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Archiv-Artikel

Dynamische Natur bewahren

betr.: „Das Leben ist niemals stabil“ (Die Natur verfährt nicht nachhaltig, und sie lässt sich auch nicht berechnen) von Cord Riechelmann, taz (Kultur) vom 14. 11. 05

An sich ist es richtig, dass die Ökologie als Naturwissenschaft prinzipiell keine normativen Fragestellungen bearbeiten kann. Ebenso wie die Physik zwar erklären kann, dass Atomkerne aus Protonen und Neutronen und diese wieder aus noch kleineren Elementarteilchen bestehen, aber niemals, warum überhaupt irgendetwas existiert, kann die Ökologie nur sagen, dass etwas in einer bestimmten Weise ist, aber nicht, ob es in dieser Weise gut ist bzw. in welcher Weise es am besten wäre.

Naturwissenschaften und mit ihnen die Naturwissenschaftler sind also neutral? Mitnichten. Jeder Mensch ist auch ein politischer Akteur und Naturwissenschaftler besonders in der Weise, dass sie unser Bild der Welt prägen. Die meisten Naturwissenschaftler verstehen sich aber als neutrale Aufklärer und vergessen darüber, dass es ihnen, wie jedem anderen Menschen, schlichtweg unmöglich ist, unpolitische Handlungen zu vollziehen. Die taz-Redaktion hat begriffen, dass es nicht möglich ist, unparteiischen Journalismus zu betreiben, und hält als Konsequenz mit ihrer Meinung nicht hinterm Berg. Der mündige Leser kann die Artikel filtern, wie er es für nötig befindet.

Naturwissenschaftler sollten, anstatt wie Küster das Politische aus ihrer Arbeit auszuschließen, neben ihrer eigentlichen Arbeit eine Beschreibung ihrer Person mit klaren Stellungnahmen zu gesellschaftlichen Themen liefern, damit ein Leser ihrer Veröffentlichungen weiß, wie er diese zu lesen hat. Und Politik und Öffentlichkeit sollten begreifen, dass es nicht den einen objektiv feststellbaren richtigen Weg gibt. Das führt zu Regierungen, die das Regieren den Expertenkommissionen überlassen.

Weiterhin reicht die Argumentation, die Natur sei nicht statisch, nicht zur Beendigung des Leitbilds von der Bewahrung der Natur. Man könnte ja nach der Lektüre des Küster-Buchs darauf kommen, nun eben nicht die statische, sondern die dynamische Natur bewahren zu wollen. Prinzipiell wäre das möglich, wenngleich komplizierter in Regeln zu fassen. Es gibt aber ein weitaus stärkeres Argument, die Idee von der Bewahrung der Natur zu überdenken. Und zwar, dass es ein Fehlschluss wäre, aus dem So-Sein der Natur ein So-sein-Sollen abzuleiten. Die Tatsache, dass die Natur in einer bestimmten Weise ist, beinhaltet nicht die Wertung, dass es so gut sei. Das müssen wir schon selbst entscheiden (auch wenn wir uns in vielen Fällen wahrscheinlich denn noch nach der Natur richten werden).

JAN PAUL LINDNER, Stuttgart