14 Thesen zur Zukunft der Partei: SPD-Linke mucken auf
Vor dem Bundesparteitag attackieren enttäuschte Linke ihre Parteiführung. Das ist nur der Auftakt für eine Woche der Abrechnung mit der Regierungs-Vergangenheit.
Es muss ihr runtergehen wie Öl. Als Andrea Ypsilanti mit einigen Minuten Verspätung das "Tagungszentrum Lichthof" im Kasseler Hauptbahnhof betritt, gibt es Standing Ovations. Eine Frau hält ein Y in die Luft, winkt, jauchzt, jubelt. Als würde es noch darum gehen, die ehemalige Landesvorsitzende zur Ministerpräsidentin machen zu können. So wie damals, im Wahlkampf 2008, gegen Roland Koch.
Doch am gestrigen Sonntag war nicht mehr Wahlkampf. Ypsilanti war der Stargast auf dem "Basis-Ratschlag" der SPD, einem von Veranstalter Stephan Grüger ausgerufenen "bundesweiten Treffen der SPD-Basis". Es ging um die Abrechnung mit Politik und Führung der SPD - mit allen, die irgendwann mit Agenda-Reformen oder großer Koalition zu tun hatten. Gekommen waren viele, die jene Politik in der Vergangenheit kritisiert hatten: Altlinke wie Rudolf Dressler und Ottmar Schreiner, Enttäuschte wie Hermann Scheer, Vergessene wie Ortwin Runde.
Ypsilanti kritisierte in ihrer Rede, nie habe es die versprochene "Rendite auf die Reformpolitik der Regierungszeit" gegeben. Zudem sei die SPD eine Partei geworden, die "nicht mehr selbstbestimmt" gehandelt und ihre Prinzipien verloren habe. Rudolf Dressler forderte, die Partei solle ihr "krankhaftes Verhalten zur Linkspartei therapieren".
Vorgelegt hatten Grüger und sein Parteikollege Stefan Grönebaum mit "14 Thesen zur Zukunft der SPD". Darin gehen sie mit der "marktverliebten" Politik ins Gericht und fordern eine "neue soziale Moderne - nach dem Neoliberalismus". Auch den neuen Fraktionsvorsitzenden Frank-Walter Steinmeier kritisieren sie. Er und andere stünden "vor den Scherben ihres eigenen Neue-Mitte- und großkoalitionären Kurses".
Trotz der herben Rhetorik sieht Grüger das Treffen nicht als Angriff gegen die eigene Partei. Es sei ein "Basistreffen wie jedes andere", andere Deutungen seien "gequirlte Kacke". Auch Ypsilanti distanzierte sich. Das Treffen sei "nicht meine Idee gewesen", sie wolle "nur Input" geben.
Dennoch gab es Ärger. Der Pressesprecher der Hessen-SPD, Frank Steibli, wunderte sich über "die Privatinitiative". In die Planung sei der Landesverband "nicht einbezogen gewesen". Steibli: "Wir haben nur die Einladung gefaxt bekommen."
Auch die neue Führung um Sigmar Gabriel und Andrea Nahles dürfte sich über das Treffen kaum gefreut haben. Zwar hat man intern das Thema kleingehalten. Dennoch passt es nicht in den Kurs der SPD-Politiker, die eine Woche vor dem Bundesparteitag in Dresden Geschlossenheit demonstrieren wollten.
Seit Wochen ist das Duo in den Landesverbänden unterwegs und wirbt für einen neuen Kurs mit mehr innerparteilicher Demokratie. Am Wochenende betonten Gabriel und Nahles in einem Spiegel-Interview sogar, wie positiv beide persönlich voneinander überrascht seien, nachdem sie früher ein "Nicht-Verhältnis pflegten", wie Nahles sagte. Vor dem Duo liegt eine Woche, in der mancher in der SPD mit der Vergangenheit aufräumen will. Mit der Harmonie dürfte es dann erst mal vorbei sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Angeblich zu „woke“ Videospiele
Gamer:innen gegen Gendergaga
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Haldenwang über Wechsel in die Politik
„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen