„Ihr nehmt die Kids zu ernst“

In den Siebzigern sang Gil Scott-Heron „The Revolution Will Not Be Televised“, in den Achtzigern agitierte er gegen Ronald Reagan. Zuletzt saß er wegen Drogenbesitzes im Gefängnis. Ein Gespräch mit dem New Yorker Jazzmusiker und Dichter

INTERVIEW CHRISTIAN BROECKING

taz: Gil Scott-Heron, vor dreißig Jahren haben Sie das Album „Winter In America“ eingespielt. Worauf bezog sich der Titel?

Gil Scott-Heron: Am Tag, als John F. Kennedy ermordet wurde, begann der Winter, und Amerika hat sich davon immer noch nicht erholt, es gab zu viele Verluste. Black Music ist durch Rap und HipHop in den letzten zwei Jahrzehnten wieder sehr populär geworden.

Wie sehen Sie in diesem Kontext das Image der Black Community?

Ihr nehmt die Kids zu ernst. Ihr hört 17-Jährigen zu. Die repräsentieren nicht die 25- oder 45-Jährigen. Es gibt zudem ganz verschiedene Black Communities. In den großen Black Communities der urbanen Zentren leben zum Beispiel Leute aus Jamaika, El Salvador, Kuba und Kolumbien, die sehr gewalttätig sein können. Wir haben ihnen erlaubt, in unseren Communities zu leben. Aber sie sind nicht wie wir. Sie sind untereinander in ethnische Kleinkriege verwickelt, in Kämpfe um Green Cards und Dollars. Das sind keine Black Americans, aber sie leben in unseren Communities. Die Zeiten, da man sich zusammensetzt und die Leute aus den Communities schmeißt, die dort nichts verloren haben, sind aber noch weit entfernt.

Leben Sie in einer Black Community?

Ja, ich lebe in Uptown Manhattan, 112. Straße. Ich weiß, was in der Neighborhood los ist.

Fühlen Sie sich als politischer Dichter?

Schwierige Frage. Nein, darauf würde ich antworten, dass ich Klavierspieler bin. Ich trenne nicht das eine vom anderen. Nur die negativen Seiten des Lebens zu betonen ist Selbstbetrug. Ich kenne die guten und schlechten Seiten, davon handeln meine Songs. Amiri Baraka ist ein politischer Poet, aber er repräsentiert die Community nicht. Wir haben viele Menschen in unserem Kampf geopfert, jetzt ist es an der Zeit, von ihren Werken zu profitieren. Wir müssen reflektieren, dass wir ohne unsere Kämpfer nicht da wären, wo wir heute sind. Es geht nicht darum, zurückzugehen. Nicht darum, Geschichte zu wiederholen. Wir haben lange ignoriert, dass der Collegestudent, der Geschäftsmann und der Autohändler auch Mitglieder unserer Community sind. Aber für sie haben wir keine Songs. Sie sind Schwarze wie wir, aber das Einzige, was sie von der Community zu hören kriegen, ist Schelte.

Wir müssen uns also nicht wundern, wenn der schwarze Mittelstand wirklich mal weiß sein wird. Weil die Community ihn dazu gebracht hat. Ich denke hingegen, dass auch der schwarze Mittelstand ein Recht auf Songs von uns hat.

In den Liner Notes zu Ihrer CD „Spirits“ bezeichnen Sie Ihre Musik als spirituell. Sie sprechen von „truly great spirits“, von Sarah Vaughan, Dizzy Gillespie und John Coltrane.

Aber nicht im Sinne von Images. Nicht im Sinne von Role Models. Coltrane interessiert doch nicht als Ehemann und Familienvater, als Liebhaber oder Drogenabhängiger – nicht als Individuum. Wäre Coltrane mein Role Model, dann müsste ich Saxofon spielen und Heroin spritzen, oder? Nein, das wäre Bullshit. Bei Coltrane fasziniert mich die Spiritualität seiner Musik. Die möchte ich in meiner Musik aufbewahren. Es geht nicht darum, diese Menschen zu imitieren, sondern darum, von ihnen zu lernen. Dinge, die dir helfen, deine Eifersucht, deine Unsicherheit, deine Ängste, deine Vorurteile zu überwinden. Dinge, die dir helfen, ein verantwortungsvoller Mensch zu werden. Der wichtigste Mann, den ich in meinem Leben traf, war der schwarze Richter Thurgood Marshall (liberaler Richter am Supreme Court von 1965 bis 1991. d. Red.). Weil er die Gesetze verändert hat. Er veränderte die Gesellschaft, indem er ihre Gesetze änderte. Aber wie gesagt: Ich bin Klavierspieler.

Gesellschaftliche Probleme spielen in Ihren Songs eine zentrale Rolle.

Sicher, denn jeder sollte sich bemühen, ein erfülltes Leben zu leben. Aber noch einmal: Man negiert die Menschlichkeit der Individuen, wenn man nur die eine Seite sieht. The other side, die gehört dazu. Ich kritisiere, ich klage an, ich bin zornig, ich kämpfe – und: ich liebe, ich scherze, ich lache.

Archie Shepp sagt, dass den Black People heute Leadership fehlt.

Nein, nein, nein! Wir hatten Leadership. Unsere Leader sind hingerichtet worden. Wir hatten das doch alles schon. Heute ist es Zeit, sich selbst an die Arbeit zu machen. Leader können einen nur bis zu einem bestimmten Punkt führen. Irgendwann ist man dann auch selbst gefordert zu handeln. Die Leader haben bereits alles thematisiert. Wir sollten nicht so tun, als hätten wir nichts. Wir haben viel erreicht, das ist aufzuarbeiten, zu würdigen, auszuwerten und den Kids zu vermitteln. Denen hilft Leadership nicht mehr.

„The Revolution Will Not Be Televised“ von 1970 und „Message To The Messengers“ von 1994 thematisieren afroamerikanischen Widerstand in einem Abstand von drei Jahrzehnten. Was hat sich verändert?

In vielen Zeitungen und Magazinen war zu lesen, dass ich der Godfather von jungen Poeten und Rappern gewesen sei und mit dem, was ich tue, einen großen Einfluss auf sie ausgeübt hätte. Das finde ich jedoch irgendwie zu vordergründig. Ich spreche über Respekt, vor allem gegenüber der Community, und wie man ihn erhält, indem man ihn anderen erweist. Ich fürchte, viele Leute missverstehen mich, da sie nicht den kompletten Gil Scott-Heron kennen, sondern nur einige Ausschnitte. Wir versuchen darüber zu informieren, wo wir herkommen. Und wenn jemand so sein möchte wie wir, wird er wissen, was er zu tun hat. Ich meine damit, dass Rap für mich schon überholt war, als viele dieser Kids gerade erst geboren wurden. Es geht mehr um Prinzipien als um die Konzentration auf einzelne Erscheinungen. Die Revolution hat sich nicht verändert, sie nimmt unaufhörlich ihren Fortgang, ob es einem gefällt oder nicht. Revolution bedeutet Veränderung, und die Dinge wandeln sich nun mal permanent. Wer hingegen meint, die Revolution auf der Straße beobachten zu können, wird sie dort nicht finden.

Wie passt dazu das Gangster-Image von Rap?

Diese Kids sollte man nicht in Beziehung zu dem setzen, was in der afroamerikanischen Community so vor sich geht, sie sind nämlich nur Recording Artists. Richtige Gangster haben keine Zeit, Platten aufzunehmen. Die Rapper laufen einfach einem Image hinterher, sie suchen nach einer Nische bei ihrer Suche nach Respekt, indem sie das imitieren, was sie im TV sehen. Letztlich sind sie davon genauso geprägt wie alle anderen auch.

Aber wie funktioniert denn der Widerstand, den Sie meinen?

Revolution findet im Kopf statt. In dem Moment, in dem man bestimmte Erscheinungen nicht mehr akzeptiert und der Meinung ist, die Gesellschaft sollte sich in eine andere Richtung entwickeln, in dem Moment wird man zum Revolutionär. All das sind Dinge, die für andere unsichtbar sind, Bewusstseinsprozesse, die in Gang kommen, wenn einem zum Beispiel Ungerechtigkeiten auffallen oder man einen Beitrag zu einer besseren Gesellschaft leisten möchte. Was man sieht, sind manchmal nur die Ergebnisse bestimmter Prozesse, doch das ist keine wirkliche Revolution.

Welche Bedeutung hat Jazz Poetry heute noch?

Was sie heute Rap nennen, war früher Poetry, doch seit alles so einheitlich und linear geworden ist, fehlt leider die poetische Komponente. Heute gibt es nur noch ein Schema, nämlich ABAB- AB-Reime, das hat für mich nichts mehr mit Poesie zu tun. Doch das, was man damals von Leuten wie Coltrane und Pharoah geboten bekam, war die sehr lyrische Interpretation einer poetischen Stimmung. Um das jedoch überhaupt nachempfinden zu können, muss man sich erst mal darauf konzentrieren und es von innen heraus betrachten.

Besonders Coltrane und Billie Holiday höre ich immer gern, wenn ich einen harten Tag gehabt habe. Beide hatten zeitweise ein sehr schweres Leben und verarbeiteten ihre Erfahrungen zu sehr schöner Musik, und etwas Ähnliches wollte ich auch machen – nicht nur den Blues betonen, sonderngenausoh die schönen Seiten zum Ausdruck bringen.

Ist Jazz für die afroamerikanische Community wichtig? Was denken Sie?

Es gibt verschiedene Interpretationen, was Jazz eigentlich ist. Meinem Verständnis nach geht Jazz auf Duke Ellington und Count Basie zurück, die damals überall herumfuhren und Tanzmusik spielten. Der eigentliche Jazz war die Musik der anderen, dunklen Seite der Community. Wenn Jazz heute noch das sein soll, was er mal war, müsste er eigentlich in einem ganz anderen Genre beheimatet sein, nämlich bei James Brown oder Prince. Frank Foster nennt Jazz „Afroamerican Classical Music“, das trifft es vielleicht besser, zumindest was die Musik von Coltrane, Miles und Pharoah angeht. Meiner Meinung nach hat Jazz als Kunstform heute seine Bedeutung verloren, vielleicht nähern sich die verschiedenen Musikstile mehr an und gehen in eine ganz neue Richtung. Jazz als akustisch orientierte Musikform ist, glaube ich, nicht mehr so wichtig, doch es ist immer noch die expressivste und technisch korrekteste Musik, die man finden kann. Da sind Leute am Werk, die ihr Instrument wirklich beherrschen und spielen können.