Kunst im Palast des Geldes

GLANZ Verwunschenes Herz der monetären Kreisläufe – Uruguays Hauptstadt Montevideo präsentiert nach Banken- und Finanzkrise seine neue und lebendige Kunstbiennale: El Gran Sur

Im großen Süden spielte die Kunst eine andere Rolle als in Europa

VON GEORG SEESSLEN

In der Altstadt von Montevideo gibt es einen gewaltigen, wennzwar ein wenig ramponierten Palast. Der Gott, dem hier einst gehuldigt wurde, hieß vermutlich nicht „Mammon“, dazu ist hier alles zu bürgerlich gediegen, zu würdevoll, zu gemessen und zu offen.

Es war ein Gott des Wohlstandes immerhin, und sein Tempel, die „Bank der Republik“, erzählt noch heute vom einstigen Glanz der Republik Uruguay, die von Emigranten aus Italien, von den Kanarischen Inseln und auch aus ein paar nördlicheren Regionen wie Deutschland begründet wurde und sich ein paarmal fand und wieder verlor. In diesem Tempel des gut angelegten Geldes wird der Gründerväter neoklassischer Kapitalismen gedacht, die auf einem langen Seitengang im ersten Stock von Ölgemälden auf uns herniederblicken, als wollten sie uns fragen, was zum Teufel wir in ihren heiligen Hallen zu suchen hätten.

Und natürlich gibt es die Erinnerung an jene Zeiten, da die Hohepriester des uruguayischen Wohlstandes ihre Entscheidungen trafen, auf eine magische Weise, nämlich indem sie schwarze oder weiße Kugeln in eine unter jedem Sitz an dem gewaltigen Konferenztisch verborgene Schublade kullern ließen.

Freundliche Herren

So erklärt es uns jedenfalls einer der freundlichen Herren, von denen man nicht genau weiß, ob sie diesen Geldtempel der Bank der Republik in den Seitentrakten noch in Betrieb halten oder sich schon als Museumswärter einer grandiosen, aber definitiv vergangenen Epoche verstehen. Heute gibt es hier auch schon Security-Leute, die dich auffordern, die Mütze vom Kopf zu nehmen. Aus Ehrfurcht, wie nebenan in der Kirche? Geld, das man unter der Kopfbedeckung davontragen kann, gibt es jedenfalls nicht mehr.

Aber Kunst gibt es. Und sogar ein Kunstgeld; der italienische Künstler Luca Vitone verteilt es an den alten Schaltern in der Mitte des gewaltigen Raumes, die er zugleich von Efeu hat überranken lassen. Verwunschenes Herz der monetären Kreisläufe. Wir sind auf der ersten Biennale von Montevideo, unter den Besuchern Menschen, die aussehen, als wären sie Zeugen jener Zeit, zu der die Bank der Republik nur in tadellosester Kleidung betreten wurde, und andere, die diesen Ort zum ersten Mal betreten, obwohl sie doch im Viertel wohnen. Aber des nachts, meint ein Bewohner des kleinen Parks, käme man besser nicht her.

Zu diesem zentralen Ausstellungsort der Biennale kommt eine alte, verfallene Kirche um die Ecke sowie ein Nebengebäude der Bank. Die Kunstwerke sind hier aber nicht im klassischen Sinne ausgestellt, sie befinden sich in einer Auseinandersetzung mit diesen Orten. Es gibt sehr sanfte Formen der Auseinandersetzung wie die zarten, grotesken und sinnlichen Zeichnungen an der Wand von Ricardo Lanzarini aus Uruguay, eine Klanginstallation in der Kirche, die die Seelen der verschwundenen Gläubigen durch den Staub schweben lässt, aber auch direktere wie Leuchtschriften, Videos und die Archivschau des amerikanischen Künstlers Mark Dion, der in seinem „Kabinett der Kapitalmaschinen“ all die Dinge zusammengestellt hat, die in der Bank der Republik einmal die Kreisläufe des Geldes bestimmt und beschleunigt haben, von den Kontobüchern über die Schreibmaschinen bis zu den Fahrrädern der Bankboten.

