: Die Macht der Eitelkeit
Am Donnerstag wird inWolfsburg das neue Wissenschaftszentrum Phæno eingeweiht. Architektin des spektakulären Baus ist Zaha Hadid – eine Ausnahmeerscheinung in ihrer Branche, als Entwerferin und als Frau. Das Gros ihrer Kolleginnen hingegen bleibt unsichtbar. Eine Bestandsaufnahme
VON TANJA HÖFLING
Der Ausdruck in ihrem Gesicht zeigt ehrliche Verwunderung. „Ich habe mich nie gegenüber meinen männlichen Kollegen benachteiligt gefühlt“, entfährt es Karin Melcher. Die 36-Jährige ist Architektin bei Stephan Braunfels. Eine Angestellte, wie die meisten Frauen in der Branche. Schon nach zwei Jahren hat sie die Projektleitung für den Neubau des Bundestages, das Paul-Löbe-Haus, übernommen. Dass sie namentlich bestenfalls in Fachzeitschriften erwähnt wird, stört sie nicht. „Mein Geltungsbedürfnis ist nicht so groß, dass ich die Präsenz nach außen unbedingt brauche“, sagt sie. Um lächelnd nachzuschieben: „Männer sind da oft wesentlich eitler.“
Es ist ein Phänomen. Rund fünfzig Prozent aller Studierenden in der Architektur sind Frauen. Doch beim Berufseinstieg klinken sich die meisten aus. Wettbewerbsjurys und Lehrstühle an Hochschulen sind zu neunzig Prozent von Männern besetzt. Auch den Schritt in die Selbstständigkeit wagen die wenigsten Frauen in der Branche. Nun, die Arbeitslage in den Architekturbüros ist nicht gerade die beste. Wer auf diesem hart umkämpften Feld existieren will, muss vor allem eines mitbringen: einen unerschütterlichen Glauben an sich selbst. Immerhin hat Deutschland mit seinen rund 170.000 Architektinnen und Architekten die mit Abstand höchste Dichte an Baumeistern weltweit.
Dabei seien die Studentinnen, was fachliches Wissen, Kreativität, Beharrlichkeit und Fleiß angeht, ihren männlichen Kommilitonen oft voraus, sagt die Berliner Architektin Hilde Léon, die nebenbei noch eine Professur an der Universität in Hannover innehat. „Allerdings“, fügt sie hinzu, „sind die Frauen oft etwas brav und empfindlich. Jede Kritik wird zur persönlichen Niederlage.“ Kirsten Schemel, Professorin an der Fachhochschule in Münster, sieht noch einen weiteren Grund für die wenigen großen Frauennamen: „Architektur hat permanent etwas mit Selbermachen und Selberwollen und vor allem mit der Durchsetzung der eigenen Wünsche und Vorstellungen zu tun. Da fangen viele Frauen gar nicht erst an, im Wettbewerb mitzurennen.“ Der Mythos vom Mann als kreativem Schöpfer, als egozentrischem Künstler und Visionär?
Wie keine andere Kunst können architektonische Werke zu einem für alle sichtbaren Ausdruck von Macht werden. Die Symbolik hört nicht dort auf, wo die optische Wahrnehmung am Ende ist. Bewusst oder unbewusst ist sie mit all ihren Erzeugern ein Träger von Botschaften. So steht die Architektur immer im Kontext mit der jeweiligen Epoche und damit der Gesellschaft. In gleichem Maße steht auch das Gebäude in unmittelbarer Verbindung zu seinem Erbauer. Bis weit ins 20. Jahrhundert hinein war die Architektur fast ausschließlich mit männlichen Attributen besetzt. Der Mann als Macher. Die Frau als (bestenfalls) ausführendes Organ.
Walter Gropius, Begründer des Bauhauses, proklamierte in den Zwanzigerjahren: „Keine Rücksicht auf Damen, in der Arbeit sind alle Handwerker, absolute Gleichberechtigung, aber auch absolut gleiche Pflichten!“ Davor hatte kaum eine Frau die Chance, einen Fuß in die Türen der Hochschulen zu bekommen. Leider fiel Gropius nur allzu schnell in das bewährte Muster alter Traditionen zurück. Frauen am Bauhaus wurden in die Weberei geschickt, „um unnötige Experimente zu vermeiden“. Die Architektur blieb ein Traum. Und das Gesicht der Architektur blieb ein männliches. Ein gutes Beispiel dafür, dass fortschrittlich denken und fortschrittlich handeln völlig unterschiedliche Dinge sein können.
