Kinder in Not: Jetzt greift Ole ein

Der Bürgermeister entdeckt sein Herz für Kinder: Geld aus jüngstem Einnahmeplus soll Vernachlässigungsfälle früher erkennen lassen. Opposition fordert, den Worten auch Taten folgen zu lassen. Nötig seien mehr Mittel für Soziale Dienste

von Marco Carini
und Kaija Kutter

Wochenlang hatte er geschwiegen. Die Bürgerschaftsdebatten über die Vernachlässigung von Kindern hatte Ole von Beust (CDU) entweder scheinbar teilnahmslos verfolgt oder er war erst gar nicht anwesend gewesen. Am Donnerstagabend nun ergriff der Erste Bürgermeister auf dem CDU-Landesparteitag in Wilhelmsburg überraschend das Wort zum Thema. Und kündigte erstmals zusätzliche Gelder an, um die Hilfe für vernachlässigte Kinder zu verbessern.

„Unser Ehrgeiz muss sein, dass kein Kind mehr durch den Rost fallen darf“, betonte von Beust. Da die neueste Steuerschätzung Hamburg ein leichtes Einnahmeplus prognostiziere, solle dieser „Spielraum“ dafür genutzt werden. Wie viel Geld in welche Bereiche fließen könnte, ließ von Beust allerdings offen. In einem Seitenhieb auf Sozialsenatorin Birgit Schnieber-Jastram (CDU) kritisierte er das „Zuständigkeitsgerangel“, das ein unbürokratisches Handeln bei Problemfällen verhindere.

Erstmals stellte von Beust in diesem Zusammenhang in Frage, ob die Berufstätigkeit der Eltern weiterhin das entscheidende Kriterium für die Bewilligung von Kindergärtenplätzen sein soll. Und er bezeichnete es als absurd, dass ein Studium bislang kostenlos sei, die Kinderbetreung aber von den Eltern bezahlt werden müsse.

Zuvor hatte der CDU-Bundestagsabgeordnete Marcus Weinberg die Hamburger Jugendpolitik scharf kritisiert. Es könne nicht sein, dass vernachlässigte Kinder auf Wartelisten landeten und „die Hilfe nicht sofort einsetzt“, weil der Allgemeine Soziale Dienst (ASD) „überlastet ist“, so Weinberg. Wenn die Ämter abwägen müssten, welcher Fall schlimmer sei, „stimmt da was nicht“, sagte er zur taz. Da müsse man notfalls „handeln und Stellen nachbesetzen“.

Weinberg, früher Fachsprecher für Jugend in der CDU-Bürgerschaftsfraktion, hält Kindesvernachlässigung inzwischen für ein „Massenphänomen“. Es möge richtig sein, dass die ASD heute mehr Stellen als unter Rot-Grün haben, aber das könne nicht der Maßstab sein. „Maßstab ist, ob alle Fälle unverzüglich bearbeitet werden können.“

Als notwendig bezeichnete Weinberg es zudem, die Belastung der Jugendämter zu prüfen. Das hatte am Donnerstag auch die Gewerkschaft ver.di gefordert: Deren Personalräte sehen nach ersten Schätzungen einen Bedarf von 40 Prozent mehr Personal.

Den Worten des Bürgermeisters folgen offenbar bereits erste Taten. Man sei dabei, gemeinsam mit Senatskanzlei und Finanzbehörde zu „überprüfen, wie die Arbeit der ASD qualitativ verbessert werden kann“, sagte Sozialbehördensprecherin Katja Havemeister gestern. Diese Überlegungen hätten „jetzt“ begonnen. Schnieber-Jastram hatte bislang stets erklärt, die Ämter seien besser ausgestattet denn je.

Reaktionen löste die sechseinhalbminütige Rede von Beusts auch bei der Bürgerschaftsopposition aus. „Nachdem der Bürgermeister endlich aufgewacht ist, sollte auch seine Senatorin nicht weiterschlafen“, drängte die jugendpolitische Sprecherin der GAL, Christiane Blömeke, gestern zum Handeln. Das „brennende Problem der Wartelisten bei den Sozialen Diensten“ sei dem Senat schon seit Monaten bekannt gewesen.

Dass der Bürgermeister „es bei diesem sensiblen Bereich nicht bei Äußerungen vor seinen Parteifreunden belassen“ dürfe, befand auch SPD-Fraktionschef Michael Neumann. Er rief dazu auf, das Fünf-Punkte-Programm seiner Fraktion gegen Kinderarmut umzusetzen. Dieses sieht unter anderem eine Kindergartenpflicht und 2.500 zusätzliche Kita-Ganztagsplätze vor.