: Mit Vitamin B, ohne Chemie
GUATEMALA Eine indianische Kleinbäuerin steigt in die Bioproduktion ein. Ohne gute Kontakte würde sich das kaum rechnen
VON FRANK HERRMANN
Samstag ist der anstrengendste Tag der Woche für Elena Tujal Cocón. Er beginnt bereits um vier Uhr morgens. Zum Frühstück gibt es schwarze Bohnen, Maisfladen und dünnen, stark gesüßten Kaffee, den die Cakchiquel-Indianerin hastig herunterschluckt. Denn kurz darauf heißt es Brokkoli, Spinat und Bohnen ernten, waschen und verpacken. Möhren, Mangold, Kleinkürbisse und Radieschen hat die zierliche Indígena bereits am Vortag geerntet. Ihr Gemüse stammt zu 100 Prozent aus Bioproduktion – eine Ausnahme in Guatemala. Um acht Uhr sitzt Elena in einem überfüllten Chicken-Bus, die 18 Monate alte Tochter Helen Izel auf dem Rücken und den 21-jährigen Sohn Eduardo neben sich. Das wackelige Gefährt bringt die Familie von Patzún in das rund zwei Fahrtstunden entfernte Antigua Guatemala. In dem Kolonialstädtchen, Touristenmagnet und Unesco-Weltkulturerbe, verkauft Elena ihr Biogemüse.
Unterwegs erzählt sie, wie alles begann: „Bis vor wenigen Jahren kannten wir nur wenige Gemüsesorten, wie etwa Brokkoli oder Erbsen, die wir mit Chemikalien besprühten.“ Vor sieben Jahren besuchten Agraringenieure ihren Heimatort Patzún im Hochland Guatemalas, etwa 100 Kilometer westlich von Guatemala-Stadt. Sie zeigten den Dorfbewohnern, welche Gemüsesorten für Bioanbau geeignet waren. Anfänglich waren mehrere Familien an dem Projekt beteiligt, zum Schluss blieb aber nur Elena übrig. Denn „bio“ zu produzieren ist eine Sache, die Ware loszuwerden eine andere. „Wir bekamen unser Gemüse einfach nicht verkauft in unserem Dorf“, erzählt Elena, „Hier wird viel Gemüse angebaut, doch das Interesse an Bio war nicht sehr groß.“ Ein Australier, der ihr Dorf auf der Suche nach Biogemüse besuchte, half ihr schließlich, den Kon- takt nach Antigua herzustellen. Der geschäftige Busbahnhof von Antigua liegt hinter dem unübersichtlichen Markt. Der Untergrund ist je nach Jahreszeit staubig oder schlammig. Imposant erhebt sich im Hintergrund der Vulkan Agua. Doch Elena hat heute keinen Blick für Naturschönheiten. Der Bus hatte mal wieder Verspätung und zwei Kundinnen warten bereits auf sie, wie sie per Handy erfahren hat. Schnell lädt sie ihre Körbe in ein dreirädriges Tuc-Tuc, das sie in wenigen Minuten auf dem holprigen Kopfsteinpflaster zu Fernandos Kaffee bringt, einem Café, das neben seinem guten Kaffee auch für seine hausgemachte Schokolade bekannt ist.
Hastig bereitet Elena ihre Ware im Innenhof des Cafés auf einem buntgestreiften Stofftuch aus. „Einige Ausländer waren am direkten Kauf von Bioware interessiert“, erzählt sie, während sie einen Bastkorb mit Möhren, Mangold und Radieschen füllt. „Gemeinsam planten wir, welche Produkte sie benötigten.“ Nach und nach kommen alle Stammkunden Elenas im Café vorbei. Die Atmosphäre ist relaxt, man kennt sich. Elenas Käufer sind alle Ausländer, die meisten leben längerfristig in Guatemala. Es sind Deutsche, Holländer, Belgier, Japaner, Amerikaner und Kanadier. Sie kaufen jede Woche bei ihr pro Person frisches Biogemüse im Wert von 30 bis 60 Quetzales, das sind drei bis sechs Euro.
Viel ist das nicht und wer die Kosten gegenrechnet, fragt sich, ob sich der ganze Aufwand für die agile indianische Kleinunternehmerin lohnt. Elena sieht die ganze Sache realistisch: „Ich verdiene jeden Samstag etwa 100 Quetzales. Mit den Einnahmen aus dem Bioverkauf kann ich beispielsweise Seife, Zucker und Nudeln kaufen. Aber zusätzlich auch noch die Stromrechnung, Medizin oder Kleidung zu bezahlen, dafür reicht es nicht.“ Doch da auch ihr Sohn und ihr Ehemann Geld verdienen und die Grundversorgung mit Mais und schwarzen Bohnen gesichert ist, kommt die Familie einigermaßen über die Runden.
Elena ist geschafft. Gegen 12 Uhr 30 packt sie Kisten und Körbe müde, aber zufrieden zusammen. Bevor sie zu Hause ankommt, hat sie noch eine zweistündige Busfahrt vor sich. Doch fragt man sie nach den Perspektiven ihres Geschäfts, ist sie wieder hellwach und antwortet mit einem fröhlichen Blitzen in den Augen: „Ich hoffe, dass ich in einigen Monaten den Absatz von acht auf 15 Körbe wöchentlich steigern kann. Außerdem liefere ich inzwischen jeden Montag zehn Tüten Spinat, zehn Tüten Brokkoli und fünf Tüten Mangold an einen Bioladen in der Hauptstadt.“ Auch auf dem neuen monatlichen Biomarkt in der Hauptstadt möchte sie präsent sein – nicht nur um zu verkaufen, sondern auch um Kontakte zu knüpfen. Wenn das Geld reicht, wird sie sich einen Computer kaufen. „Damit könnte ich Bestellungen besser abwickeln“, so die 47-Jährige.
Die Tatsache, dass sie die Fruchtbarkeit ihrer Böden erhält, sich und ihre Familie gesund ernährt und ihren Kunden sauberes Gemüse anbieten kann, stellt eine große Befriedigung für die selbstständige Indígena dar. „Für mich ist die Natur sehr wichtig, denn sie gibt uns Nahrung, also muss ich auch meinen Teil dazu beisteuern, damit es so bleibt.“ Und sie fügt hinzu: „Was ich mache, hat weltweit gesehen vielleicht nur geringe Bedeutung, aber ich leiste meinen Beitrag.“