Tödlicher Verdacht

Behörden alarmiert: In Japan sind zwölf Kinder kurz nach der Einnahme des Grippemittels Tamiflu gestorben

BERLIN taz ■ Die Gesundheitsbehörden weltweit sind aufgeschreckt: Die Grippearznei Tamiflu wird mit dem Tod von zwölf japanischen Kindern in Zusammenhang gebracht. Ob die Todesfälle tatsächlich auf das Medikament zurückgehen, ist allerdings noch unklar. Die Interpretation sei extrem schwierig, erklärte die US-Arzneimittelbehörde Food and Drug Administration (FDA). Sie forderte den Tamiflu-Hersteller Roche auf, alle Informationen über Nebenwirkungen vorzulegen. Auch die europäische Arzneimittelbehörde Emea in London ermittelt.

Tamiflu, seit 1999 auf dem Markt, gilt derzeit als das wirksamste Medikament um eine Grippeinfektion zu mildern. Rund 50 Staaten haben in den letzten Monaten für gut eine Milliarde Euro Tamiflu gehortet, um sich gegen die Vogelgrippe zu wappnen. Und weil die Nachfrage so groß ist, will Roche seine Produktionskapazitäten auf 300 Millionen Medikamentendosen jährlich ausweiten.

Die Arzneimittelbehörden sorgen sich aber gleich um mehre Nebenwirkungen. Laut einem FDA-Bericht hatten 32 Kinder nach der Einnahme von Tamiflu Halluzinationen oder verhielten sich eigenartig. Auch bei mehreren der zwölf verstorbenen Kinder waren psychiatrische Auffälligkeiten registriert worden. Einer von ihnen war von einem Hochhaus gesprungen, ein anderer vor einen Lastwagen gerannt. Experten wiesen jedoch darauf hin, dass als Folge von Fieber – wie es zum Beispiel bei einer Grippe auftritt – häufiger Halluzinationen oder deliriumsähnliche Zustände auftreten.

Ein Sprecher des Schweizer Konzerns Roche schloss daher auch einen Zusammenhang mit Tamiflu aus. Alle Studien hätten ergeben, dass die Todesrate bei Grippepatienten, die mit Tamiflu behandelt worden sind, geringer ist, als bei der Gruppe, die das Medikament nicht eingenommen hätten.

Nach Angaben von Roche sind in den letzten Jahren 32 Millionen Menschen mit dem Mittel behandelt worden. Die meisten davon, nämlich 24 Millionen, in Japan. Daher sei es auch nicht überraschend, dass vor allem aus Japan Berichte über mögliche Nebenwirkungen kommen.

Während Japans Gesundheitsbehörden jetzt beschlossen haben, „psychiatrische Beeinflussungen“ als mögliche Nebenwirkung in den Tamiflu-Beipackzettel mit aufzunehmen, wollen die Arzneimittelbehörden der USA, Kanadas und der EU erst einmal alle Daten auswerten und das Medikament unter strenge Beobachtung stellen.

Ein Problem, das bei allen Medikamenten auftritt, werden die Behörden nicht lösen können: Seltene Nebenwirkungen lassen sich meist erst dann feststellen, wenn das Medikament millionenfach verschrieben wurde.

WOLFGANG LÖHR