FC Augsburg im DFB-Pokal-Halbfinale: Bekiffte Marionetten
Die "Puppenkiste" will ihre Reifeprüfung ausgerechnet bei Werder bestehen. Vereins-Urmel, Trainer Jos Luhukay fährt mit seinem Team im "Lummerland-Express" an die Weser.
Schon vor Jahrzehnten haben gegnerische Fans Teams aus der Fuggerstadt mit lautstarken "Augsburger Puppenkiste"-Gesängen zu verhöhnen versucht. Liegt ja auch nah, die blöden Holzköppe, haha. In unseren postmodernen Zeiten der Selbstironie bespötteln sich die Freunde des FC Augsburg 1907 längst selbst. Zum Pokalhalbfinale (ZDF, 20.30 Uhr) shuttelt der Zweitligazweite im "Lummerland-Express" nach Bremen. Die Tore soll der Scheinzwerg Thurk-Thurk erzielen - der 33-jährige Michael Thurk, ein emsiger Raucher übrigens, der mit 21 Treffern in 27 Spielen auffällig geworden ist.
Zuletzt wurde er wegen seiner Strafrauminstinkte sogar schon als WM-Kandidat gehandelt, am Samstag traf er per Knie mit dem Rücken zum Tor. Der kleine Wirbelwind Ibrahima Traoré, ein Findelkind aus dem Fundus von Hertha BSC, könnte der große Bruder von Jim Knopf sein. Und Daniel Brinkmann, ein ungelenk blonder Kater Mikesch, ballert unberechenbarer als die Blechbüchsenarmee je alle Berge runterpurzelte.
"Das größte Ereignis der Vereinsgeschichte" steht an. Wer 2002 noch vierte Liga spielte und jetzt plötzlich als Zweitligist das Pokalfinale vor Augen hat, der ist zappelig wie eine Marionette, bekifft und besoffen zugleich. Bei einem Sieg darf Augsburg ab September sogar Europa League spielen, weil Finalgegner Schalke oder Bayern ohnehin europäisch qualifiziert sein wird. Das gelang zuletzt 2004 den Zweitligakollegen aus Aachen: acht Auftritte legte Alemannia hin, gewann dabei gegen Lille und sogar in Athen gegen den AEK.
Der kicker lobt den "Augsburger Offensiv-Beton", ohne das originelle Wort näher zu erklären. Einer schreibt im FCA-Fanforum, man wolle in Bremen "allen zeigen, dass wir eine bedeutende Adresse in Deutschland werden wollen". Fußballdeutschland ist allerdings noch nicht so sicher, ob es das will. Sicher, dem Underdog im Pokal drücken viele die Daumen. Aber der Bundesliga-Aufstieg? Sympathien sind rar, weil der FCA ein wenig als Emporkömmling wie Hoffenheim gilt, trotz aller Historie mit Helmut Haller, Bernd Schuster, Kalle Riedle. Dabei war das fußballkleine Augsburg sogar tatbeteiligt an einer Massenbewegung: Am 15. August 1973 wurde in München bei 1860 ein ewiger Besucherrekord des Olympiastadions aufgestellt: 90.000 Zuschauer. Die Fäden in der Hand hat beim FCA der begüterte Ruheständler Walther Seinsch, 68 - eine schillernde Figur, wie es sich für einen Präsidenten gehört. Früher wollte er mal Schalke-Präsident werden, dann den SSV Ulm ins Fußballglück finanzieren. Später startete er eine kurze Politikerkarriere für "Pro Augsburg". Seinsch hat sein Geld mit den Billigklamotten Takko und (dem früheren Werder-Sponsor) Kik gemacht; die Verzinsung geht in eine Stiftung und seit 2002 an den FC Augsburg. Dort wuchs ein neues schickes Stadion und aus vielen bundesligaerfahrenen Kickern ein technisch starkes Konterteam.
Jos Luhukay, der Mann mit dem scheußlichen Oberlippenbart, ist ein brillanter Trainer. Bislang - Gruß aus Mönchengladbach - gilt der Gütenachweis aber nur für Liga 2. Und im Pokal! Freiburg, Duisburg und der 1. FC Köln wurden in Augsburg weggefegt. Mit seiner lustigen Sprache könnte der holländische Coach auch als Vereins-Urmel durchgehen. Urmels Lieblingsgetränk war übrigens "Rettich mit Orangensaft".
Damit hätten wir auch die Brücke geschlagen zu Manager Andreas Rettig, dem Don Blech des Clubs.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Angeblich zu „woke“ Videospiele
Gamer:innen gegen Gendergaga
Haldenwang über Wechsel in die Politik
„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“
Zweite Woche der UN-Klimakonferenz
Habeck wirbt für den weltweiten Ausbau des Emissionshandels
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS