Sportwissenschaftler über Doping: "Wir brauchen neue Ideen"

Sportwissenschaftler Helmut Digel über das Glaubwürdigkeitsproblem der Leichtathletik, die deutsche Dopingschuld und den Zweifel des Zuschauers an außergewöhnlichen Leistungen.

"In den Präventionssektor wird so gut wie gar kein Geld hineingegeben." Bild: dpa

taz: Herr Digel, Usain Bolts neuer Weltrekord ist von Zuschauern und Medien frenetisch gefeiert worden. Wäre nicht eher Argwohn angebracht?

Helmut Digel: Einerseits bin ich immer noch ein Bewunderer von herausragenden sportlichen Leistungen. Trotzdem kann ich mich, wenn ich sie selbst im Stadion erlebe, diesem Zweifel nicht entziehen.Wenn die Geschichte so zu schreiben ist, wie sie derzeit geschrieben wird, nämlich dass mehrere 100-m-Olympiasieger in ihrer Karriere positiv gewesen sind, dann ist man in Sorge, dass diese Geschichte fortgeschrieben wird. Auf der anderen Seite habe ich Usain Bolt schon im Alter von 16 Jahren als außergewöhnliches Talent erlebt. Ich habe nie zuvor einen so jungen Menschen gesehen, der so leichtfüßig und rhythmisch und gleichzeitig doch mit vollem Krafteinsatz die 100 Meter laufen kann. Dennoch muss er mit dem Verdacht leben.

Wie sehr erhärtet sich dieser Verdacht, wenn fünf jamaikanische Sprinter positiv getestet werden, darunter ein Trainingspartner Bolts?

Der Verdacht steht damit weiter im Raum - und dennoch muss Usain Bolt so lange als sauber gelten, bis das Gegenteil bewiesen wird. Wichtiger ist jedoch, dass wir erkennen, dass das professionelle Kontrollsystem des Weltverbandes immer wieder überraschende Erfolge aufweist. So wurden einige Betrüger in Russland des Dopings überführt und nun wurden jamaikanische Sprinter überrascht.

Hat die Leichtathletik ein Glaubwürdigkeitsproblem?

Das Organisationskomitee der Leichtathletik-WM hat in Absprache mit dem Berliner Innensenat und der Polizei Journalisten überprüfen lassen, weil es, wie es hieß, potenzielle Terroristen, Diebe und Drogendealer nicht "in sicherheitsrelevante Bereiche" lassen wolle. Nun ist von akkreditierten Kollegen zu erfahren, dass sie ins Stadion gelangen, ohne dass ihre Akkreditierung verlangt wird. Auch die Taschen der Schreiber werden nicht kontrolliert.

Aus Protest gegen die Sicherheitsüberprüfungen von Journalisten berichtet die taz zwar nicht von der Leichtathletik-WM in Berlin, doch die olympische Kernsportart soll nicht zu kurz kommen.

Wir haben ein Dopingproblem im Hochleistungssport in allen olympischen Sportarten. Für die Leichtathletik bedeutet das einen erheblichen Imageschaden, weil sich der Zuschauer bei den Leistungen nicht mehr sicher ist, ob nicht doch eine medikamentöse Manipulation dahintersteckt. Deshalb ist es gut, dass die IAAF auf eigene Kosten internationale Kontrollen durchführt. Der Weltverband finanziert eine große Antidopingabteilung mit mehr als zwölf hauptamtlichen Mitarbeitern und führt im Jahr mehr als 2.500 Kontrollen durch. Und doch wissen wir, dass Athleten, die ständig kontrolliert wurden, dabei nie positiv waren, am Ende doch des Dopings überführt werden konnten. Der Antidopingkampf kann, so wie er geführt wird, nicht erfolgreich sein. Wir brauchen neue Ideen und Konzeptionen, die Wege aufzeigen, wie man junge Menschen davor schützt, dass sie ihre Gegner betrügen.

Sie sprechen von Dopingprävention?

Exakt! Hier gibt es noch viel zu wenig Initiativen. In den Präventionssektor wird so gut wie gar kein Geld hineingegeben, gerade wenn man ihn mit dem Kontrollsektor vergleicht.

Obwohl etliche Weltrekorde unter Dopingeinfluss aufgestellt wurden, schüttet die IAAF weiterhin beachtliche Prämien für neue Bestleistungen aus. Ist das nicht scheinheilig?

Wir sollten die alten Rekorde als historische Rekorde archivieren und mit einer neuen Bestenliste, etwa zum 100-jährigen IAAF-Jubiläum, beginnen. Das wäre ganz im Sinne junger Athleten, für die es keinen Sinn macht, sich an Leistungsmarken zu orientieren, die unerreichbar sind. Die Zukunft der Leichtathletik wird nicht in neuen Rekorden liegen, sondern im Duell Mann gegen Mann sowie Frau gegen Frau.

Deutsche Leichtathleten haben sich immer wieder beklagt, dass sie gegen Konkurrenten anzutreten hätten, die weit weniger getestet würden. Können Sie diese Klage nachvollziehen?

Nein. Das deutsche Kontrollsystem gehört wohl zu den besten, und sicher werden unsere Athleten mehr kontrolliert als Athleten aus Entwicklungsländern. Aber wir haben mittlerweile ein weltweit tragfähiges Kontrollsystem, in dem auch Amerikaner und Russen eingebunden sind. Das An- und Abmeldeverfahren gilt für alle Topathleten in der Welt. Übrigens sagen auch schwedische, norwegische oder japanische Athleten, dass sie am meisten und am besten getestet werden. Sogar die Chinesen behaupten das mittlerweile.

Was sagt der Dopingfall Isabell Werth und der Verdachtsfall Claudia Pechstein über den Zustand des deutschen Sports aus?

Dass wir uns einmal selbst im Spiegel betrachten sollten. Aus der Sicht des Auslandes ist Deutschland eine Nation, die ein erhebliches Dopingproblem hat. Was den Radsport angeht, war sogar eine Universitätsklinik verwickelt, die angeblich in ein Präventionsprogramm eingebunden war. Wir hatten den Fall Krabbe, den Fall Mühlegg. Wir waren über das DDR-System ursächlich an der Konzeption des systematischen Dopingbetruges beteiligt. Wir Deutschen haben gegenüber dem Ausland eine enorme Dopingschuld.

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