Kerstin Dörhöfer, Professorin für Urbanistik an der Universität der Künste in Berlin, hat die feministische Bewegung der Siebziger- und Achtzigerjahre von Anfang an mitgeprägt. Als Mitbegründerin der Feministischen Organisation von Planerinnen und Architektinnen (Fopa) ist sie überzeugt davon, dass Ergebnisse aus der Frauenforschung zu politischen Forderungen werden müssen, um etwas zu bewegen. Mit Go-ins in lila Latzhosen brachen sie in die Welt der Männer ein, stellten städtebauliche Konzepte und den hierarchisch geprägten Grundriss innerhalb der Wohnung auf den Kopf. Das Ergebnis: Alternativen für Lebensentwürfe außerhalb der klassischen Kleinfamilie und damit auch die Enthierarchisierung der Wohnung überhaupt.
Vorstellungen von einem typisch weiblichen Bauen, von einer explizit weiblichen Architektursprache konnten sich nicht etablieren. Dass Frauen anders bauen als Männer, ist für das Gros der Architektinnen schlichtweg „Quatsch“.
Die Zeit des politischen Aktionismus ist inzwischen vorbei. Engagement in dieser Richtung findet sich kaum noch unter den Nachwuchsarchitektinnen, schon gar nicht in einer feministischen Bewegung. „Ich glaube, viele Frauen haben Angst, nicht aufgrund ihrer Leistung anerkannt, sondern als Quotenfrau gesehen zu werden“, so die Wiener Architekturtheoretikerin Dörte Kuhlmann, Dozentin an der Universität in Wien. Inzwischen scheint die Angst vor der „feministischen Ecke“ tatsächlich größer zu sein als das Gefühl einer Benachteiligung. Einen Wohnblock in Kreuzberg, der anlässlich der Internationalen Bauausstellung (IBA) unter Beteiligung der einzigen international bekannten Architektin Zaha Hadid entstand, nennt man heute noch den „Weiberblock“.
Zaha Hadid ist in der Architektur eine Ausnahmeerscheinung, als Entwerferin – und als Frau. Bis ganz nach oben hat sie es geschafft – auch ohne männlichen Partner an ihrer Seite. Allerdings musste erst ein ganzes Jahrzehnt vergehen bis zur Verwirklichung einer Hadid’schen Idee in der dritten Dimension – von der Zeichnung zum Bauwerk. Das Vitra Feuerwehrhaus, ihr erstes Werk in Weil am Rhein, wurde 1993 fertig gestellt, zehn Jahre und siebzehn Entwürfe nach ihrem ersten Wettbewerbserfolg für „The Peak Leisure Club“ in Hongkong. Ihre oft prämierten Entwürfe waren zu kühn für vorsichtige Finanzplaner, zu schwierig schien den Bauherren die Umsetzung ihrer visionären Ideen. Sie ist die Meisterin der Abstraktion. Von anderen oft dem Dekonstruktivismus zugeordnet, bezeichnet sie selbst sich als Angehörige des Suprematismus, eines Kunststils, der seinen Ausdruck in der Gegenstandslosigkeit findet. Eine Kunstform, die vor Zaha Hadid ihre Umsetzung in (sowjetischen) Bildern, nicht aber in der Architektur fand.
Die meisten Baumeisterinnen arbeiten mit männlichen Kollegen oder ihren Partnern zusammen. Auffallend viele Paar teilen nicht nur die Liebe zur Architektur, sondern auch Tisch und Bett. Anders wäre das Arbeiten und Kinderkriegen in diesem zeit- und leistungsorientierten Beruf gar nicht möglich. Vor der Abgabe eines Wettbewerbsentwurfs ist es völlig normal, dass die Nächte, ganz im Jargon der Baumeister, „durchgeschrubbt“ werden.
Frauen und Männer arbeiten häufig gleichberechtigt an den Projekten. Doch das Repräsentieren überlassen noch immer viele den Männern. Und damit auch die Chance, in der Öffentlichkeit wahrgenommen zu werden. Doch selbst Architektinnen, die gerne im Rampenlicht stehen wollen, werden nur allzu oft unter „ferner liefen“ genannt.
Ein deutliches Beispiel für das Verschwinden der Frau hinter den noch immer breiteren Schultern des Mannes ist die Nichtbeachtung von Denise Scott-Brown, Partnerin von Robert Venturi, bei der Preisverleihung des Pritzker Architektur Preises 1991. Die Jury erwähnte die Stararchitektin des Stararchitekten mit keinem Wort. Venturi ergriff schließlich selbst das Wort: Die Auszeichnung stehe nicht ihm allein zu.
