: Mein erstes Mal im Wendland
Heute beginnen die Proteste gegen den Castor-Transport ins Zwischenlager Gorleben. Noch nie dabei gewesen? Keine Ahnung, welche Regeln es zu berücksichtigen gilt, was ins Reisegepäck gehört und was überhaupt nicht? Angst, etwas falsch zu machen? Fragen über Fragen. Und einige Antworten
Was muss ich mitnehmen?
Schlafsack, Isomatte, warme Kleidung, Thermoskanne, Regensachen (gegen Regen und Wasserwerfer). Sitzkissen für spontane Sit-Ins auf der Straße sind gut, meistens gibt es aber auch Stroh. Teller, Becher und Verpflegung sind nicht notwendig wegen der „Volxküchen“, die gegen Spenden warme Mahlzeiten und Getränke ausgeben. Fleisch muss man selbst mitbringen, ratsam ist außerdem Nervennahrung (Schokolade, Nüsse, Traubenzucker) für das Festsitzen im kleinen Polizeikessel zwischendurch. Auch ein gültiger Personalausweis kann nicht schaden. Wer sich nicht ausweisen kann oder will, läuft Gefahr, „in Gewahrsam genommen“ zu werden. Nützlich ist ferner Taschenlampe, Klopapier, Schreibzeug für Gedächtnisprotokolle nach Polizeieinsätzen, Bücher, Spiele zum Zeitvertreib – Der Castor braucht oft länger als geplant.
Was bleibt besser zu Hause?
Alle persönlichen Gegenstände, die man nicht fremden PolizistInnen zeigen möchte wie Fotos, Adressbücher, Briefe.
Und das Handy?
Kann nicht schaden, um sich zu verabreden und gegebenenfalls um Hilfe zu rufen. Auf der Seite www.castor.de kann man unter anderem einen SMS-Dienst anfordern, der neueste Nachrichten direkt aufs Handy bringt. Allerdings kann man Mobiltelefone orten und natürlich auch abhören.
Wo checke ich ein?
Auf der Esso-Wiese, der großen Wiese gegenüber der Esso-Tankstelle in Dannenberg. Dort ist das rund um die Uhr besetzte Informationszentrum und die zentrale Schlafplatzbörse. Bei Dunkelheit oder wenn Hektik ausbricht, kann es dennoch schwierig werden, sich zurechtzufinden.
Muss ich zelten?
Nein. Wegen der ungastlichen Temperaturen versuchen die WendländerInnen ihren Besuch überwiegend in geschlossenen Räumen unterzubringen, in Gemeindesälen, Turnhallen und Scheunen. Schwangere und Gebrechliche sollen Betten bekommen. Wer unbedingt draußen schlafen will, kann dies in den „Widerstandsnestern“ tun: in den Camps in Hitzacker und Metzingen.
Was ist eigentlich ein Castor?
Ein Castor ist ein Transportbehälter. Leer ist er nicht besonders schön, er besteht aus Gusseisen und Graphit, aber doch ziemlich harmlos. Auf die Inhalte kommt es an. Die Castoren, die jetzt aus den Wiederaufarbeitungsanlagen zurückkommen, sind mit so genannten Glaskokillen befüllt: hochradioaktive, flüssige Abfälle, die in Spezialglas eingeschmolzen sind. Die fahrbaren Sondermülleimer sind sechs Meter lang und fast drei Meter breit. Bevor ein Castor auf Reisen geschickt wird, muss das Modell der Baureihe ein Inititationsritual überstehen – den Aufprall aus 9 Metern Höhe auf eine Stahlbeton-Platte, eine halbe Stunde Feuer, einen achtstündigen Tauchgang auf 15 Meter Wassertiefe und einen einstündigen auf 200 Meter. Nach 40 Jahren sind sie nicht mehr sicher. Strahlung geben sie auch schon vorher ab.
Und warum heißt der so?
Aus Marketinggründen. Angeblich ist es eine Abkürzung. Aber die ist so lange zurechtgefriemelt worden, bis dann der Name Castor da stand. Denn der griechische Halbgott Kastor ist keine durchweg negative Figur: Konnte gut mit Pferden und so. Wie sein Zwillingsbruder Polydeukes – kurz: Pollux – ist er Sohn der von Göttervater Zeus vergewaltigten Leda. Ähnlichkeiten zum Atommülltransportbehälter? Im übertragenen Sinne ja. So brachte Kastor dem Mythenpolizisten Herakles bei, schwer bewaffnet und geordnet im Felde zu fechten. Außerdem: Seine Schwester ist das personifizierte Verhängnis: Helena, die Schlüsselfigur der Weltuntergangsgeschichte rund um Troja.
Welche Sprachregelungen sind zu beachten?
Wie jede gesunde Protestbewegung hat natürlich auch die Anti-Atomkraft-Szene ihren Jargon. Da muss man sich so allmählich einfinden, der lässt sich nicht auf 20 Zeilen zusammenfassen. Aber es gibt doch mindestens ein Unwort: Wiederaufarbeitungsanlage. Das ist eindeutig eine Atomlobbyisten-Vokabel. Denn wiederaufarbeiten setzt sich zusammen aus dem wohltönenden „Aufarbeiten“, was so viel bedeutet wie „für den Gebrauch zurechtmachen“. Und dem praktischen Adverb „wieder“: Das suggeriert ein „Abermals“. Beides ist aber nicht der Fall: Die Fabriken in La Hague und Sellafield machen aus den abgebrannten Brennstäben nur ganz wenige neue. Dafür vermehren sie die Atommüll-Menge. Sie sind also allenfalls „so genannte Wiederaufarbeitungsanlagen“.
Wann geht es überhaupt los?
Je früher man ankommt, desto besser sind die Chancen, nicht in Polizeisperren stecken zu bleiben. Heute beginnt um 13 Uhr die Auftaktkundgebung in Hitzacker. Spätestens am Sonntag zur „Stuhlprobe“ am Verladekran in Gorleben um 11 Uhr oder zur Trecker-Demo der Bäuerlichen Notgemeinschaft um 14 Uhr in Klein Gusborn sollte man eintreffen, um nichts zu verpassen. Nach Einschätzung der Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg könnten die Atommüll-Castoren in der Nacht zum Montag per Zug in Dannenberg eintreffen, wo sie von der Schiene auf die Straße verladen werden müssen.
Wie lange dauert das?
Das Verladen der Container auf Lkw dauert mindestens vier Stunden, eher sogar sechs. Per Lkw müssen sie dann noch die 18 Kilometer über die Straße in die Zwischenlagerhalle im Gorlebener Forst rollen.
Wann ist alles vorbei?
Wenn die Castoren in der Zwischenlagerhalle Gorleben eingetroffen sind, gibt es eine Stunde später eine Abschlusskundgebung, also Montag, allerspätestens Dienstag. Anschließend trifft man die Polizei wieder – im Heimreise-Stau auf der Autobahn. Wer partout noch nicht genug hat, kann auch noch im Camp Hitzacker bleiben, das noch länger aufgebaut bleiben soll.
Wie komme ich zum/vom Ort des Geschehens?
Mitfahrgelegenheiten in Pkws und Bussen (siehe Homepage) oder Bahn. Die Bahnstrecke von Lüneburg nach Dannenberg ist für die Dauer der „grünen Jahreszeit“ im Wendland komplett gesperrt. Deshalb bis Uelzen oder Lüneburg und von dort weiter mit dem Bus oder per Anhalter. Je nach Laune der Polizei sind die möglichen Transportstrecken zwischen Dannenberg und Gorleben sowie beliebige andere Straßen im Wendland zeitweise ebenfalls gesperrt, Autos mit einheimischem Kennzeichen („DAN“) dürfen bisweilen passieren.
Und was mache ich dort?
In Gruppen versuchen, auf die Schiene oder Straße zu gelangen, um diese zu blockieren. Damit der Castor nicht durchkommt. Beziehungsweise nur dann, wenn der Staat ihm – mehr oder weniger gewaltsam – den Weg freiräumt. Es werden auch „Wandertage“ entlang der Strecke organisiert. Und alle, die irgendwo sitzen, benötigen auch tatkräftige Unterstützer, die sie mit Essen, Stroh und Infos versorgen. Von Alleingängen raten erfahrene CastorGegnerInnen ab. „Man geht unter“, sagt Francis Althoff von der Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg. Besser sei es, sich spätestens vor Ort auf der Esso-Wiese eine „Bezugsgruppe“ zu suchen. Bei den von X-1000malquer (Hitzacker) und „Widersetzen“ (Gorleben) organisierten Aktionen gibt es auch Hilfe bei der spontanen Bezugsgruppen-Gründung. Wer sich auf eigene Faust eine Gruppe sucht, könnte abgewiesen werden. Manche wittern PolizistInnen in ziviler Kleidung an jeder Ecke.
