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Archiv-Artikel

Eine blutige Weihnachtsgeschichte

RE-ENACTMENT Mit „Die letzten Tage der Ceausescus“ versucht Milo Rau im HAU hinter die Kulissen der Geschichte zu schauen. Seine Recherchen stoßen bald an den fest verschlossenen Deckel über den Ereignissen

Am 25. Dezember, dem Tag, an dem die Ceaușescus exekutiert wurden, schneite es in Bukarest

VON DORIS AKRAP

Auf der Bühne des Hebbel am Ufer stehen sechs schmale Videostelen. Auf ihnen flimmern Bilder, die jeder kennt, der Weihnachten 1989 schon Fernsehen gucken konnte: Nicolae Ceaușescus letzte Rede auf dem Balkon des ZK, die er abbrechen musste; der Hubschrauber, der vom Dach des Präsidentenpalastes abhebt; drinnen das flüchtende Ehepaar Ceaușescu; das Ehepaar mit gefalteten Händen vor einem Tisch während des Schauprozesses; die Leichen des erschossenen Ceaușescus vor einer Mauer.

Diese Bilder, aufgenommen mit Videokameras, sind nicht nur in Rumänien unvergessen. Diese Sequenzen gehören genauso zum lebendigen Bildarchiv der Ereignisse von 1989 wie die Menschen auf der Berliner Mauer am 9. November desselben Jahres.

Das Ende des rumänischen Staatssozialismus war eine „Tele-Revolution“. Das Fernsehstudio des rumänischen Staatsfernsehens war zentraler Ort der Revolution. Es war am 21. Dezember von der „Front der nationalen Rettung“ (FNR) rund um den künftigen Staatspräsidenten Ion Iliescu besetzt worden. Hier wurde der „Sieg der Freiheit“ am 22. Dezember verkündet, von hier aus wurden die letzten Bilder der Ceaușescus gesendet.

Milo Rau, ein junger deutsch-schweizerischer Literaturwissenschaftler, hat nun 20 Jahre später ein Bühnenstück aus der blutigen Weihnachtsgeschichte gemacht. Er will es als „Re-Enactment“ verstanden wissen. Damit ist gemeint, ein historisches Ereignis bewusst und so genau und detailgetreu wie möglich nachzustellen. Die rumänische Revolution, die als Fernsehereignis stattfand, soll auf diese Weise als reales Ereignis erlebbar gemacht werden.

Archive geschlossen

Um ein historisches Ereignis genau nachzustellen, muss man allerdings die Details kennen. Doch wer, wann, was zwischen dem 21. und 25. Dezember 1989 in Rumänien geplant, entschieden und in die Wege geleitet hat, ist auch nach 20 Jahren unübersichtlich, widersprüchlich und unklar. Die Archive sind nach wie vor geschlossen, eine Aufarbeitung findet so gut wie nicht statt.

Deshalb reiste Milo Rau nach Rumänien, recherchierte und sprach mit Leuten, die damals beteiligt waren: darunter Dorin Carlan, am 25. Dezember Teil des dreiköpfigen Erschießungskommandos, das die Ceaușescus exekutierte. Oder General Victor Atanasie Stănculescu, der einer der Hauptorganisatoren des Schauprozesses und der Hinrichtung in der Militärkaserne Targoviste gewesen sein soll.

Aus diesen Interviews besteht der erste Teil der „letzten Tage der Ceaușescus“ von Milo Rau. Die Interviewten werden von rumänischen Schauspielern dargestellt und sprechen Rumänisch. Die Monologe wurden gefilmt und laufen nun in den sechs Videostelen auf der Bühne.

Erst im zweiten Teil des Stücks kommt es zum Re-Enactment. Entlang des vorhandenen Videomaterials vom 25. Dezember 1989 wird der Schauprozess in Wort und Tat nachgespielt. Nun erst wird deutlich, warum der Videoteil notwendig war. Denn einem Zuschauer, der beispielsweise die zentrale Rolle des General Stănculescu nicht kennt, würde dieser beim Re-Enactment gar nicht auffallen. Denn Stănculescu saß während des ganzen Prozesses nur schweigend dabei, so auch im HAU.

Alles zugedeckt

Über die sechs Stelen auf der Bühne des HAU flimmert eine Aufnahme einer verschneiten Stadt. Am 25. Dezember, dem Tag, an dem die Ceaușescus exekutiert wurden, schneite es in Bukarest. „Ganz Bukarest war in Weiß getaucht. Die Stadt war wie gesäubert“, erzählt Ion Caramitru, der zu der Gruppe der Revolutionäre gehörte, die am 22. Dezember 1989 den „Sieg der Freiheit“ verkündeten.

Der Schauprozess und die Exekution der Ceaușescus übernahm parallel die Funktion des Schnees. Er verdeckte den Dreck, den die Beteiligten am Stecken hatten. Denn die Drahtzieher hinter dem Staatsstreich waren hochrangige Militärs, die mit der Inszenierung dieses Schauprozesses sich selbst der Verantwortung entziehen wollten.

Die meisten der Beteiligten waren in den Tagen vorher dafür verantwortlich, dass auf die Demonstranten in Temesvar und Bukarest geschossen wurde. Bis heute sind etliche von ihnen reiche und wichtige Politiker und Geschäftsleute in Rumänien.

Um diese Hintergründe besser zu verstehen, ist deshalb der begleitende Band zu dem Bühnenstück, der im Verbrecher Verlag erschienen ist, sehr zu empfehlen. Zum ersten Mal werden hier einem deutschen Publikum Interviews, Materialien und Dokumente präsentiert, die der Wahrheit hinter der rumänischen Tele-Revolution ein wenig näher kommen.

■ HAU: 21., 22. 12; 20 Uhr

■ Dokumentationsband: „Die letzten Tage des Ceausescus“. Verbrecher Verlag, Berlin 2009