Aber seit einigen Jahren entwickelt sich ein neues Selbstverständnis unter den Baumeisterinnen. Ein Selbstverständnis, das keine Ignoranz mehr duldet und der männlichen Dominanz entgegentritt. Es gibt viele Beispiele von Frauen in der Architekturszene, die nicht mehr zu übersehen sind: Da ist etwa Hilde Léon. Sie ist Architektin, Professorin und Buchautorin. Ende der Neunzigerjahre beriet Léon die Hauptstadt in Fragen städtebaulicher Entwicklung. Gemeinsam mit Konrad Wohlhage und Siegfried Wernik ist sie unter anderem Erbauerin der Indischen Botschaft in Berlin sowie der Landesvertretung Bremens in der Hauptstadt.
Oder Regine Leibinger. Sie ist Master of Architecture. Den Titel erwarb sie während eines Aufbaustudiums unter Stararchitekt Rafael Moneo an der Harvard Graduate School of Design. Mit ihrem Mann Frank Barkow gewinnt sie Wettbewerbe, während sie zwischendurch immer mal wieder an verschiedenen Hochschulen unterrichtet. Nicht zuletzt ist die 42-Jährige auch noch Mutter.
Kirsten Schemel war gerade mal dreiunddreißig Jahre alt, als sie 1998 Professorin an der Fachhochschule in Münster wurde. Erst im letzten Jahr gewann sie den international ausgeschriebenen Wettbewerb für das Nam-June-Paik-Museum in Korea. Karin Melcher leitete mit 28 Jahren mit dem Neubau des Bundestags eines der prestigeträchtigsten Projekte Deutschlands. Bedenkt man, dass Architektinnen und Architekten, auch in Zeiten des Jugendkults und der modern gewordenen Auslese von Mitarbeitern über vierzig, mit fünfundvierzig immer noch als jung gelten, bleibt der kommenden Generation von Architektinnen noch Zeit, in die Annalen der Architekturgeschichte einzugehen.
Die Nachwuchsarchitektinnen haben angefangen, die Position der Frauen in der Architektur neu zu definieren. Was die jungen Architektinnen vor allem brauchen, ist Standhaftigkeit. Und das gleich in doppeltem Maße: Ein Mann beweist sich als Architekt. Eine Frau als Architektin und als Frau in einem von Männern dominierten Beruf. Nur stehen sich die Frauen, hat man das Gefühl, in manchen Momenten noch selbst im Weg. Allein die vorsichtige Frage, ob Baumeisterinnen gegenüber ihren männlichen Kollegen benachteiligt sind, löst bei vielen jungen Architektinnen einen stummen Schrei des Entsetzens aus. Ein Thema, das die Frauen anscheinend stärker (be)trifft, als sie selbst glauben wollen.
Souveränität könnten die Baumeisterinnen beweisen, indem sie ihre eigene Situation mit Abstand betrachten und erkennen, dass der Platz im Rampenlicht immer noch vor allem von Männern beansprucht wird. Ein offener Blick hat noch niemandem geschadet, auch und gerade nicht dem eigenen Selbstbewusstsein. Für Hilde Léon ist klar: „Es ist nicht mangelnde Kreativität, die Frauen am Durchstarten hindert, es ist vielleicht mangelnder Mut oder Selbstverständnis, sich die Macht zu erobern und dabei den Gegenwind auszuhalten.“ Sich ganz selbstverständlich und selbstbewusst auf dem für Frauen immer noch „fremden Parkett“ zu bewegen sei derzeit nur wenigen Frauen gegeben. Dennoch ist Hilde Léon zuversichtlich: „Die heute noch bestehende Unsicherheit wird sich in der Generation unserer Töchter verändern.“
Für Karin Melcher ist das kreative Moment in der Architektur genau das, was sie machen will. „Mit dem Rummel drum herum kann ich mich nicht anfreunden“, sagt sie. Melcher will am Zeichentisch sitzen, entwerfen, gestalten. Den kurzen Gedanken, ein eigenes Büro zu führen, hat sie schnell wieder in die Schublade gepackt. Denn Karin Melcher hat klare Vorstellungen davon, was sie machen will und was nicht. „Ich möchte nicht irgendwann vom Architekten zum Finanzmanager werden.“ Ein eigenes Büro komme nur dann in Frage, wenn sie am Zeichentisch bleiben könne. Den Rest müsse dann eben – der Mann übernehmen.
TANJA HÖFLING, 32, lebt als freie Journalistin in München. Soeben ist sie Mutter einer Tochter geworden und arbeitet nun selbst an der Baustelle Beruf und Kind