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Archiv-Artikel

Warte nur, bis Papa kommt

Die Mehrzahl der deutschen Eltern hält den „Klaps“ immer noch für ein Erziehungsmittel. Jetzt hat sich sogar ein Berliner Staatsanwalt dafür positioniert. Gibt es ein Recht auf körperliche Züchtigung?

VON JAN FEDDERSEN

Der Mann weiß inzwischen, dass er aussprach, was Volkes Stimme seufzend bejaht: In Deutschland gebe es, so Hansjürgen Karge, Generalstaatsanwalt von Berlin, „völlig übertriebene Vorstellungen von antiautoritärer Erziehung“; ein „Klaps“ könne einem Kind nicht schaden. Das war Anfang der Woche – und die Debatte dauert an: Muss es eine Todsünde sein, Kinder im Gefecht normalen Familienlebens mit einer Geste der Züchtigung – Klaps, Ohrfeige oder deren Androhung – dem erwachsenen Willen zu unterwerfen?

Klaps – das ist die Chiffre für das, was gesetzlich eigentlich untersagt ist, das unterstrich jüngst auch Justizministerin Brigitte Zypries. Gegen den massiven Widerstand der Union wurde im November 2000 ein Gesetz beschlossen, in dem es deutlich heißt: „Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig.“ Ehe diese Bestimmung durchgesetzt werden konnte, war ebenfalls die Vokabel „Klaps“ im Spiel: Man könne doch, gerade in Stresssituationen, Müttern und Vätern nicht verübeln, wenn ihnen mal die Hand ausrutsche.

Brav sein oder Arsch voll

Das war schon damals eine Bagatellisierung dessen, worum es bei dieser Frage geht: dass in Deutschland, nicht erst seit nationalsozialistischen Tagen, ein Bewusstsein tief fußt, körperliche Gewalt als Mittel von Ermutigung und Bestrafung führte zu dem, was die jeweiligen Züchtiger als Erfolg verstanden wissen wollen: Gehorsam. Zu „lieben Kindern“ also.

Eine beliebige Recherche in kriminalpolizeilichen Akten spricht freilich eine Sprache, die mit der verniedlichenden Aura des Wortes vom „Klaps“ nicht in Einklang zu bringen ist: Da ist dann von Müttern und Vätern die Rede, denen, quasi familiär eingebettet und scheinbar geschützt durch die grundgesetzlich garantierte Distanz des Staates von der Familie, jede Form von Bestialität erlaubt scheint. Väter neigen in dieser Hinsicht eher zum Faustschlag, auch zum so genannten „Arsch voll“; Mütter, eingebunden in die Moral der guten Amme, zur verdeckten Demütigung, wenn sie ihre Kinder in fast kochendem Wasser baden, mit festem Griff die Ärmchen verdrehen, sie mit dem Metallhandfeger traktieren. Väter waren (und sind noch oft) die Familienfiguren, die sich die Finger schmutzig machen sollen; Mütter hingegen sind kaum weniger aggressionsfähig, aber sie bevorzugen die Drohung: Lass erst mal Papa heimkommen!

Hinter dem Wunsch, wenigstens mit einem „Klaps“ strafen zu dürfen, verbirgt sich im Grunde nichts als die Fantasie, Kinder als Leibeigene behandeln zu dürfen. Die meisten Kinder, so wissen es Kinderschutzexperten, finden im übrigen postum, dass Gewalt gegen sie gerechtfertigt (gewesen) sei: „Das hat mir doch nicht geschadet“ – Aussagen von Opfern, die im konkreten Moment Horror empfanden, aber die Taten ihrer familiären Peiniger rechtfertigen müssen, um an den Akten der Aggression nicht irre zu werden. Die Alternative – Geschlagen- oder Verlassenwerden – beantworten sie lieber mit dem meist kleineren Übel.

Auswertungen von Täterprofilen haben ergeben, dass alle Personen (überwiegend Männer), die zur Gewalt neigen und körperlichen Missbrauch als solchen nicht erkennen, selbst als Kinder Opfer von familiärer Gewalt geworden waren. Kinderschutzexperte Kai-Detlef Bussmann, Professor an der Universität Halle-Wittenberg, sagt hierzu nur kühl: „Je mehr Eltern schlagen, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Kinder später zum Problem für unsere Gesellschaft werden.“

Das von Familienministerin Christine Bergmann (SPD) noch initiierte Gesetz hat indes bislang eine allenfalls moralische Wirkung erzielen können: In jeder fünften deutschen Familie zählt Gewalt nach wie vor zum Potenzial von Erziehung. Wenngleich 80 Prozent der Erwachsenen Gewalt als Mittel ablehnen, so ist die Front der Klapsbejaher sprechend differenziert: Während einer Forsa-Umfrage zufolge Unionsanhänger mit 43 Prozent kleinere Züchtigungen befürworten, sind es derer 40 bzw. 38 Prozent bei FDP- und Linkspartei-Gewogenen. Ein knappes Drittel sozialdemokratisch Inspirierter sind für leichte Schläge – und die Wählerschaft der Grünen ist mit immerhin noch 15 Prozent zu einem Ja in dieser Hinsicht zu bewegen.

Stress ist immer Ausrede

Im Übrigen haben nur 14 von 46 Mitgliedern des Europarats, die die Konvention der Gewaltfreiheit unterzeichnet haben, akzeptable Schutzmaßnahmen installiert. Die Weltorganisation gegen Folter hat 2003 gegen fünf Staaten in Sonderheit Anklage erhoben: Belgien, Griechenland, Irland, Italien und Portugal, wo das Züchtigen von Kindern besonders krass im Volksbewusstsein eingesunken ist.

Dass zum familiären Zusammenleben körperliche Gewalt nicht gehören muss, beweisen skandinavische Beispiele. Züchtigung ist strikt verboten, moralisch geächtet und faktisch nicht zu verheimlichen, weil niemand es gutheißt. In TV-Spots haben schwedische Kinderschutzorganisationen vor fünf Jahren Erwachsenen Gewalt demonstriert. Gezeigt wurden Erwachsene, denen von viermal größeren Gestalten, Monstern gleich, 7,20 Meter hoch, zwei Meter breit, Klapse erteilt wurden. Aus dieser Perspektive wird selbst ein Klaps wie eine Exekution wahrgenommen. Erziehung, die ohne körperliche Strafeinschreibungen auskommen kann, ist ein Zeichen von Zivilisation – nicht von Laschheit. Stress ist eine Ausrede, immer.