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Schriftsteller Chaim Noll über Juden in der DDR"Die Dresscodes des Systems"

In der DDR geriet Chaim Noll auf der Suche nach seinen jüdischen Wurzeln mit dem Staat in Konflikt. Sein neu aufgelegter Wenderoman "Der goldene Löffel" beschreibt die zerfallende DDR-Gesellschaft.

Der Roman aus dem Jahr 1989 wurde zum 20-jährigen Jubiläum neu aufgelegt. Bild: verbrecher verlag

taz: Herr Noll, Sie tragen eine Kippa.

Chaim Noll: Ich habe für alle Fälle immer eine Mütze in der Tasche, aber ich brauche sie nicht aufzusetzen. Neulich bin ich mit Tifosi - wie sagt man das auf Deutsch? - im Zug gefahren.

Fußballfans, Hooligans?

Chaim Noll und "Der goldene Löffel"

Chaim Noll wurde am 13. Juli 1954 als Hans Noll in Berlin geboren. Er studierte Kunst und Kunstgeschichte in Ostberlin. Er verweigerte den Wehrdienst und verließ bald darauf, 1983, die DDR. In seinem autobiografischen Roman "Der goldene Löffel" beschrieb Noll sein Leben als junger Mann im Herzen des Systems und seine zunehmende Entfremdung von einer Gesellschaft, in der jede Emotion kontaminiert war. Nolls drittes in der Bundesrepublik veröffentlichtes Buch ist das Sittengemälde eines untergehenden Landes. Als es im September 1989 erschien, blieben nur wenige Wochen, bevor es von den Ereignissen, die es prophezeit hatte, überholt wurde. Der Berliner Verbrecher Verlag hat diesen erhellenden Roman nun wieder veröffentlicht. 2008 erschien dort sein historischer Roman "Der Kithara-Spieler".

Die stiegen in Pirna ein. Und da war es den anderen Fahrgästen dermaßen peinlich, als ich meinen Hut aufsetzte, um die Kippa zu verdecken. Die sagten in breitem Sächsisch: "Also, Sie brauchen sich nicht zu beunruhigen, wir sind auch noch hier!" Das war ganz angenehm.

Sie sind in der DDR aufgewachsen. Nicht in einem jüdischen Haushalt, sondern als Sohn des von Lesern und Partei gleichermaßen geschätzten Schriftstellers Dieter Noll. Seine Bücher waren Schullektüre.

Ich habe sehr viele jüdische Autoren jeglicher Art - von Marxisten bis zu Konservativen - gelesen. Ich wusste nicht genau, was jüdisch sein heißt, aber es hat mich immer interessiert. Dieses Interesse musste ich gegen Widerstände von außen durchsetzen. Man hat mir natürlich ausreden wollen, dass es überhaupt so was wie jüdisches Denken gibt - das gab es nicht in der DDR. In der DDR wurden ein paar Bücher jiddischer Volksschriftsteller aus Osteuropa veröffentlicht und natürlich die Werke unserer Genossen Arnold Zweig, Anna Seghers, Friedrich Wolf und wie sie hießen. Die waren jüdisch von Geburt, aber jetzt sozialistische Schriftsteller. Auch mein Vater hat sich immer als sozialistischer Schriftsteller verstanden.

Wie ging die DDR mit dem Judentum um?

Die Verfolgung "zionistischer Verbindungen" und "Aktivitäten" während der frühen Jahre der DDR schüchterte viele jüdische Intellektuelle ein und brachte sie dahin, ihre jüdischen Wurzeln zu verleugnen. Es gab bis 1987 keinen Rabbiner und keinen Mohel, zum Judesein unerlässliche Rituale wie Beschneidung und Bar-Mizwa wurden verhindert. Falls es zu einer jüdischen Hochzeit kam - mir ist nur ein einziger Fall bekannt -, wurde ein Rabbiner aus dem Ausland geholt. Der in der DDR politisch korrekte Weg, über Juden zu schreiben, war ihre Darstellung als Opfer während der NS-Zeit. Es war daher schon ein Aufstand an sich, wenn man überhaupt im Jüdischen eine Identität suchte. Mit den Jahren haben wir das immer intensiver gefühlt, aber da es keine Literatur zum Thema gab und keine richtigen jüdischen Gemeinden, blieb es etwas ungefähr. Erst als wir 1983 in den Westen kamen, konnten wir anfangen zu lernen und den Talmud wenigstens in einer deutschen Übersetzung lesen.

