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Debatte WirtschaftsaufschwungDie Krise ist nicht vorbei

Kommentar von Heiner Flassbeck

Ob Finanzmärkte oder Firmenbosse: Alle glauben an den nahenden Aufschwung. Aber wo soll er herkommen? Die Unternehmer sind pleite, die Konsumenten arm.

W er in einem tiefen Tal wandert und den nächsten Bergpass vor sich sieht, wünscht sich eine geheimnisvolle Kraft, die ihn in die Luft erheben und genau auf der Passhöhe absetzen möge. Denn er weiß aus Erfahrung, der Aufstieg wird furchtbar mühsam, wenn man sich ganz unten auf der Talsohle befindet.

Daher scheinen die Spitzenpolitiker in Deutschland in Bezug auf die große Krise und die tiefe Rezession etwas misszuverstehen. Sowohl der Kanzlerkandidat als auch die Bundeskanzlerin reden nämlich regelmäßig von einer "Brücke", die der Staat bauen müsse, um die Talsohle schnell zu überwinden. Eine Brücke braucht aber, wer ein Tal überspannen will. Wer ganz unten ist, dem hilft keine Brücke, sondern nur eine lang anhaltende Unterstützung beim mühsamen Aufstieg.

Die deutsche Wirtschaft ist ganz unten. Die Auslastung des Maschinenparks in der Industrie hat ein historisch tiefes Niveau erreicht, und die Tatsache, dass die Auslastung der Arbeitskraft ähnlich gering ist, wird nur von staatlichen Auffanghilfen wie der Kurzarbeit überdeckt. Historisch einmalig muss man auch die Tatsache nennen, dass fast alle Länder der Erde sich gleichzeitig in einer solchen Talsohle befinden.

DER AUTOR

Heiner Flassbeck ist Chefökonom der UN-Welthandels- und -Entwicklungs-Konferenz (Unctad) in Genf und lehrt zudem Wirtschaft und Politik an der Universität Hamburg. Kürzlich erschien sein Buch "Gescheitert. Warum die Politik vor der Wirtschaft kapituliert" (Westend).

Bei der Asienkrise oder bei der Rubelkrise war das noch anders, als nur einige Regionen der Welt einen Wirtschaftseinbruch erlebten. Doch bei der jetzigen globalen Krise ist nicht damit zu rechnen, dass jemand, der stark genug ist, von oben ein Seil herablässt, um beim Aufstieg zu helfen.

Es nützt auch nichts, gebannt auf die Finanzmärkte zu starren, wo die Börsen wieder auf Rekordwerte zusteuern, weil sich die Anleger einreden, der Aufstieg beginne nun endlich. Finanzmärkte haben noch nie zur Überwindung einer Rezession beigetragen, denn die Spekulationsgeschäfte der Finanzmarktzocker haben mit der Realwirtschaft nur wenig zu tun - und schaden ihr höchstens.

Optimisten werden nun einwenden, dass doch auch bei der Realwirtschaft ein Aufschwung abzusehen sei. So wurde am Freitag der neueste ifo-Geschäftsklimaindex veröffentlicht - und die Stimmung der Manager war im Juli so gut wie seit Oktober 2008 nicht mehr. Das ifo-Institut rechnet daher damit, dass die deutsche Wirtschaft ab Sommer wieder leicht wächst.

Doch diese Prognose könnte sich schnell als zu euphorisch erweisen. Denn woher sollte die Kraft für einen Aufschwung der deutschen Wirtschaft im nächsten Jahr kommen? Sicher nicht von den Unternehmen. Deren Gewinne sind in diesem Jahr dramatisch eingebrochen. Auch volle Lager und stillstehende moderne Maschinen haben noch keinen Unternehmer zum Investieren angeregt, selbst wenn die Zinsen niedrig sind.

Der private Verbrauch ist ebenfalls keine Stütze für die Wirtschaft. Gewaltige Kurzarbeit und drohende Arbeitslosigkeit sind nicht der Stoff, aus dem Konsumräusche gemacht sind. Zudem werden in vielen Unternehmen Arbeitszeit und Löhne gekürzt, um die Verluste klein zu halten. Das schwächt die Nachfrage weiter, weil die Arbeitnehmer nun weniger Geld zur Verfügung haben.

