.

Radau auf dem Campus: Studenten der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Bild: dpa

Das Gebäude der Sozialwissenschaftler der Friedrich-Schiller Universität in Jena ist nicht gerade eine architektonische Augenweide. Aber mit den großen Fenstern und der geräumigen Eingangshalle dürfte es den Ansprüchen genügen, bequem forschen, lehren und lernen zu können. Und doch hängt über dem Haupteingang ein Transparent, auf dem täuschend echt das Logo der Stiftung Warentest abgebildet ist: "FSU Jena mangelhaft", steht da geschrieben. Daneben hängt ein weiteres mit der Aufschrift: "Besetzt". Wie an 80 anderen Unis befinden sich auch Studierende in Jena für fünf Tage im Bildungsstreik.

Die Proteste lassen sich langsam an: 200 der insgesamt 21.000 Studierenden in Jena haben sich an diesem Nachmittag auf dem Campus versammelt. Am Abend zuvor hatten sie das Institut teilbesetzt. Auf Pinnwänden haben Studierende ihre Meinung zum Bachelor kundgetan: Zu verschult, schlechte Umsetzung, Niveauverlust, akademische Idee des freien Forschens im Sinne von Humboldt bliebe auf der Strecke, lauten die noch eher harmlosen Kritikpunkte. Aus den Lautsprecherboxen dröhnt Bob Marleys "Stand up for your rights" - ein Protestklassiker auch schon bei vergangenen Uni-Streiks. Fünf Bachelor-Studis umrunden einen Stuhl. Sobald die Musik aus ist, sollen sie um den einen Sitzplatz buhlen. Wie bei der Vergabe um einen Masterstudiengang, erklärt ein Streikaktivist das Spiel. Fast 80 Prozent der Studierenden an der Uni Jena würden im Anschluss ihres Bachelors laut einer von ihnen selbst durchgeführten Umfrage gerne ein Master-Studium dranhängen, sagt der Soziologie-Student Benjamin Triebe. "So viele Plätze wird es aber nicht geben."

Im zweiten Stock des teilbesetzten Instituts sitzt Stephan Lessenich. Er ist Studiendekan der sozialwissenschaftlichen Fakultät und zuständig für die Umstellung der bisherigen Diplom- und Magisterstudiengänge auf Bachelor und Master. Seit vier Semestern ist er im Gange. Es gebe gute Gründe, dem Magister nachzutrauern, sagt der Soziologie-Professor. Aber "ganz unambivalent" sei er nicht gewesen. Die Freiheiten, die der Magisterstudierende hatte, sei vor allem der akademischen Mittelschicht zugute gekommen. Nur wer Zeit und damit auch das Geld für ein langes Studium hatte, konnte auch ein gutes Examen machen. Bei StudentInnen, die sozial nicht so gut aufgestellt waren, sei die Abbruchquote deutlich höher gewesen, so Lessenich. "Eine stärkere Strukturierung des Studiums halte ich nicht für falsch." Den Bachelor in seiner gegenwärtigen Form findet aber auch er "zu rigide".

Den Groll der streikenden Studis hat er nicht auf sich gezogen. Im Gegenteil: Lessenich wird von den Streikenden ans Mikrofon gebeten. Ausdrücklich begrüßt er den Protest und fordert sie gar auf, sich über die Bildungsstreikwoche hinaus einzumischen. Der Bachelor sei "noch nicht in Stein gemeißelt", ruft er. Noch biete er Gestaltungsmöglichkeiten. Dafür erntet er Applaus.

Im ersten Stock des Instituts weht tatsächlich ein Hauch von 68. Entspannt liegen die Besetzer auf alten Matratzen, trinken Tee und beratschlagen, welche Aktionen als nächstes anstehen könnten. Prall gefüllt ist der Terminkalender, der an der Wand hängt, aber nicht. "Ich bin total enttäuscht", sagt Carolin Sonnabend von der Fachschaft Romanistik. Als eine der wenigen Engagierten in ihrem Fachbereich habe sie zwar schon vorher mitbekommen, dass viele ihrer Kommillitonen resigniert hätten. Aber bei einem bundesweit ausgerufenen Bildungsstreik hätte sie schon mit mehr Teilnehmern gerechnet, sagt sie. "Auch in Jena."

In einem Seminarraum drüber sitzt die Soziologie-Studentin Maria Schmitz. Ihre Dozentin hatte zuvor die Veranstaltung nach der ersten Hälfte abgebrochen und den Teilnehmern angeboten, stattdessen über Bildungspolitik zu diskutieren. Von den rund 20 Studierenden blieben drei sitzen, darunter Maria.

Sie selbst findet die Kritik der Streikenden berechtigt, den Streik aber nicht die angemessene Form. Anders als etwa ein Bahn-Streik fehle dem Studi-Streik die "Breitenwirkung", sagt die 22-Jährige. Er tue ja niemanden wirklich weh. Sie selbst hat mit den Füßen abgestimmt. Fünf Semester lang hatte sie in Erfurt Soziologie auf Bachelor studiert. Im letzten Semester ist sie nach Jena auf Magister gewechselt. Maria dürfte zu den letzten gehören, denen die sozialwissenschaftliche Fakultät noch einen Wechsel ermöglicht hat.

Überhaupt unterstützen viele des Instituts das Anliegen der Streikenden. Einige Dozentinnen haben als Zeichen der Solidarität einen Film vom letzten großen Studi-Streik von 2003 gezeigt. Ein weiterer Film beschäftigt sich mit einer Fabrikbesetzung in Frankreich aus dem Jahre 1974.

Am nächsten Tag kommt es dann doch noch zu den ersehnten Massen. Rund 4.000 Schüler und Studenten ziehen durch Jenas Gassen und stürmen zwischen durch gar das Studien- und Prüfungsamt der Uni. "Wir mussten uns verbarrikadieren", sagte eine Mitarbeiterin.

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