Was hat Sie daran interessiert?

Die jüdische Religionsgeschichte fand ich zunehmend faszinierend. Das rabbinische Judentum hat es geschafft, dieses eigentlich vom Untergang bedrohte Volk 2.000 Jahre lang zusammenzuhalten. Andere Völker sind in der römischen Sklaverei einfach untergegangen, die Juden nicht. Auch nicht in den 2.000 Jahren Verfolgung und Heimatlosigkeit. Das ist die große kulturgeschichtliche Leistung der Rabbiner - das darf man nie vergessen. In Europa hat sich dafür lange niemand interessiert. Erst heute beginnt man zu verstehen, dass die rabbinischen Denkmethoden und die enorme Konzentration geistiger Leistung, die in ihnen steckt, dann eben auch Juden, die dieses geistige System verlassen haben, befähigt hat, auf ganz anderen Gebieten - Medizin oder Atomphysik oder Psychoanalyse, moderne Literatur oder wo immer - große Denkleistungen zu vollbringen. Das ist das Erstaunliche: Die Geistesschärfe, die sich dieses in der Diaspora zerstreute Volk über Jahrhunderte eintrainiert hat, um zusammenzubleiben. Das ist eine einzigartige Leistung in der Weltgeschichte, wie immer man sonst zu orthodoxen Juden und Rabbinern stehen mag.

Es war aber nicht nur Ihr Interesse für das Judentum, das Sie zunehmend in Konflikt mit der Staatsmacht gebracht hat?

In Konflikt mit der Staatsmacht haben uns innere und äußere Entwicklungen gebracht. Mein Interesse für das Judentum gehörte zu den inneren. Darüber konnte ich sowieso zu niemandem sprechen außer zu meiner Frau und ein, zwei Freunden. Zu den inneren Gründen gehörte auch, dass man sich nicht artikulieren durfte. Man lebte in einer Verfallsgesellschaft, die aber keine sein durfte. Es war offiziell eine fortschrittliche und blühende sozialistische Gesellschaft. Das war das Absurde: dieser sich vertiefende Riss zwischen der offiziellen Selbstdarstellung und der Realität. Die Realität war, dass wir in einer verfallenden, sich auflösenden Gesellschaft lebten - das war überall zu spüren.

Den Sozialismus in seinem Lauf hält weder Ochs noch Esel auf.

Die Selbstdarstellung war hochgemut bis zum Schluss. Die DDR war seit den 70er-Jahren bankrott, dennoch wurde behauptet, der Plan sei übererfüllt. Aus einer solchen Absurdität kann sich ein Künstler - oder überhaupt ein kreativer Mensch - nur retten, indem er das artikuliert. Wenn dann aber noch ein Verbot jeglicher Äußerungen hinzukommt, wenn dann noch geboten ist, nur in vorgeschriebenen Bahnen zu schreiben, zu forschen, zu malen, Theater zu machen - das war einfach nicht mehr auszuhalten.

Und die äußeren Gründe?

Zu den äußeren Gründen gehörte vor allem, dass ich 1980 in der DDR den Wehrdienst verweigert habe, weil ich nicht in einer Armee dienen wollte, die ich für unmenschlich hielt. Das hat dann unsere Verstoßung aus der DDR-Gesellschaft sehr beschleunigt.

Wie hat Ihr Vater auf Ihre Entwicklung reagiert?

Wir haben über diese Fragen irgendwann nicht mehr gesprochen. Mein Vater war bis zum Schluss systemtreu. Es gehört zu den Verrücktheiten des Lebens in der DDR, dass wir darüber nicht sprechen konnten. Ich vermute, er hat sehr unter meiner Entwicklung gelitten. Wie ich unter seiner. Wir haben darüber erst sprechen können, als es zwanzig Jahre zurücklag, kurz vor seinem Tod.

Ihr Vater war ein anerkannter Schriftsteller. War das ein Problem für Sie beim Schreiben?

Nein. Wir sind nie in Konkurrenz zueinander getreten. Ich habe in der DDR nie etwas veröffentlicht, sondern nur für die Schublade geschrieben. Mir war von Anfang klar, dass ich dort nichts veröffentlichen kann. Alles, was ich schrieb, war von einer Art, dass es dort nicht erscheinen konnte. Dass es mich sogar - wie mir allmählich klar wurde - ins Gefängnis bringen würde. Heute kann sich kaum noch jemand vorstellen, wegen welcher Bagatellen man in der DDR ins Zuchthaus gekommen ist.