Es kommt ein gefährlicher Teufelskreis in Gang: Um ihre vollen Lager zu leeren, senken viele Unternehmen die Preise - was bei Konsumenten aber keinen Kaufrausch auslöst. Stattdessen warten sie darauf, dass die Preise noch weiter fallen. Eine solche Phase der Deflation droht jetzt in der Bundesrepublik.

Bleibt also nur noch der Staat mit seinen Konjunkturpaketen, der einen Aufwärtstrend in der deutschen Wirtschaft auslösen könnte. Der Bund hat sich tatsächlich in erheblichem Maße engagiert - doch dieser Einsatz wird weitgehend zunichtegemacht, weil Länder und Gemeinden durch die Krise unter Steuereinbußen leiden und auf Teufel komm raus sparen.

Was also tun? Wirtschaftsnahe Kreise schlagen schon wieder die berühmten "Strukturreformen" und "Arbeitsmarktflexibilisierungen" vor, die sie auch in den letzten zwanzig Jahren bei jeder Gelegenheit aus der Schublade geholt haben. Diese Konzepte wären jedoch kontraproduktiv, weil sie zu einer weiteren Umverteilung zulasten der unteren Einkommen führten. Damit würde die eklatante Nachfrageschwäche verschärft, statt sie abzumildern.

Außerdem wäre dieser Ansatz diesmal besonders abwegig, weil man diejenigen, die den Schlamassel verursacht haben, ungeschoren davonkommen ließe und die ganze Last denen aufbürdete, die mit dem Ausbruch der Krise wirklich absolut nichts zu tun haben.

Dass die deutsche Politik aber genau dahin zielt, zeigt die Schuldenbremse, die sie über Nacht und ohne ernsthafte Diskussion ins Grundgesetz geschrieben hat. Eine Schuldenbremse ist so, als ob man beim Aufstieg schon früh die letzten Nahrungsreserven wegwirft, um Gewicht zu sparen, ohne zu bedenken, dass man später das eigene Gewicht ebenfalls nicht mehr bewegen kann, wenn nicht neue Energie zugeführt wird. Der Staat ist auf absehbare Zeit der einzige Akteur, der die deutsche Wirtschaft beleben könnte. Aber durch die Schuldenbremse wird ihm jeder Handlungsspielraum genommen.

Wohin eine Schuldenbremse führen kann, zeigt sich gerade in Kalifornien, das seine Sozialausgaben gnadenlos kürzt, um seine Defizite herunterzufahren - obwohl dies die Wirtschaftskrise nur verschärft und die Defizite weiter in die Höhe treibt.

Die deutsche Regierung hofft erkennbar auf eine andere Lösung: Sie setzt darauf, dass demnächst wieder der Export anzieht. Doch dieser uralte Trick wird nicht mehr funktionieren, weil viele Länder ihre Währungen abgewertet haben und der starke Euro die deutschen Waren teuer macht.

Selbst Lohnzurückhaltung wird da nichts mehr nutzen - zumal sie nur noch weiter die Binnennachfrage schwächt. Es sollte der Bundesregierung zu denken geben, dass außer in Japan die Konjunktur nirgends so stark eingebrochen ist wie in der Exportnation Deutschland. Eine geheimnisvolle "Brücke" über die tiefe Talsohle gibt es nicht - es bleibt nur der mühsame Aufstieg aus eigener Kraft.

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2 Kommentare

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  • A
    Andreas

    Wenigstens liest man in der taz mal die Wahrheit über die momentane Wirtschaftspolitik. Heiner Flassbeck benennt das Problem: Hoffnung auf Export, Kürzung von Sozialausgaben und Sparprogramme bei Kommunen, Gemeinden und Ländern - daraus wird kein Aufschwung gemacht.

