Katalysator für Verrohung

In ihrem zweiten Stück „Schienen“ erzählt die Belgrader Autorin Milena Markovich von der Wucht der Kriegsmaschine. Thomas Oliver Niehaus inszenierte es als Nummernrevue am Theater Aachen

VON STEFANIE TYROLLER

Krieg spielen ist leichter als Frieden. Das merken Kinder, wenn sie ihre Plastikpistolen ablegen oder sich nicht prügeln sollen. Wie bitte spielt man Frieden? Mit einer Versöhnungsgeste vielleicht, bevor die nächste Prügelei beginnt. Dem Theater geht das nicht anders. Erst mit einem Konflikt oder einer Intrige wird es da so richtig spannend.

Die 34-jährige Belgraderin Milena Markovic, Schülerin der wohl bekanntesten serbischen Autorin Biljana Srbljanovic („Belgrader Trilogie“), hat mit „Schienen“ ein Stück geschrieben, in dem von Szene zu Szene die Gewaltspirale an Wucht gewinnt. Auflösung gibt es keine. Selbst im Paradies werden die Menschen, einer Folter gleich, zum Dauergrinsen gezwungen. Abstrakte Typen, die Ekel, Held, Depp und Lustig heißen, exerzieren Gewaltspiele, die auf dem Schulhof mit Kleinigkeiten beginnen und auf dem Dorf, wo Fremde nicht willkommen sind, mit Mord enden. Als mächtige Gewaltmaschinerie überrollt der Krieg diese Figuren und systematisiert ihre gewalttätigen Handlungsmuster. Krieg taugt Markovic weniger als Entschuldigung denn als Katalysator für die Verrohung der Figuren. Opfer ist allein die Frau.

In der Regie von Thomas Oliver Niehaus hatte das Stück nun am Theater Aachen als deutsche Erstaufführung Premiere. Eine Zusammenarbeit mit dem Aachener Friedenspreis. Niehaus inszeniert eine Art Nummernrevue im bunten 1980er-Jahre-Ambiente mit shakespearschen Verfremdungseffekten. Die Schuljungen räkeln sich mit Freundin Möschen in einem Strandbad (Bühne und Kostüme: Barbara Steiner) während ihre scharfen Dialoge, die vor Gemeinheiten nur so strotzen, im Sonnenlicht hin und herfliegen wie Tischtennis-Bälle. Die überforderte Schulpsychologin steckt in einem kurzen Kostümchen und trägt eine überdimensionierte Schmetterlingsbrille. Auch als sie den Selbstmord einer Schülerin aufklären soll und dabei von den Schuljungen sexuell gedemütigt wird. Die von der Autorin den Szenen vorangestellten Liedtexte präsentieren die Figuren in präzisem A-Capella-Gesang. Komponist Anton Berman hat sie in teils zart-melancholisch, teils operettenhaft-lustige Melodien gegossen.

Die Strategie von Niehaus erscheint auf den ersten Blick geschickt. Er inszeniert den Text mit übertriebener Illustrierung, die Gewalttätigkeit der Figuren könnte so im Kontrast zur Leichtigkeit der Darstellung noch an Schärfe gewinnen und wird eher nachvollziehbar. Die hoch motivierten Schauspieler zeigen sich zwar dementsprechend spielfreudig, doch die Methode der ständigen Überzeichnung läuft sich im Verlaufe des Stückes schnell tot. Der Inszenierung gelingt es nicht, dass die Lacher wirklich im Halse stecken bleibt. Die Gewaltmuster werden wahrgenommen, doch sie lassen kalt. Auf die Frage, ob und wie Krieg und Gewalt auf der Bühne darstellbar ist, hat auch diese Inszenierung keine schlüssige Antwort parat.

25.11., 19.30 UhrInfos:0241-4784244Der Aachener Friedenspreis organisiert im Anschluss an die Aufführung am 28. Januar eine Vortrags- und Diskussionsveranstaltung zum Thema: „Die Friedlosigkeit in Nachkriegsgesellschaften. Traumatisierung und Verrohung“.