Sind Sie beobachtet worden?

Meine Lage wurde langsam gefährlich, weil ich auf einer Reise in die Sowjetunion, die ich als Meisterschüler der Akademie der Künste machen konnte, Tagebuch führte. Auf solchen Reisen waren immer Beobachter von der Stasi oder vom KGB dabei, als Dolmetscherin getarnt oder ähnlich. Und diese Beobachter meldeten dann: "Er schreibt ständig irgendwas." Die Manuskripte, die auf diese Weise entstanden, versteckte ich im Atelier meiner Frau. Eines Tages vergaß ich dort meine Handschuhe, kehrte um und traf zwei Männer, die gerade versuchten, die Tür aufzubrechen. Sie haben schnell bei dem alten Rentner nebenan geklingelt, ihn in seine Wohnung geschubst und die Tür zugemacht. Sie hatten offenbar Anweisung, es zu keiner Konfrontation kommen zu lassen. Daraufhin haben wir angefangen zu überlegen, wie können wir die Manuskripte aus dem Land schaffen und wie kommen wir selbst mit den Kindern hier raus.

1983 haben Sie die DDR verlassen, im September 1989 ist Ihr autobiografischer Roman "Der goldene Löffel" erschienen. Es war ein Abgesang auf den real existierenden Sozialismus, in dem Sie Völkerwanderungen prophezeit haben, die dann auch bald eingetreten sind. Welche Botschaft wollten Sie vermitteln?

Zum Ersten, dass es zu Ende ist mit der DDR. Als ich mit dem Buch anfing, war das noch nicht klar. Bis in den Sommer 1989 glaubten ja viele, auch im Westen, dass das ewig noch so weitergeht. Die Regierung Kohl hat durch ihre Geldzahlungen das Regime unnötigerweise bis zum Schluss gestützt. Wenn es nicht so viel Unterstützung aus dem Westen gegeben hätte, wäre das schneller kaputtgegangen. Zum Zweiten war es der Versuch, psychologisch glaubhaft zu machen, was da eigentlich mit den Menschen passiert. Dass sie letztendlich alle Opfer dieses Systems werden, von oben bis unten, durch sämtliche Schichten hindurch. Dass ein starker Leidensdruck bestand in der DDR. Dass diese Sache nicht mehr funktionierte und immer unmenschlichere Züge annahm.

Was in Ihrem Buch oft zur Sprache kommt, ist der pathologische Ordnungswahn der deutschen Sozialisten. War das eine sehr prägende Erfahrung?

Der DDR-Sozialismus war besonders bedrückend - und vergleichsweise mit anderen Ostblockländern eben durch dieses Mitläufertum, dieses Duckmäusertum, diese Spießigkeit noch verschärft. Wir fuhren nach Polen oder nach Ungarn, um Luft zu schnappen, weil es dort auch mal eine abweichende Meinung gab, während bis zu einem gewissen Zeitpunkt in der DDR weitgehend eine geistige Öde herrschte. Ich sag das mal unter Vorbehalt, weil es natürlich auch Kreise gab, die ich nicht kannte. Und das änderte sich dann mit den Bürgerrechtlern und brach auf im Laufe der 80er-Jahre. Aber das Gros der Bevölkerung hat sich eben doch an die Spielregeln des Systems gehalten.

Maxim Biller hat die "Ossifizierung des Westens" beklagt. Er regt sich über die nachträgliche Verherrlichung des DDR-Opportunismus auf.

In gewisser Weise kann ich das nachvollziehen. Wir haben unter der Mentalität der DDR sehr gelitten, schon als Kinder. Die Atmosphäre war von großer Kleinbürgerlichkeit, in einer unguten Weise, die dann auch zugleich mit etwas Brutalem verbunden war - gegen jeden, der nicht von dieser Art war.

Wie äußerte sich das?

Es war im Grunde alles verboten. Ich habe die ganze Schulzeit über erlebt, wie Jugendliche von der Erweiterten Oberschule religiert wurden und kein Abitur machen konnten, weil sie einen Bart oder lange Haare oder ein bestimmtes Kleidungsstück trugen, das aus irgendwelchen Gründen auf der Liste der Partei als provokatorisch registriert war. Das waren in den 50er-Jahren Ringelsocken, später war es ein Parka. Wegen solcher Bagatellen, weil jemand gegen irgendeinen dieser Dresscodes des Systems verstieß, wurden Existenzen zerstört.

Und die Intellektuellen?

Diese halbkritischen Intellektuellen und Schriftsteller, die es in der DDR gab, gingen auf eine eher heuchlerische Weise mit dem System um. Ich habe zum Beispiel sehr stark Christa Wolf kritisiert vom Westen aus. Sie wurde ja im Westen groß gehandelt als authentische Stimme. Und war natürlich alles andere als das. Es war dieser halbkritische Ansatz von Leuten wie ihr, der letztlich das System affirmierte.

Viele der Kritiker nicht nur innerhalb der DDR haben bis zuletzt an ihre Reformierbarkeit geglaubt.

Wir sind ja alle angetreten in der Hoffnung, es von innen ändern zu können. Ich habe mal einen Abend mit Bürgerrechtlern von drüben erlebt, da saßen am Tisch Bärbel Bohley, Jürgen Fuchs, Lutz Rathenow und andere - und da stellten wir plötzlich fest, dass wir alle mal in der Partei gewesen waren. Wir sind da alle eingetreten als junge Leute, in der Hoffnung, wir können das von innen verbessern. Und dann haben wir gelernt, dass das völlig unmöglich war. Dass so kleine Ansätze der Beweglichkeit immer wieder zerstört wurden von den Betonköpfen, die sich letztendlich durchsetzten. Aber zum Schluss waren viel Antikräfte in diesem Staat. Das war dann auch für mich nicht überraschend, als die zu zehntausenden auf die Straße gingen.

Es gibt in Ihrem Roman "Der goldene Löffel" ein zerstrittenes Geschwisterpaar, die eine ist eine überzeugte Sozialistin, die andere eine überzeugte Kapitalistin. Man kann Ihren Roman als deutsche Familiengeschichte lesen.

Eindeutig, das war eine zerstrittene, zerbrochene Familie. Wir hier in Berlin haben das ja besonders deutlich gemerkt. Auf welcher Seite man sich am 13. August 1961 befand, bestimmte die Biografien. Ich habe genug Streitigkeiten zwischen den Tanten - die eine hier, die andere dort - bei Familienfesten erlebt. Die sich gegenseitig vorhielten, dass ihr System unmenschlich sei: "Ihr seid gewinnorientiert und profitsüchtig!" - "Und ihr achtet die Menschenrechte nicht!"

Seit 1995 leben Sie in Israel. Von außen betrachtet: Worin unterscheidet sich Deutschland heute vom Deutschland der Achtzigerjahre?

Es ist eine Entwicklung zum Besseren, eindeutig. Für beide Teile. Auch die Westdeutschen haben unter der Teilung so weit gelitten, dass sie die ganze Zeit mit einer schwelenden Krankheit leben mussten. Ich sehe heute auch nicht so einen großen Unterscheid in den Mentalitäten in Ost und West, wie das jemand, der hier im Land lebt, vielleicht empfindet. Das traf vor zwanzig Jahren zu, vielleicht auch noch vor zehn, aber mit jeden Tag wird das weniger. Auch die DDR-Bürger haben ja die Welt 20 Jahre bereisen können, sind unterwegs gewesen. Und sie leben jetzt mit Fremden. Die DDR war eine fremdenlose Gesellschaft. Es gab zwar ein paar arme Gastarbeiter aus Kuba oder so, die lebten dann verschüchtert in einem Wohnheim, unter der Aufsicht ihres Parteisekretärs. Das hat die DDR-Bürger enorm verändert. Mir selbst ist Deutschland heute sehr viel angenehmer als vor 20 Jahren. Und ich bin gar nicht so sicher, ob meine Frau und ich heute noch die Energie aufbringen würden, wegzugehen. Man braucht ja aversiven Schub, der einen in Bewegung setzt. Heute könnte ich als Jude auch in Berlin, in Dresden, München oder Hamburg ganz normal leben, ohne Probleme.

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9 Kommentare

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  • KG
    Karla Gräf

    Danke, Chaim Noll, dass Sie endlich einmal die Menschenverachtung beschreiben, die dieses System der DDR kennzeichnete!!!