Das Thema der von Alfons Hug mit den Kokuratorinnen Paz Guevara und Patricia Bentancur kuratierten Biennale lautet: Der große Süden. Das ist eine topografische und eine politisch-historische Bestimmung, jener vergessene große Süden über dem Ozean, der der zentraleuropäischen Kunstidee so leicht abhanden kam, weil man sich über Jahrhunderte mit dem kleinen Süden im Licht des Mittelmeers zufrieden gab. Es ist auch ein magischer Raum, geprägt von der Welt-Phantasie eines Jorge Luis Borges (auf den direkt oder indirekt viele Arbeiten Bezug nehmen) wie von der kräftigen, menschennahen Malerei des uruguayischen „Nationalkünstlers“ Pedro Figari. Diesem ist in Montevideo ein eigenes Museum gewidmet, zugleich eine kleine Forschungseinheit. Auf der Suche nach einer jener Persönlichkeiten, an denen der große Süden reich ist: Menschen, die nicht einfach nur Künstler waren, sondern zugleich auch Pädagogen, Historiker, Politiker, Erzeuger einer alternativen nationalen oder auch kulturellen Identität. Manchmal auch Verfolgte, Fliehende, Emigranten, Vertriebene.

Im großen Süden spielte die Kunst eine andere Rolle als in Europa; oft war sie das direkteste und prekärste Bindeglied zwischen den Klassen, Kulturen und „Rassen“.

Die Kunst machte eine kreolische Lebensweise bürgerlich diskursfähig; auf den von einer sehr speziellen Sonne erleuchteten Bildern von Figari sieht man, was in der politischen Rhetorik verborgen ist, die Weite der Pampa, das Leben der Armen und den enormen Reichtum der schwarzen Kultur. Von ihr hat sein Pinsel das Tanzen gelernt, so wie die Palette aus der Grasebene mit den Schattenbäumen stammt; stets hat Pedro Figari (1861–1938) direkt mit dem Auftrag der Farbe gearbeitet, ohne Vorzeichnungen, ohne Kompositionshilfen. Die Kunst muss dem Leben mit allen ihren Mitteln nahekommen.

Ein bisschen neidisch

Das tut sie im großen Süden, wahrscheinlich weil sie es muss. Beim Besuch einer privaten Sammlung in der Stadt sehe ich die junge Kunst Uruguays und bin ein bisschen neidisch. Der Zorn, die Hoffnung, die Direktheit, die Rücksichtslosigkeit. Farbe schreiend oder flüsternd, Pop wird nicht cool zitiert, sondern auf der Leinwand und im Raum zerrissen, und wenn es um Körper geht, dann geht es auch um Körper.

Pathetisch gesagt, hat man hier das Gefühl, der Kunstmarkt könne noch für die Kunst da sein, und nicht umgekehrt. Deswegen macht es auch nicht so viel, dass die Dächer nicht so ganz dicht sind und man Türen nicht immer verschlossen hat.

Die Biennale ist ein Dialog dieser Heftigkeit mit der moderateren und moderierten Kunst des, nun ja, Westens. Der räumliche Dialog mit Bank und Kirche würde durch solche Heftigkeit wohl verlieren. So sieht man vor allem Subtil-Subversives, eine Poesie der Beiläufigkeit, eher ein Gegenentwurf zu den Blut- und Comicaggressionen der jüngsten uruguayischen Malerei: Yang Xinguang (ein winziger Wald von Holzstückchen auf dem Steinboden), Gabriela Albergaria (ein neuer Baum, zusammengesetzt aus den Baumarten Uruguays, den vorhandenen, den verschwundenen und den wiedergekehrten), Jorge Satorre (eine Dekonstruktion der Porträts der Präsidenten dieser Bank), Kitty Kraus (eine Lichtinstallation, die an Borges’ „Aleph“ erinnert), Videos von Christoph Schlingensief und ein Performance-Konzert des uruguayischen Popstars und nebenbei Künstlers Dani Umpi mit dem Titel „cambiar“. Ist der Wechsel, wie er suggeriert, wirklich nur ein beständiges Häuten, ohne einen Wandel?

Besetzt die Kunst den großen Raum des Kapitals oder frisst dieser die Kunst, um sie in kleinen Happen ihrem Markt zu überantworten? Was man spürt: Diese Frage ist hier lebenswichtig. Schräg gegenüber gibt es den besten Milchkaffee der Stadt.

Wenn die Biennale ihre Türen Ende März schließt, dann soll aus der Bank der Republik ein „Museum des Südens“ werden. Denn Banken sehen heute nicht mehr so aus wie die Bank der Republik in Montevideo; Museen können so aussehen.

Aber die Geister der beiden Welten, des Geldes und der Kunst, werden sich hier vermutlich noch ein paar Jahrzehnte ihre Kämpfe liefern.

■ Bis 30. März 2013 www.bienaldemontevideo.com