Musikmesse "c/o pop": Am mageren Ende des Longtails

Digital ist besser, Minimaltechno nicht haltbarer als Milch. Als "Pop Culture 2.0" trifft sich ab Donnerstag die Musikbranche bei der Kölner Messe "c/o pop".

Die fetten Jahre sind vorbei, Dieter Gorny und seine Popkomm untergegangen. Und nu? Bild: dpa

"Die goldenen Neunziger" - das hört man häufig, wenn Vertreter der Musikindustrie zusammenkommen. Auch in Köln erinnert man sich gerne an die Neunziger. Jedes Jahr im Herbst traf man sich auf der Popkomm zum gemeinsamen Zuprosten, dann zogen die Plattenmultis und Viva nach Berlin, und kurz darauf war auch die Popkomm weg. In der Domstadt war die Party trotzdem nicht zu Ende. Lokale Konzertveranstalter und Labels gründeten 2003 die c/o pop, einen kleinen Branchentreff mit elektronischem Vollprogramm, später kamen wieder vermehrt Indiebands dazu, und seitdem ging es jedes Jahr gemütlich auf Wachstumskurs.

Bis im Juni die diesjährige Popkomm abgesagt wurde und die c/o pop seither im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit steht. "Entgegen des Trends werden wir auch in diesem Jahr die Besucherzahlen halten, wenn nicht sogar erhöhen können", prognostiziert Norbert Oberhaus, c/o-pop-Geschäftsführer. Die Digitalisierung bleibt weiterhin großes Thema - allerdings "als Chance" und nicht als Untergangsszenario. Neue Modelle zur alten Frage "Wie lässt sich mit dem Internet Geld verdienen?" werden debattiert, Kooperationen mit der Computerspielbranche austariert und die erfolgreiche Antragstellung für öffentliche Förderung wird erläutert. Denn die NRW-Landesregierung setzt seit langem auf die "Kultur- und Kreativwirtschaft" als Wachstumsbranche.

Im Jahr 2007 erwirtschafteten 50.000 Firmen einen Anteil von 7,5 Prozent an der NRW-Gesamtwirtschaft, was aber kaum über die prekäre Beschäftigungslage hinwegtäuschen kann. 53 Prozent der Kreativen arbeiten in Minijobs oder verdienen als "geringfügig tätige" Selbstständige weniger als 17.500 Euro brutto im Jahr. Kulturarbeiter in NRW zu sein, bedeutet in den meisten Fällen, dass man kaum von seiner Arbeit leben kann.

Trotz Verlusten ist die Tonträgerindustrie immer noch die umsatzstärkste Kreativbranche. Allerdings erwirtschaften 1,2 Prozent der Unternehmen über 70 Prozent des Gesamtumsatzes, die breite Masse krebst am mageren Ende des "Long Tails" herum. In Köln setzt man daher auf die Förderung der kleinen und mittleren Betriebe. Anfang September eröffnet "Sound of Cologne", ein altes Fabrikgebäude, in dem kleinere Firmen aus der Kölner Musikwirtschaft wie die c/o pop oder das Musikmagazin Intro unter einem Dach vereint werden. "Die Idee kommt von den Kölner Kreativen selbst, die damit an die Stadt herangetreten sind", schildert Norbert Oberhaus den Hintergrund.

Die Lokalpresse sieht Köln dann auch wieder auf dem Weg zur "Pop-Hauptstadt", die Kreativen bleiben aber skeptisch. "Unsere Veröffentlichungspolitik ist die nach außen gerichtete Dokumentation einer Sinnkrise. Die klassische Minimaltechno-Maxisingle hat die Haltbarkeit einer Flasche Milch", beschreibt Wolfgang Voigt vom Kölner Label Kompakt seine Sicht der Dinge. Das Produzieren am Rechner führe zu einem "Overkill" an immergleicher Musik, erklärt er. "Minimal bedeutet aber Weglassen." Die Krise verlangt dennoch Kompromissfähigkeit. Als Vertrieb und Plattenladen hat Kompakt mit Einbrüchen am Markt für 12"-Maxis zu kämpfen, denn in der DJ-Kanzel sind seit einiger Zeit Laptops gleichberechtigt neben Plattenspielern anzutreffen.

Aktuelle Kompakt-Releases erscheinen auch als MP3 - allerdings ohne das charakteristische Artwork des Labels. "Früher hat das Auge mitgekauft", sagt Voigt ein wenig bedauernd. Zumal er die visuelle Komponente seiner Arbeit stärker in den Vordergrund rückt. Auf der c/o pop tritt er als GAS wegen der aufwändigen Visuals in einem Kino auf, seine nächste Veröffentlichung ist ein Buch mit Werken zu alten Musikproduktionen. Das klingt nach einer guten Strategie gegen die vollkommene Verfügbarkeit von Musik. Zumal sie auf Erfahrung basiert. Seit Fluxus haben bildende Künstler vereinzelt auch Künstlerschallplatten in geringer Auflage aufgenommen. "Das funktioniert wie eine Edition", erläutert Wolfgang Brauneis von a-musik, der Kölner Plattenladen-Institution für experimentelle Musik. Die Kunstgeschichte würde diese Werke dennoch eher vernachlässigen, Musikfans würden sie nur am Rande wahrnehmen. "Techniken aus dem Kunstbereich spielen aber eine größere Rolle bei der Gestaltung der Tonträger", so Brauneis. Was sich auch in den Verkäufen niederschlägt. Mailorder und Laden von a-musik hätten kaum Umsatzeinbußen zu vermelden. "Zu uns kommen die Leute aus Belgien oder den Niederlanden. Und dank des Internets verfügen sie über ein unglaubliches Wissen über den kulturgeschichtlichen Kontext der Musik, die wir anbieten." Paradox, aber als Ware scheint Musik nur dann zu funktionieren, wenn sie darüber hinausweist. CHRISTIAN WERTHSCHULTE

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