Ist das nicht alles verboten?
In einem Korridor von 70 Kilometer Länge und 100 bis 1.000 Meter Breite entlang der Transportstrecke von Dannenberg nach Gorleben sind unangemeldete Versammlungen verboten. Wer dagegen verstößt, begeht eine Ordnungswidrigkeit, keine Straftat, und kann theoretisch zu Bußgeldern verdonnert werden. Häufig kommt es dazu aber gar nicht. Wenn doch kassieren Gerichte oft die Bußgeldbescheide, weil die Polizei gegen geltendes Recht verstoßen hat. Auch Sitzblockaden und Festketten an den Gleisen sind Ordungswidrigkeiten, auch wenn letzteres zunächst als Straftat geahndet wird. Gerichte arbeiten jetzt noch Fälle der Transporte von 2001 ab.
Was mache ich, wenn ich in Gewahrsam genommen werde?
Den so genannten Ermittlungsausschuss (05841-979430) informieren, auch über andere Vorfälle, die danach aussehen, als hätte die Polizei gegen geltendes Recht verstoßen. Unbedingt auch Bescheid sagen, wenn sich eine Situation geklärt hat. Der „EA“ ist kein offizielles Gremium, sondern wird von „erfahrenen Menschen aus dem Widerstand“ organisiert. Um Blessuren zu vermeiden, keinen körperlichen Widerstand leisten, stattdessen die PolizistInnen freundlich auf seine Bürgerrechte hinweisen wie Demonstrationsfreiheit, körperliche Unversehrtheit und Selbstbestimmung. Der Ermittlungsausschuss informiert Anwälte, die sich dann in der Gefangenensammelstelle um die baldige Freilassung bemühen. Es gibt Shuttle-Busse zurück zur Demo.
Was kostet der Spaß?
Unterschiedlich. Bußgelder richten sich nach dem Einkommen, meist liegen sie bei 50–100 Euro, wie für Falschparken. Immer vorausgesetzt, dass die nächsthöhere Instanz Klagen gegen die Bescheide ablehnt.
Was passiert in einem Kessel?
Polizisten kesseln Demonstranten ein, das heißt, sie bilden eine Doppelkette, die sich wie ein Ring um die Demonstranten legt. Wer drin steckt, hat verloren. Im Nachhinein haben Gerichte schon festgestellt, dass ein Kessel über sieben, acht Stunden ohne Versorgung mit Decken und Getränken nicht zulässig ist, aber das heißt nicht, dass es nicht wieder passiert. Die organisierten Atomkraftgegner vor Ort versuchen Leute im Kessel zu versorgen. Auf Toilettenhäuschen sollte man nicht setzen.
Tun die Wasserwerfer weh?
Hängt vom Druck ab. Es kann wie ein Schlag in den Magen schmerzen. Oft sind sie aber auch nur Drohkulisse. Vor allem gilt: Kopf und Augen schützen!
Brauche ich einen Strahlenschutzanzug?
Nicht, solange die Behälter dicht bleiben und man ihnen nicht zu lange zu nahe kommt. Draufsetzen ist ungesund.
Und wenn ich verletzt bin?
Kommen die widerstandseigenen Sanitäter, „Sanis“ genannt.
Und wozu ist das alles gut?
Die ungeklärte Atommüll-Entsorgung ist eine der Achillesfersen der Atomindustrie. Und je länger die AKWs laufen, desto mehr Atommüll fällt an. Angeblich will die neue Rot-Schwarze Regierung nicht an den Laufzeiten für die Atomkraftwerke rütteln. Ob sich der neue Umweltminister Sigmar Gabriel (SPD) bei der Endlagerfrage aber nicht doch zum „Steigbügelhalter“ der Atomindustrie macht, ist nicht nur für Niedersachsens Grünen-Chefin Brigitte Pothmer noch nicht klar. „Besorgnis erregend“ findet sie die Passage im Koalitionsvertrag, das Endlagerproblem müsse „zügig“ – also noch in dieser Legislaturperiode – gelöst werden. Da sich in dieser kurzen Zeit wahrscheinlich kein anderes Lager finden lasse, laufe alles auf Gorleben hinaus. Für AtomkraftgegnerInnen ist deshalb klar, dass sie ins Wendland müssen, um Druck zu machen für das endgültige Aus für AKW-Anlagen. Und gegen Gorleben als Atomklo der Republik.
Eiken Bruhn, Benno Schirrmeister, Kai Schöneberg