: Der Apparat der Wahrheit
Made in South Korea: Garantiert kein Weihnachtsgeschenk für Reinhard Bütikofer
„So, da ist es also, das Prachtstück“, sagt Doktor Park. „Mit diesem Gerät werde ich die Menschheit verändern.“ Hm. Ich muss zugeben, ich bin etwas enttäuscht. Ich hatte mir die Apparatur, die hier in Doktor Park Joo-Chans Seouler Labor vor mir steht, imposanter vorgestellt. „Sieht aus wie ein ganz normaler Computer, mit Bildschirm. Nur dieses Headset und diese Elektroden sind ein bisschen gewöhnungsbedürftig. Was macht das Ding denn jetzt genau?“
„Wie ich schon sagte: Es zeigt Ihnen, wer Sie wirklich sind.“ „Nun, ich.“ – „Nein, Sie wissen doch noch nicht einmal, wie Sie wirklich aussehen. Okay, Sie sagen, dazu kuck ich einfach in den Spiegel? Aber können Sie sich im Spiegel auch von hinten sehen? Und wenn Sie’s können, dann sehen Sie sich nicht von vorne. So, exakt so wie mit dem Spiegel, verhält es sich mit auch Ihrem, sagen wir mal, Charakter, Ihren wahren Fähigkeiten, bla bla bla, sie wissen schon. Sie selbst wissen praktisch nichts darüber, Sie sind befangen, mental blockiert, klar? Die anderen Menschen aber sagen Ihnen nicht die Wahrheit. Einige beschimpfen Sie. Die meisten schmeicheln Ihnen. Und hinter Ihrem Rücken reden Sie ganz anders.“ – „Meinetwegen. Und Ihr Teil da ist absolut unbestechlich?“ – „Genau.“
Gut, dann will ich das jetzt mal ausprobieren. Doktor Park befiehlt mir, vor dem Gerät Platz zu nehmen. Dann setzt er mir das seltsame Headset auf und klebt Elektroden auf meine ruckzuck entblößte Brust, auf Hände und Arme. „Sagen Sie mal, Doktor, wer soll Ihr Gerät überhaupt kaufen?“ – „Eigentlich jeder, der wissen will, was wirklich Sache ist. Besonders geeignet aber ist es für Leute, die noch weniger Wahrheiten über sich zu hören bekommen als gewöhnliche Menschen: Diktatoren, Künstler, Musiker, Schriftsteller, Reinhard Bütikofer.“ – „Sie kennen hier in Korea Büti?“ – „Ich suchte ein Extrembeispiel und habe ein wenig Feldforschung betrieben.“
Doktor Park fummelt weiter an der Maschine, klickt hier mit der Maus, betätigt dort einen Knopf, da einen Schalter. „Und Sie meinen, wenn Reinhard Bütikofer durch diesen Apparat hier … – sagen Sie mal, hat das Ding auch einen Namen?“ – „Reinhard!“ – „Nein, ich meine jetzt das Gerät hier.“ „Es heißt Reinhard. Ich habe es nach Bütikofer benannt. Ich finde, der Name hat was.“ – „Aha. Und Sie glauben, wenn jetzt Bütikofer mit Hilfe von, äh, Reinhard erkennt, wer er wirklich ist, dann wird er ein besserer Mensch oder so was?“ – „Keine Ahnung.“ – „Und wenn er sich danach was antut?“ – „Nicht mein Problem.“ Mit Hippokrates scheint es Doktor Park nicht so zu haben.
Es kribbelt ein bisschen an meiner Kopfhaut. „Geht’s los?“ – „Gleich“, brüllt Doktor Park. „Und man kann wirklich nicht betrügen?“ – „Nicht, wenn ich diesen Knopf hier drücke.“ – „Anti-Cheat“ steht da auf Englisch drauf. Mir wird jetzt doch etwas mulmig. Was ist, wenn Reinhard wirklich funktioniert? Kommt dann alles raus? Es gibt da ein paar Sachen, die ich lieber nicht … neulich, als mir diese unglaublich gut aussehende Russin im Lederminirock über den Weg lief. Nein, das habe ich wirklich nicht … ich bin doch kein … oder doch???
„So. Lift off“, schreit der Doktor. „Noch zehn Sekunden, dann können sie auf dem Monitor nachlesen, was Reinhard über Sie weiß.“ Tatsächlich. Wo eben noch ein weißer Bildschirm war, stehen jetzt ganz viele Buchstaben. „Und?“, jappst Doktor Park aufgeregt, „zu viel versprochen?“ – „Äh, nein beziehungsweise doch. Das sind doch alles unglaubliche Lügen. Das zum Beispiel. Eine Russin?? Mit der ich angeblich das hier machen wollte? Und das da? Und obendrein noch jenes? Und die wiederum dieses hier über mich gedacht hat, weil sie mir alles an den Augen ablas?“ – „Ja, und?“ – „Jetzt hören Sie mal gut zu: Ich! Kenne! Keine! Russin! Njet! Nietschewo! Ihr Gerät ist ein Betrug und Sie sind ein Scharlatan. Auf Wiedersehen, ‚Doktor‘ Park.“
Aufgewühlt stürme ich aus dem Labor, lasse Park und seine Maschine hinter mir. Auf dem Weg zum Hotel fällt mir Bütikofer ein. Die arme, arme kleine Flunder. Inständig hoffe ich, dass er das Gerät nie in die Hand kriegt. Niemand hat es verdient zu wissen, wer und wie er wirklich ist. Noch nicht mal … nein, erst recht nicht Reinhard Bütikofer. CHRISTIAN Y. SCHMIDT