Debatte Schwarz-Grün: Dann machen wir es eben

Vom Hirngespinst zur Option der Stunde: Grüne und CDU verbindet mehr, als das Führungspersonal derzeit zuzugeben bereit ist.

Der Niedergang der Sozialdemokratie, ihr Absturz auf knapp 21 Prozent bei den Europawahlen und in den aktuellen Umfragen, ist eine Zäsur. Doch der Zusammenbruch der SPD setzt den Einschnitt nicht allein. Was die Zäsur historisch macht, ist der deutliche Stimm- und Popularitätsgewinn der Grünen. Denn dieser Zuwachs hat weitreichende Konsequenzen für die gesamte politische Statik des Landes.

Jurist und Politikwissenschaftler, ist Redakteur der "Blätter für deutsche und internationale Politik" (www.blaetter.de). Zuletzt erschienen von ihm "68 oder neues Biedermeier" und "Die gefährdete Republik" (beide bei Wagenbach).

Angesichts der strategischen Aussichtslosigkeit von Rot-Grün und der inhaltlichen Unvereinbarkeit der Parteien in Ampel- und Jamaika-Koalition stand bei der kommenden Bundestagswahl bisher nur eine eindeutige Richtung zur Wahl: Schwarz-Gelb. Doch seit den Europawahlen gibt es eine zweite mögliche Konstellation, nämlich Schwarz-Grün. 2005 erzielten Bündnis 90/Die Grünen 8,1 Prozent. Sollten sie ihr jüngstes Europawahlergebnis wiederholen, kämen sie dagegen auf gut 13 (oder mehr) Prozent und könnten mit einer Union um die 35 Prozent im Herbst koalieren (aufgrund der wirkungslosen Stimmen für Splitterparteien würde dies für die absolute Mehrheit reichen).

Wenn es der Sozialdemokratie nicht bis zum Herbst gelingt, ihren Niedergang zu stoppen, werden wir es in Zukunft mit einem gänzlich anderen Parteiensystem zu tun haben. Anstelle der klassischen Konstellation aus einem linken und einem rechten Lager würden zwei "bürgerliche Parteien", FDP und Grüne, um die Union als schwarze Sonne kreisen, während SPD und Linkspartei sich, um im Bilde zu bleiben, in anderen, fernen Galaxien tummeln, die mit Regierungsmacht wenig zu tun haben. Die Union hätte die freie Auswahl; die Linke dagegen wäre als politische Strömung strukturell regierungsunfähig.

In dem Maße, in dem die Bindekräfte der SPD schwinden, wirkt die Verlockung der Macht - insbesondere bei den Grünen, die sich immer stärker der Union öffnen. Vorreiter sind, nachdem die Koalition in Hamburg bereits die Tür geöffnet hatte, die Großstädte im Süden der Republik. Ob Stuttgart, Freiburg oder Frankfurt: Überall stehen die Zeichen auf Schwarz-Grün.

Doch auch auf Bundesebene könnten wir es schneller als bisher angenommen mit einer schwarz-grünen Koalition zu tun bekommen. Bereits heute wird eifrig an derartigen Konzepten gearbeitet. Grüne Vordenker wie Joscha Schmierer und Ralf Fücks wollen in ihrer Partei bereits eine "neue Volkspartei" erkennen, die keinem Lager mehr zugehörig ist, sondern Äquidistanz zu SPD und Union hält, um auf diese Weise der babylonischen Gefangenschaft der SPD zu entkommen.

Auch die Beschlusslage der Grünen ist bezüglich Schwarz-Grün völlig offen, da der Wahlparteitag lediglich einer Jamaika-Koalition eine Absage erteilte. Inzwischen schließt Renate Künast eine Koalition mit der Union nach der Bundestagswahl nicht mehr aus. "Das Wort ,verschließen' passt nicht auf unsere Situation", teilte Künast dem Hamburger Abendblatt mit. Man müsse "jede Chance, die es gibt, nutzen", um eine ökologisch-soziale Politik zu ermöglichen. Und der zweite Spitzenkandidat, Jürgen Trittin, sagte in einem Interview mit der Leipziger Volkszeitung: "In allen zentralen Punkten geht für die Grünen nichts mit CDU und FDP." Und weiter: "Unsere Eckpunkte sind mit Jamaika nicht zu verwirklichen. Deswegen haben wir diesem Bündnis eine Absage erteilt." Ausdrücklich nur "diesem Bündnis" - aus Union und FDP. Nachtigall, ick hör dir trapsen, sagt dazu der Berliner.

Eines ist gewiss: Den Rückhalt wesentlicher Medien hätten die Protagonisten einer schwarz-grünen Koalition sicher. Die Hamburger Troika - Zeit, Spiegel, Stern - hat ihre einstige Verbundenheit mit der SPD längst abgelegt. Insbesondere die inzwischen eher liberal-konservative Zeit drängt seit langem auf eine neue "bürgerliche Koalition" von Grünen und Union. In den Grünen sieht man hier den eigentlichen liberalen Sachwalter eines ökologisch-aufgeklärten Bürgertums, die FDP um Guido Westerwelle gilt dagegen als vulgärer Marktschreier einer unappetitlich gewordenen Regulierungsfeindschaft.

Gewiss, noch erscheint fraglich, ob die Union für ein derartiges Bündnis auf Bundesebene bereit wäre. Bei Angela Merkel dürfte man daran weniger Zweifel haben als bei der CSU. Allerdings signalisierte Wirtschaftsminister zu Guttenberg soeben bereits sein Interesse; man müsse da "viel beweglicher werden".

Für ein solches Bündnis spricht in der Tat das gemeinsame strategische Interesse von Grünen und Union. Für die Union hätte die Konstellation zwei entscheidende Vorteile: Zum Ersten wäre mit einer Koalitionsalternative das Erpressungspotenzial der FDP als bisher einziger möglicher Partner einer kleinen Koalition gebannt. Zum Zweiten gab es unter wertkonservativen Aspekten immer schon Berührungspunkte zwischen Union und Grünen, während die fast ins Anarchistische gehende Staatsfeindschaft der Westerwelle-FDP die sozialstaatsorientierte Wählerschaft der Union eher abschreckt - und sich als gefährlicher Bumerang im Wahlkampf erweisen könnte.

Mittelfristig wird die Union, so sie gut beraten ist, wie die Grünen gleichen Abstand zu beiden Parteien halten und sich ihren jeweiligen Koalitionspartner je nach Lage aussuchen. Aus der Mittelfristigkeit könnte allerdings ganz schnell Kurzfristigkeit werden. Wie nämlich sähe die Lage aus, wenn es am 27. September nicht nur für Schwarz-Gelb, sondern auch für Schwarz-Grün reichte - oder vielleicht sogar nur für Letzteres? Immerhin ist der Vorsprung der FDP fast zusammengeschmolzen, so dass die Grünen am Ende tatsächlich die Nase vorn haben könnten. Dann kämen mit Sicherheit viele auf die Idee, Schwarz-Grün zu propagieren - schon um uns weitere vier Jahre einer lähmenden großen Koalition zu ersparen. Wie heißt der alte Leitspruch: Über Koalitionen spricht man nicht, Koalitionen macht man. Zumal wenn sie schwierig sind.

Aber auch das ist heute längst überholt. Denn einer hat das vermeintliche Schweigegelübde bereits gebrochen: Daniel Cohn-Bendit. Der geübte Provokateur meinte zur Pleite der SPD unverblümt: "Dann machen wir eben Schwarz-Grün."

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