     

    Einer Meinung bin ich mit auch mit Herrn Noll, dass die Wendehälse (IMs!) wie insbesondere Christa Wolf, Monika Maron unter den systemtreuen

    Schriftstellerinnen der ehemaligen DDR in unserer BRD nicht weiterhin

    hofiert, sondern im Gegenteil ihre Bücher boykottiert werden sollten.

  • DA
    Daniel Anderson

    Worum geht es denn bitte? Chaim Noll versucht "nur" seine Sicht der Dinge auf einen Jurassic-Park der Spießig- und Kleinbürgerlichkeit in seinem "Goldenen Löffel" deutlich zu machen. Nicht mehr und nicht weniger - und meiner Meinung nach reicht das auch völlig aus. Das Jüdischsein ist, sofern es nicht durch Konvertitentum angenommen wurde, angeboren und man kann sich tausendmal zu welcher Weltanschauung auch immer bekennen, ich bleibe trotzdem Jude. Die Frage ist, ob ich darin ein lebenswertes Leben finde. Chaim Noll hat es offensichtlich getan - das ist nichts schlechtes oder verwerfliches.

    Opfer 1.Klasse? Also bitte, ja. Das springt der materiell motivierte Antisemitismus und ein dekadenter Chauvinismus ja wieder mal aus jeder Pore. Es ist eine Schande für jeden denkenden, fühlenden und aufgeklärten Menschen. Genau das, was der user nihil schreibt, könnten auch Göbbels und Rosenberg geschrieben haben - es sind die Signalwörter, die die geistige Haltung offenbahren: "das Judentum", "Weltjudentum", "einfacher Pole oder Russe". Millionen Juden leben in genau so einfachen und bescheidenen Verhältnissen wie Millionen Deutsche, Russen oder Polen und versuchen nur einen gesunden und sicheren Weg für ihre Familien und sich durchs Leben zu finden. Sprechen wir über die Nomenklatura des deutschen und internationalen Finanzsystems - keine Wortmeldung? Schön!

    Zurück zu Noll: ich habe den "Goldenen Löffel" mit viel Respekt und Interesse gelesen, fand den Roman aber insgesamt fade und zusammenhanglos, konstruiert, zu verdichtet, mit zuviel Symbolik aufgeladen. Trotzdem gehört er zu einem Vermächtnis und wird noch über diese Zeit berichten, wenn alle Zeitzeugen längst verstorben sind. Dass Chaim Noll in dem Interview beispielsweise Kritik an Christa Wolf übt ist nur eine logische Konsequenz ihres Duckmäusertums, ihres intellektuell verbrämten Halbwiderstands in der DDR, dem es zu verdanken ist, dass Wolf im Westen hochgejubelt wurde, dem Jubel aber nur durch ein Buch gerecht werden konnte (Kein Ort.Nirgends)

  • PK
    Peter Koroly

    Was bitte hat Felicia Langer damit zu tun, ausser, dass ihre Bücher haufenweise in den DDR Buchläden auflagen und von den Bürgern nicht gekauft wurden, ausser, dass Felicia Langer und ihr Mann, der Geschäfte mit den Ländern des "realen Sozialismus" machte, nach 1989 keine solchen Geschäfte mehr machen konnte.

    Felicia Langer war eine grottenschlechte Anwältin, denn palästinensische Terroristen kommen vor israelische Militärgerichte, andere linke Anwälte versuchten für ihre Mandanten ein milderes Urteil zu erreichen, nicht so Felicis Langer, sie hielt Volksreden und half so nicht ihren Klienten.

    Andere linke Anwälte blieben und sind erfolgreich.

    In Israel gibt es im Gegensatz zu den meisten Ländern des Nahen Osten eine legale kommunistische Partei und es muss niemand wegen politischen Gründen auswandern.

    Und der Sohn von Frau Langer lebt in Deutschland auch mit ein Grund nach D. zu ziehen.

    Ansonsten hat sie Antisemiten wie Möllemann und Karsli einen Persilschein ausgestellt.

    Keine Sympathiträgerin

  • M
    michi

    wow, krass, nihil ist voll der antisemit!