    Allerdings hätte Flassbeck sagen müssen, was wirklich zu Beschäftigung und Aufschwung führt: Binnennachfrage. Die war im Wirtschaftswunder zwangsweise vorhanden: Die Kriegsschäden, Flüchtilinge aus den Ostgebieten und steter Stromm an DDR-Flüchtlingen hat damals zu Nachfrage geführt.

    Damit konnte dann in den 1960er Jahren eine Voll-Beschäftigung erreicht werden. Wären diese Faktoren nicht vorhanden gewesen, hätte es auch damals eine Sockelarbeitslosigkeit gegeben. Gute Produkte und hohe Exportquoten sind kein Rezept gegen Arbeitslosigkeit, niedrige Wirtschaftsdynamik und Armut.

    Diese Meinung wird eigentlich auch nur von den Lobbyisten und Interessenvertretern propagiert, die für die Exportwirtschaft arbeiten.

    Deutschland muss sich wirtschaftlich neu erfinden, sonst wird dieses Land in eine soziale und wirtschaftliche Talsohle fallen. Vor allem nutzen Aufschwünge seit mehreren Jahren nicht mehr, um Arbeitslosigkeit und Armut stark zu verringern. Im Prinzip sind mit jedem Wirtschaftszyklus am Ende mehr Arbeitslose, mehr Armut und mehr Ungerechtigkeit übrig geblieben.

    Die SPD hat mit den Hartz-Gesetzen noch weiteres Öl ins Feuer gegoßen und einen regelrechten Verarmungsprozess in Gang gesetzt, der lohnschwache Branchen noch weiter nach unten gedrückt hat und ein Heer von Armutsarbeitern ohne Perspektive geschaffen hat.

    Es fehl der Wirtschaftspolitik jede Weitsicht, Perspektive und auch eine moralische Komponente. Wenn gescheiterte Banker vom Staat alimentiert werden und sich ihre Regeln und Zuwendungen geradezu selbst ausdenken, während andere Arbeitnehmer und Branchen ohne Schutz zusammen brechen, dann ist Ungerechtigkeit ein schlechtes Markenzeichen der deutschen Wirtschaft geworden.

    Armut und Verwahrlosung sind Trend in deutschen Ballungsräumen - sie sind für die Bürger nachvollziebar.

    Das müsste doch reichen, um die Politiker zu einem umdenken zu bewegen? Die SPD stürzt gerade in einem Wahlkampf ab, wird vielleicht nicht mal mehr 25 Prozent der Stimmen erreichen - das hat doch eine - wenn nicht mehrere - Ursache(n)?

    Die CDU profitiert doch nur von der Schwäche der Sozialdemokraten - sind die einmal in der Opposition verdrängt und verschwunden, wird auch die Union wieder anders betrachtet und bewertet.

    Das müsste doch reichen, um eine neue Wirtschaftspolitik auszudenken?

  • CK
    Cipriano Kritzinger

    Nun mit der Talsohle, das ist absolut richtig. Ob der Staat uns mit Schuldenmachen aus der Talsohle hilft, bezweifle ich. Das hemmungslose Schuldenmachen des Staats vernichtet doch die Vermögen. Von welchem Geld sollen die Bürger dann konsumieren. Und ohne Markt wird auch kein Unternehmen investieren. Und der Exportboom ist vorbei. Genaugenommen leben wir bereits zwei Jahrzehnte von unserer Substanz. Das deutsche Gesamtvermögen ohne Sachwerte beträgt rund 4,5 Billionen minus 1,6 Billionen Staatschulden macht rund zwei drittel Restvermögen. Und davon haben die Banken möglichweiße schon die Hälfte versenkt. Das System ist am Ende, begreifen wir's doch, die Exponentialkurve des Geldmengenwachstums hat die Senkrechte erreicht. Wir verschrotten bereits unsere Erzeugnisse obwohl sie noch funktionieren. Unsere umlaufgesichete Rente steuert dem Ende entgegen, ich warte nur noch auf den Vorschlag "Rente mit 80". Das wär doch mal ein Schritt nach vorne. Aber man kann dem Staat nicht magelnde Weitsicht vorwerfen, er rüstet sich bereits gegen den Terror und er weiß warum.