  • P
    pinne-hb

    Es mag schön sei, wenn man in seinem Leben mehrere Vorstellungen so ändern kann, das man das vergangene gelebte als nicht das seine sondern das erzwungene Ansehen kann. Man kann es als verdrängen bezeichnen. Aber so ist die Welt nicht. Wenn man seinen innerem Glauben aus irgendwelchen Gründen nicht lebt obwohl sie einem bewusst sind, ist es eigenes versagen. Viele Menschen können nicht sagen was ihre Aufgabe ist und merken es erst sehr spät. Das Leben hat man gelebt und das Sein hat einen geformt. Daraus macht man dann einen Roman eine verklärte Erinnerung oder das was es ist das Leben. Man erkennt die eigene Unfähigkeit es anders gemacht zu haben.

    Da es sehr wenige Menschen gibt die Eigenkritik zu üben in der Lage sind, wird es dann an der Gesellschaft, in der man gelebt hat, ausgelassen.

    Wenn er in der DDR groß geworden ist, in ihr gelebt hat und seine Grunderfahrungen des Mensch seins erfahren hat, müßte er über die Menschwerdung in der DDR einiges wissen b.z.w. als Grundlage seiner Empfindungen über die Welt verinnerlicht zu haben. Wenn nicht, leugene ich gelebt zu haben, wurde in diese Welt gesetzt ohne sinn.

    Ich bin 60 soll ich jetzt sagen das ich nicht gelebt habe weil ich irgend etwas nicht machen konnte? Oder weil ich es hingenommen habe wie es ist? Heute weiß ich warum ich in der DDR groß geworden bin, man erkennt wie unmenschlich diese Welt ist, das Politiker die Unterste Stufe der menschlichen Gesellschaft einnehmen weil sie alles Verraten wenn es als opportun erscheint und Parteien den Inbegriff des Mantels des verschleiern und des Vergessens liefern.(es soll natürlich auch Ausnahmen geben, wie in der Bibel die Geschichte von Sodom und Gemorra) .

  • N
    Nihil

    Ich kanns nicht mehr hören, dieses Gelaber von der ach so pleite gewesenen DDR, die BRD heutigen Tages ist ja noch viel "pleiter".

    Ich glaube auch es wird Zeit das das Judentum aufhört immerfort von einem pauschalisierten, zur Institution gewordenen Opferstatus zu profitieren. Wieso bestehen jüdische Verbände immer darauf, getrennt von den anderen Opfern des Nationalsozialismus behandelt zu werden, fühlt man sich dort als etwas besseres als der einfache Pole oder Russe den es im KZ genauso erwischt hat, als Opfer 1. Klasse? Vielleicht sollten wir unsere rosarote Brille abnehmen und bei den weltweiten Aktivitäten und dem Einfluss der jüdischen Verbände uns fragen ob es so etwas wie ein Weltjudentum nicht doch gibt!

  • J
    Jakob

    Der Vergleich mit Frau Langer ist in der Tat reizvoll: In der DDR wäre sie direkt nach Bautzen eingefahren, in Israel dagegen vermutlich direkt in die Knesset eingezogen (auf der Merez-Liste).

  • S
    Stahl

    Tja. Herr Noll verdeutlicht eindrucksvoll, sein Zwischen-Den-Stühlen sitzen. Finde aber den Rekurs auf das bürgerbewegte Opposition-Sein eher fragwürdig, zumal diese eher national denn weltoffen war/ist. Aber warum ist Herr Noll 1995 dann doch ausgereist? Ich bin damals ersten in die Post-DDR gezogen.

  • MH
    Marc Heinecke

    Schön und gut, was Chaim Noll hier zum Besten gibt.

    Da frage ich mich nur, warum er die Latte bei seiner Ex-Heimat DDR so hoch und bei seiner neuen Heimat Israel so niedrig hängt. Immerhin hat eine andere jüdische Schriftstellerin, Felicia Langer, das Gegenteil gemacht und ihrer alten Heimat Israel aufgrund der Menschenrechtsverletzungen an den Palästinensern den Rücken gekehrt, um ausgerechnet ins Land der einstigen Täter,Deutschland, auszuwandern und sich hier, als Jüdin, für ein ausgegrenztes Volk einzusetzen. Vielleicht wird sie dafür in ferner Zukunft einmal in einem freien Palästina als "Gerechte unter den Völkern" in die Annalen eingehen...

    Im Hinblick auf die eigene unkritische Haltung gegenüber der Politik Israels erscheint mir Chaim Nolls undifferenzierte Diffamierung aller DDR-Intellektuellen und -Schriftsteller doch reichlich pauschal und billig. So nicht...